3.412 Covid-Tote mehr: Wie ist das passiert?
Um immerhin 21 Prozent ist die Zahl der Covid-Toten am Dienstag gestiegen: von 16.439 auf 19.851 Personen. Wie es dazu kam.
Warum sind 3.412 Covid-Tote erst jetzt aufgefallen?
Nicht alle Covid-Todesfälle werden direkt im Epidemiologischen Melderegister (EMS) verzeichnet, das meldepflichtige Krankheiten dokumentiert. Es kann etwa vorkommen, dass eine ältere Person an Covid-19 erkrankt, auf der Intensivstation landet, negativ getestet wird, aber erst danach an den Folgen der Krankheit stirbt. Dieser Todesfall wird nicht im EMS, aber dafür in der Todesursachenstatistik der Statistik Austria verzeichnet. Deshalb werde einmal pro Jahr ein pseudonymisierter Datenabgleich durchgeführt, um das Sterbedatum im EMS zu ergänzen, heißt es aus dem Gesundheitsministerium zum KURIER.
Warum wurden heuer so viele Fälle nachgetragen?
"Der Datenabgleich bedingt eine genaue Analyse im Sinne der Qualitätssicherung und kann erst im darauffolgenden Jahr erfolgen, erfolgt sobald die Daten der Statistik Austria konsolidiert vorliegen", so das Ministerium. Seit Pandemiebeginn werden die Todesfälle demnach regelmäßig durch Abgleich mit der Todesursachenstatistik der Statistik Austria nachkorrigiert. Der Anstieg um rund 3.400 Tote ist statistisch auffällig. Hierbei spiele eine Rolle, dass ein längerer Zeitraum abgeglichen worden sei und somit kumulativ eine hohe Summe entstehe, heißt es.
Wer trägt die Daten ins EMS ein?
Ein Problem sei jedenfalls, dass die Daten nicht zentral, sondern von den einzelnen Bezirkshauptmannschaften ins EMS eingetragen werden, meint Statistiker Erich Neuwirth. "Die Datenqualität liegt an der Eingabe und an den Kontrollen der Eingabe." Die Daten werden "vor Ort" von den Mitarbeitern der Bezirkshauptmannschaften eingetragen, meist "relativ schnell", so Neuwirth. Da gebe es kaum einen Kontrollmechanismus. Dies könne dann zu Problemen führen, wenn die Werte nicht einheitlich und klassifiziert eingetragen werden. Seiner Meinung nach sollte die Erfassung dieser Daten zentralisierter erfolgen und eine schnellere Datenkontrolle eingebaut werden.
Gibt es keine Möglichkeit, die Daten schneller zu vernetzen?
"Es ist seit Pandemiebeginn ein Problem, dass die Daten nicht miteinander verschränkt werden und die linke Hand nicht weiß, was die rechte weiß", sagt Infektiologe Herwig Kollaritsch zum KURIER. Die EMS-Daten könnten sofort mit den Krankenhausdaten vernetzt werden, so Kollartisch. Derzeit macht die Statistik Austria das nachträglich. "Die Daten sind ja vorhanden, sie müssen nur zentral zusammenlaufen. Wenn jetzt 3.400 Todesfälle nachgemeldet werden, bedeutet das ja, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Politik zu keinem Zeitpunkt einen genauen Überblick über die Lage hatte. Und da bekomme ich schon Bauchschmerzen", meint Kollaritsch. Die Daten seien "ganz, ganz wichtig" für die Strategie bei der Pandemiebekämpfung, die Regierung findet aber keine datenschutzkonforme Lösung.
Gibt es diese Problematik der fehlenden Daten-Vernetzung auch in anderen Bereichen?
Ja. So schlägt zum Beispiel Peter Lehner, Chef des Dachverbands der Sozialversicherungsträger, eine Verknüpfung der Daten aus dem EMS und den Impfdaten vor. Die Sozialversicherungen hätten die Daten, könnten sie laufend vernetzen, doch das Gesundheitsministerium lehnt das bisher aus datenschutzrechtlichen Gründen ab.
In welchem Bundesland wurden die meisten Fälle nachgemeldet?
Die Nachmeldungen verteilen sich nicht gleichmäßig über die neun Bundesländer. Besonders stark unterschätzt wurde die Zahl der Corona-Toten laut einer der APA vorliegenden Auswertung in Tirol. Hier war man bisher von 926 Todesfällen ausgegangen, tatsächlich gab es aber 1.248 - also um über ein Drittel mehr. In Niederösterreich schienen drei von zehn Todesfällen bisher nicht in der Statistik auf - von 4.135 Sterbefällen wurden 922 nachgemeldet. In Kärnten sind 321 von 1.594 Todesfällen Nachmeldungen - also ein Viertel. Im Burgenland (plus 115 auf 653) und in Salzburg (plus 190 auf 1.115) erhöht sich die Zahl der Corona-Toten durch die Nachmeldungen um ein Fünftel. In Oberösterreich (plus 476 auf 3.253) und Vorarlberg (plus 93 auf 629) machen die Nachmeldungen jeweils 17 Prozent aus. Am wenigsten Nachmeldungen gibt mit 17 Prozent in der Steiermark (plus 443 auf 3.327) und Vorarlberg (plus 93 auf 629) sowie mit 16 Prozent in Wien (plus 530 auf 3.897).
Was sagt die Opposition?
Die Neos orten ein neuerliches "Datenchaos des Gesundheitsministers" und ein "völlig misslungenes Pandemiemanagement". "Seit über zwei Jahren stolpert die Regierung planlos durch die Pandemie und hat es in Wahrheit nicht einmal geschafft, eine solide Datenbasis auf die Beine zu stellen", meinte Neos-Pandemiesprecher Gerald Loacker. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner kritisierte unterdessen auf Twitter, dass die Regierung "kommentarlos" derart viele Todesfälle nachmelde. "3.412 Schicksale. Das macht betroffen", meinte Rendi-Wagner. "Man darf sich nicht wundern, wenn die Menschen nicht mehr wissen, was sie glauben können und was nicht."
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