Warum die Impfpflicht jetzt fällt und welche Folgen das hat
Ende November wurde sie verkündet, Ende Jänner im National- und Bundesrat beschlossen, Anfang Februar trat sie in Kraft: die Corona-Impfpflicht in Österreich.
Nun wird die Impfpflicht – gut drei Monate und einen Kanzler- wie Gesundheitsministerwechsel später (Kanzler Alexander Schallenberg verkündete deren Einführung, Johannes Rauch übernahm am Montag das Gesundheits- und Sozialressort von Wolfgang Mückstein) – ausgesetzt.
Und das partout an einem Tag, an dem die Zahl der Neuinfektionen (Stand Mittwoch: 47.795) einen historischen Höchstwert erreicht sowie die Bundeshauptstadt Wien mit 603 Covid-Patienten auf Normalstationen einen Rekordwert (siehe rechts) vermeldet. Demgegenüber steht eine in Relation verschwindend geringe Zahl an Erstimpfungen (411 waren es am Dienstag) – und eine gleichzeitig immer größer werdende Zahl an Genesenen (2,6 Millionen).
Argumentiert wird das vorläufige Aus seitens der Regierung anhand der Empfehlungen der eigens eingerichteten Impfkommission. Diese hält in einem 25-seitigen Bericht fest: „Es ist nicht zu erwarten, dass eine allgemeine Impfpflicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen wesentlichen Einfluss auf die Belastung der medizinischen Infrastruktur durch Covid-19-Patienten zu nehmen imstande ist.“
Zudem wäre laut Experten eine Pflicht rechtlich derzeit nur bei jenen möglich, die weder geimpft noch genesen sind. Für das Aus spreche weiters die Saisonalität. Demgemäß sei die Impfpflicht, so Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, „bei der vorherrschenden Omikron-Variante rechtlich nicht verhältnismäßig“ und „medizinisch nicht sinnvoll“. Das Aussetzen des Gesetzes wird per Verordnung vom Gesundheitsminister erlassen und im Hauptausschuss des Parlaments beschlossen werden.
Das bedeutet auch, dass die im Gesetz vorgesehenen Kontrollen respektive Geldstrafen bei Nicht-Einhalten – sie hätten mit 16. März kommen sollen – hinfällig sind. „Die Kommission wird spätestens in drei Monaten einen neuen Bericht vorlegen“, sagt Gesundheitsminister Rauch. „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wachsen täglich. Beim nächsten Bericht treffen wir eine neue Entscheidung.“
Der deutsche Weg
Deutschland hingegen hält vorerst an seinen Impfpflicht-Plänen fest und will im April darüber entscheiden.
Gleichzeitig warnen die Experten vor einer „sehr wahrscheinlichen“ und großen Welle im Herbst und bis zu 58.000 Neuinfektionen pro Tag. Laut Modellrechnungen wird der Schutz vor einer Ansteckung im Oktober nur noch bei zehn Prozent liegen, jener vor einer schweren Erkrankung bei 35 bis 50 Prozent. Doch was verursacht die Rekordinfektionen?
„Deutschland und Österreich sind die EU-Länder, die den Omikron-Gipfel noch nicht klar überschritten haben“, sagt die Virologin Dorothee von Laer. Ein Grund dafür könnte sein, „dass wir nicht den Grad an Durchimmunisierung wie andere Länder haben. Einerseits sind wir eines der Impfschlusslichter, andererseits hat es etwa in anderen Ländern eine höhere Durchseuchung gegeben“.
Speziell in Österreich seien zuletzt die Maßnahmen auch nicht mehr konsequent umgesetzt worden. Bis sich ein klarer Abfall bei den Zahlen zeige, werde es noch zwei bis drei Wochen dauern.
Nicht verstanden habe Von Laer die Abschaffung der Maskenpflicht. Sie sehe schon, dass es in den Schulen nicht so leicht sei mit den Masken, „aber bei den Erwachsenen gibt es im Handel oder im Kino überhaupt keinen Grund, nicht die Maske aufzusetzen“.
Unvorhersehbar
„Man ist ja immer davon ausgegangen, dass die Omikron-Subvariante BA.1 durch BA.2 verdrängt wird“, sagt der Genetiker Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie. „Aber dieser Übergang hat länger gedauert als erwartet.“ Einerseits durch die bis vor Kurzem geltenden Schutzmaßnahmen, „und dann ist noch etwas relativ Unvorhersehbares passiert: Es hat sich eine weitere Variante, BA.1.1, dazwischengeschoben, die sich nur in einer Mutation von BA.1 unterscheidet, und dadurch schlägt der Effekt von BA.2 erst jetzt voll durch“.
Ein weiterer Grund für den Anstieg sei die Aufhebung fast aller Maßnahmen außerhalb Wiens am Samstag „und auch, dass durch den Krieg der Gedanke an Schutzmaßnahmen in den Hintergrund getreten ist“. Auch Elling fordert eine Maskenpflicht in Innenräumen. Beide halten die Entscheidung der Impfpflicht-Kommission für vernünftig, betonen aber, dass bis zum Herbst die Impflücke besonders bei den Über-60-Jährigen geschlossen werden muss und Ende des Sommers eine effiziente Booster-Kampagne notwendig wird.
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