Was für Rückmeldungen bekommen Sie derzeit aus den Betrieben, die ja jedes Jahr aufs Neue junge Schulabsolventen aufnehmen?
Das deckt sich – leider – mit unseren Pisa-Testergebnissen. In unserer jüngsten Studie hat das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft Lehrlingsausbildner befragt. Das Grundproblem, in einem Satz: Die Betriebe tun sich wahnsinnig schwer, passende Lehrlinge zu finden, und wenn sie welche gefunden haben, müssen diese zuerst einmal geschult werden, damit zumindest ein Basisniveau vorhanden ist.
Also Lesen, Schreiben, Rechnen?
Genau. Die Ausbildner sollten weiters angeben, was nicht passt: 80 Prozent sagen, die geringe Zahl an guten Bewerbungen sei die größte Herausforderung, sie sehen einfach eine mangelnde allgemeine Ausbildungsreife. An erster Stelle stehen die unzureichenden mathematischen Kenntnisse, also das praktische Rechnen, Prozentrechnen und so weiter. An zweiter Stelle mit 40 Prozent kommen schon die mangelnden Deutsch-Kenntnisse.
Wie kann man erklären, dass ein Teil unserer Schüler auch nach neun Jahren Schulpflicht nicht Rechnen, Schreiben, Lesen kann?
In den Ballungsräumen sind die Probleme der mangelnden Deutschkenntnisse und der Zuwanderung ja bekannt. Jedes vierte Kind in Österreich hat eine nicht-deutsche Erstsprache. In einigen Bezirken in Wien spricht mehr als die Hälfte der Kinder eine andere Sprache als Deutsch. Dazu kommt, dass nur wenige Pädagogen eine Ausbildung für Deutsch als Zweitsprache haben.
Aktuell zeigt sich, dass die Zuwanderung vor allem in Wien die Schulen, Lehrer und letztlich auch die Schüler massiv überlastet.
Ja, das kann man auch nicht wegdiskutieren. Was man machen könnte, wäre eine pädagogische Assistenz, damit die Lehrkräfte sofort unterstützt werden. Konkret Freizeitpädagogen, die eine Vollanstellung am Schulstandort bekommen, und die neben der Betreuung am Nachmittag einige pädagogische Bereiche übernehmen, eine echte Lernunterstützung. Das würde rasch den Alltag entlasten.
Mehrsprachigkeit könnte ja auch einen Mehrwert für uns haben?
Ja, Mehrsprachigkeit ist etwas Positives für unseren Wirtschaftsstandort, eine Ressource, die man optimal nutzen muss. Immerhin, mit der jüngsten Reform der Lehrerausbildung wurde dieses Sprachproblem, Deutsch als Zweitsprache, angegangen, es muss aber auch in der Fortbildung ein Angebot geben.
Was braucht es weiters?
Da sind wir beim Vorschlag einer „Mittleren Reife“ mit 14 Jahren, das steht eigentlich im aktuellen Regierungsprogramm, was aber leider nicht angegangen wurde. Diese würde ein qualitätsgesichertes Erreichen der nötigen Grundkompetenzen in Mathematik, Deutsch und Englisch bestätigen. So eine Bildungspflicht würde alle Akteure in die Pflicht nehmen, und damit Lehrer, Eltern und Kinder es als gemeinsame Aufgabe verstehen, auf ein gewisses Grundniveau zu kommen. Dabei braucht es auch einen Ausbau der individuellen Unterstützung der Kinder und Jugendlichen.
Und was wäre die Mittlere Reife?
Ein zertifizierter und erstrebenswerter Abschluss, wie die Matura einer ist, der eine hohe Aussagekraft hat, und auch die Kinder über ihre erworbenen Fähigkeiten bestens Bescheid wissen.
Pädagogen klagen über zu viel Dokumentation im Schulalltag, aber was machen wir eigentlich mit den Bildungsdaten? Transparent ist das System ja überhaupt nicht.
Aus unserer Sicht wäre es lohnenswert, wenn man eine Evaluierung der Schulstandorte angeht, kein Bashing, sondern herausragende Schulen, die innovativ arbeiten, die zeitgemäße Schwerpunkte setzen, vor den Vorhang holen.
Und was soll da veröffentlicht werden?
Wir können uns schon ein Ranking der besten Schulen vorstellen, auch als Unterstützung für Familien, wo welche Schule welche inhaltlichen Schwerpunkte setzt. Statistik Austria verfügt bereits über zahlreiche Daten zum soziodemografischen Hintergrund der Schüler. Damit wäre ein fairer Vergleich möglich.
Diese Woche startet zum neunten Mal in ganz Österreich die Zentralmatura. Hat sich diese bewährt?
Die Grundidee ist richtig und bleibt wichtig, man wollte ja die Kompetenzniveaus vergleichbar machen. Aber durch das Standardisieren der Prüfung ist das Lernen etwas verengt worden, weil ja im Unterricht jetzt konkret auf die abgefragten Maturakompetenzen hingearbeitet wird. Das Kompetenzniveau hat sich nicht verbessert.
Es gab eine Evaluierung der Mittelschulen, die ergab eine kleine Verbesserung der Deutschkenntnisse, aber das war es auch schon.
Die Grundidee der neuen Mittelschule war gut, die Qualität der Grundbildung bis 14 Jahre zu verbessern und die Entscheidung nach dem Schultyp nach hinten zu verschieben. Natürlich sehen wir den Bedarf, das zu verbessern. Ein wesentlicher Baustein wurde ja nicht gesetzt, die Mittelschule ist zwar die Regelschule geworden, aber die AHS-Unterstufe besteht ja weiter.
Sie plädieren für eine Gesamtschule bis 14?
Diese frühe Trennung nach der Volksschule gibt es nur mehr in Ungarn und Deutschland. So bleibt der Bildungserfolg stark am sozioökonomischen Status und der Bildung des Elternhauses abhängig.
Was ist also ihr Ausblick für unser Bildungssystem?
Wir sollten über drei wichtige Dinge nachdenken: Wie sollen wir die Elementarbildung ausbauen, die den Grundstein für eine qualitativ hochwertige Betreuung und Bildung legen soll. Dann braucht es bei uns einen generellen Wandel im System, damit die Grundkompetenzen in Deutsch, Mathe, Englisch erreicht werden können, Stichwort Mittlere Reife. Und breit ein Ganztagesschulsystem einführen. Das hätte Vorteile nicht nur für berufstätige Eltern, sondern es geht um gezielte schulische Förderung für alle, um Integration in der Schule.
Solche Maßnahmen sind bisher aber immer am Nein der Gewerkschaft gescheitert.
Deshalb wollen wir einen möglichst breiten Bildungsdialog starten, mit allen Stakeholdern, also auch mit der Lehrergewerkschaft.
(Das gesamte IV-Bildungsprogramm ist unter https://beste-bildung.at/ abrufbar)
Kommentare