Musterland: Warum Dänemark plötzlich Vorbild ist
Im März fallen erste Gemeinsamkeiten auf: ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und Dänemarks sozialdemokratische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen besprechen in Israel – damals mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – eine Impfstoff-Allianz außerhalb der EU. Ein halbes Jahr später schielen viele EU-Mitgliedsländer, so auch Österreich und insbesondere die ÖVP, gen Norden. Über 70 Prozent der 5,8 Millionen Einwohner Dänemarks sind doppelt geimpft – Masken und Regeln sind gefallen, Lockdowns passé.
Neben der hohen Impfbereitschaft macht das NATO-Mitglied mit seiner Klimapolitik und jüngst seinem rigiden Migrationskurs Schlagzeilen.
Frederiksen will eine „Arbeitslogik“ im Asylwesen einführen: Wer seit drei bis vier Jahren staatliche Leistungen bezieht, aber nicht ausreichend Dänisch spricht und zu wenig Bildungsnachweise erbringen kann, der soll mindestens 37 Stunden pro Woche arbeiten, um Sozialleistungen zu bekommen. „Zu viele Jahre haben wir vielen Menschen einen schlechten Dienst erwiesen, indem wir nichts von ihnen verlangt haben“, so die Ministerpräsidentin. Erst am Sonntag ließ Finanzminister Blümel im KURIER wissen, dass er dem dänischen Ansatz etwas abgewinnen kann.
Degressives Arbeitslosengeld
55 Prozent vom letzten Nettolohn erhalten Arbeitslose derzeit in Österreich. In Dänemark sind es weit über 70 Prozent. Grund für SPÖ und FPÖ, im Zuge der Arbeitsmarktreform auf die vergleichsweise hohe Netto-Ersatzrate der Skandinavier zu verweisen und auf eine Erhöhung dieser zu pochen.
Die ÖVP kann dem dänischen Modell indes aus anderen Gründen etwas abgewinnen: Das Modell ist degressiv, sieht also zu Beginn der Arbeitslosigkeit eine in Relation hohe Nettoersatzrate vor, die im Laufe von fünf Jahren sukzessive auf 50 Prozent der Nettoersatzrate fällt. „Unter 55 Prozent der Nettoersatzrate wird das Arbeitslosengeld nicht sinken, dazu haben wir uns bekannt“, sagt ÖVP-Klubchef August Wöginger jüngst im KURIER anlässlich der Arbeitslosengeldreform. Von dem Modell erhofft man sich einen stärkeren Anreiz, schneller und aktiver einen Job anzunehmen.
Schulen seit 20 Jahren digital
Um einen Digitalisierungsschub im Bildungswesen anzustoßen, hat es in vielen Ländern Europas erst die Corona-Pandemie inklusive plötzlicher Umstellung auf Distance Learning gebraucht. Auch in Österreich ging das nicht ganz reibungslos vonstatten.
Anders in Dänemark. Hier hat man sich schon vor Jahrzehnten auf das digitale Unterrichten umzustellen begonnen.
Im Jahr 2001 fand die erste verpflichtende Computerschulung für das dänische Lehrpersonal statt. Alle organisatorischen Abläufe laufen digital, ebenso die Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten.
Auch abseits des Bildungsbereichs liegt Dänemark jährlich im Spitzenfeld des Digitalindex’ der EU-Länder. Fast 90 Prozent aller Amtswege können die Dänen online erledigen.
Seit 20 Jahren hat die digitale Signatur in Dänemark den gleichen Status wie die handschriftliche Unterschrift.
Über 70 Prozent Durchimpfungsrate
Während Österreich die Corona-Maßnahmen mit 15. September verschärft, hat Dänemark am Freitag alle Beschränkungen aufgehoben. Corona-Pass und Masken sind obsolet. Grund: Über 70 Prozent der über 12-Jährigen in Dänemark sind vollständig geimpft. In Österreich liegt die Impfquote derzeit bei knapp 60 Prozent. Maßgeblich zum dänischen Erfolg beigetragen haben dürfte laut Experten nebst der hohen Impfbereitschaft der Bevölkerung und dem modernen, digitalisierten Gesundheitswesen die Corona-Politik der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.
Sie war strenger und schneller als andere. Dänemark setzte auf Biontech/Pfizer, war daher von Lieferengpässen anderer Hersteller nicht betroffen. Zudem führte man im 5,8 Millionen Einwohnerland früher als anderswo Maßnahmen wie Masken, Lockdowns und den Corona-Pass ein.
Die ehrgeizigsten Klimaziele der Welt
Einmal vorweg: Dänemark ist der größte Produzent von Öl und Gas in der EU. Der -Ausstoß pro Kopf liegt aber trotz der weit überdurchschnittlichen Wirtschaftsleistung mit 5,5 Tonnen unter dem EU-Durchschnitt von 6,5 Prozent.
Und: Dänemark hat sich selbst in den vergangenen Jahren die ehrgeizigsten Klimaziele der Welt gesetzt: Letztes Jahr hat das dänische Parlament ein Klimagesetz verabschiedet laut dem die dänischen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 70 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden sollen. Bis 2050 will Dänemark außerdem die gesamte Öl- und Gasförderung in der Nordsee einstellen.
Apropos Nordsee: Dort baut Dänemark eine künstliche Energieinsel dank derer bald bis zu zehn Millionen europäische Haushalte mit Offshore-Windstrom versorgt werden sollen.
Kostenpunkt: 28,24 Milliarden Euro.
Keine Asylanträge aus dem Inland
Migration. Wer um dänisches Asyl ansucht, soll nach der Registrierung in ein Aufnahmezentrum außerhalb der EU geflogen werden und dort warten, bis das Verfahren abgeschlossen ist – dieser Gesetzesvorschlag der dänischen Sozialdemokraten passierte im Juni das Parlament.
Ist der Bescheid negativ, soll die Person in ihr Herkunftsland rückgeführt werden. Doch auch ein positiver Bescheid berechtigt nicht zu einem Aufenthalt in Dänemark. Asylberechtigte Personen sollen im Drittstaat bleiben oder in ein Flüchtlingslager verlegt werden.
Soweit der Plan, ein wichtiger Baustein fehlt aber noch: ein Deal mit den Drittstaaten.
Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) war dennoch bereits beim dänischen Migrationsminister, um sich über die Pläne zu informieren. Allerdings: Die Dänen hätten andere rechtliche Möglichkeiten als Österreich, heißt es aus dem Innenministerium.
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