Wartezeiten: Warum ÖGK-Obmann Huss den freien Facharzt-Zugang kritisiert
Österreichs Gesundheitssystem leidet darunter, dass Patienten zu oft und mitunter ohne medizinische Notwendigkeit Arzt-Leistungen in Anspruch nehmen; man fröne einer „Alles-gratis-und-jederzeit“- bzw. einer „Vollkasko“-Mentalität.
So lautet der Befund, den der Vorsitzende der Konferenz der Sozialversicherungsträger, Peter Lehner, jüngst im KURIER loswurde. Lehner vermisst an vielen Stellen das Kostenbewusstsein.
Vollkasko-Mentalität? Andreas Huss, Obmann der größten Krankenkasse des Landes, kann mit diesem Begriff nur wenig anfangen. „Diese Diktion lehne ich entschieden ab“, sagt Huss zum KURIER.
Warum? „Weil sie unterstellt, dass Menschen, ohne nachzudenken, quasi aus Jux und Tollerei, einen Arzt aufsuchen.“ Es könne schon sein, dass die Zahl der Arzt-Besuche hoch sei. „Aber das kann ich doch nicht den Patienten vorwerfen.“
Wo sich der Gewerkschaftsvertreter Huss und der bürgerliche Lehner durchaus treffen, ist die Forderung, die Patienten besser durch das System zu führen und ihnen Entscheidungen abzunehmen, die sie im Einzelfall oft nicht selbst treffen können.
Huss plädiert dafür, wieder „zurück zu einem Hausarzt-zentrierten Gesundheitssystem“ zu kommen.
„Die Allgemeinmedizin ist für mich die ärztliche Königsdisziplin. Im Idealfall kennt der Hausarzt seine Patienten am allerbesten. Er weiß, welche familiären Krankheiten auftreten, wie seine Patienten leben und welche privaten oder beruflichen Belastungen die Gesundheit beeinträchtigen.“
Irrwege
Der ÖGK-Obmann bringt das Beispiel der Rückenschmerzen: „Wenn Patienten selbst durch das Gesundheitssystem irren, landen sie mitunter bei einem Orthopäden, der sie ins MRT schickt und ihnen dann erklärt, dass physisch offenbar ja eh alles in Ordnung ist.“ Ein umsichtiger Hausarzt wissen demgegenüber, dass die Lebenssituation momentan fordernd ist und die Schmerzen im Rücken möglicherweise vom Kopf kommen.
In diesem Zusammenhang kritisiert Huss auch den derzeit weitgehend freien Zugang zu Fachärzten und erinnert an die Situation vor der Einführung der eCard: „Als Versicherter hat man früher Krankenscheine bekommen, mit denen man bei Bedarf zum Hausarzt ging. Erst wenn es dieser Experte für sinnvoll erachtet hat, hat er seine Patienten zu einem Facharzt weitergeschickt.“
Dieses System sei insofern patienten-freundlich und zweckmäßig gewesen, als der Hausarzt der „Navigator“ für den Patienten war.
Huss: „Das könnte man heute mit der eCard natürlich wieder einführen und nur bestimmte Fachärzte wie Gynäkologen oder Kinderärzte grundsätzlich für einen Besuch freischalten.“ Österreich müsse wieder eine Situation erreichen, „in der Patienten mit Husten, Schnupfen oder Heiserkeit nicht sofort beim Facharzt oder in einer Spitalsambulanz landen. Die sind für Notfälle und spezielle Erkrankungen gedacht“.
Mittel- und langfristig würde ein Hausarzt-zentrierten Gesundheitssystem die Zahl der unnötige Arzt-Besuche reduzieren – und das würde am Ende auch die Wartezeiten bei Facharzt-Terminen verkürzen.
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