Die Gesundheitskasse ÖGK trickse nicht mit ihren Zahlen, sagt deren Obmann Andreas Huss – und macht spannende Ansagen, was sich im Kassensystem alles ändern müsste.
Was für ein Vorwurf! Der mit Abstand größte Krankenversicherer des Landes, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) mit 7,5 Millionen Versicherten, trickst bei ihren Zahlen und kommt – absichtlich oder aus Unvermögen – ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nach, Ärzte-Stellen zu besetzen und die Patienten zu versorgen: So lautete im Kern der Vorwurf, dem sich die ÖGK und damit ihr Obmann Andreas Huss jüngst in Medienberichten ausgesetzt sah.
Huss ist das, was man einen gestandenen Gewerkschafter nennt, er hat also eine dicke Haut.
Der Vorwurf, die ÖGK vernachlässige die Interessen ihrer Versicherten, rührt allerdings an den Kern der solidarischen Idee. Und deshalb will Huss im Gespräch mit dem KURIER nicht nur manches zurechtrücken, sondern auch einige bemerkenswerte Ideen deponieren, wie das Kassensystem verändert und damit besser gemacht werden soll.
Wie viele Kassenärzte fehlen der ÖGK denn jetzt wirklich?
Insgesamt wünscht sich die ÖGK 500 zusätzliche Kassenarztstellen. „Und das“, sagt Huss, „haben wir bei den laufenden Verhandlungen zum Finanzausgleich auch bei den Gesprächen eingebracht.“
Abgesehen von diesem Wunsch besteht österreichweit bei 300 Kassenarzt-Stellen die Herausforderung, dass diese schwer zu besetzen sind, sprich: Mediziner wollen den Job nicht machen. Meistens handelt es sich dabei um Kassenarztstellen in alpinen Seitentälern oder kleinen Gemeinden fernab der Ballungszentren. Aus Sicht der ÖGK wären streng genommen also 800 Arzt-Stellen zu besetzen.
Ist die Versorgung mit Kassenärzten in Wien besser als am Land?
Das hängt sehr vom Fach ab. Bei Kinder- und Jugendpsychiatern zum Beispiel gibt es trotz des enormen Bedarfs derzeit vier unbesetzte Planstellen. Und auch bei den Allgemeinmedizinern mit Kassenvertrag ist die Lage angespannt. Laut dem Wiener Stellenplan, der dem KURIER vorliegt, sind zwar 99,3 Prozent der 800 Hausarztstellen besetzt. Hier sind aber Ordinationen mit eingerechnet, die „bald“ besetzt werden oder „reserviert“ sind; und auch „gebundene Planstellen“, also Kassenarztstellen in künftigen Gruppenarztpraxen und -zentren, werden als „besetzt“ vermerkt. Ein Sonder-Problem stellen in Wien zudem die Kleinstpraxen dar. Diese Kassenärzte erledigen im Vergleich zu Hausärzten am Land nur die Hälfte oder ein Drittel an Patientenkontakten. Huss: „Hier müssen wir überlegen, ob wir diese Ordinationen und deren Patienten nicht umschichten.“
ÖGK-Obmann Huss ist überzeugt, dass Geld durchaus ein Anreiz sein kann. Allerdings nicht, wie zuletzt, in der Form einer von der Regierung angedachten Einmalzahlung von 70.000 oder 100.000 Euro. „Solche Anschubfinanzierungen gab es bereits, zum Beispiel in der Steiermark. Der Erfolg war eher überschaubar.“ Mehr verspricht sich die ÖGK davon, den Leistungskatalog in ganz Österreich zu vereinheitlichen.
Das bedeutet: Ärzte müssen für dieselben Leistungen überall gleich gut bezahlt werden. Zusätzlich könnte es Aufschläge für Ärzte geben, die eine Kassenstelle in einer strukturschwachen Region annehmen, wie dies zuletzt etwa Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner vorgeschlagen hat. „Das funktioniert aber nur, wenn es grundsätzlich einen österreichweit einheitlichen Vertrag mit den Ärzten gibt – und nicht neun Landesverträge, die einander ausstechen.“
Vieles. Huss plädiert etwa dafür, das Facharzt-System und die Zuweisungen zu überdenken. „Die Spitalsambulanzen sind auch deshalb überlaufen, weil es niemanden gibt, der die Patienten durch das System lotst.“ Abrechnungsdaten der ÖGK würden zeigen, dass Patienten quartalsweise Internisten und Medikation wechseln – freilich ohne medizinisch nachvollziehbare Gründe. „Meines Erachtens ist es sinnvoll, dass Facharzt-Besuche weitgehend von Hausärzten zugewiesen werden“, sagt Huss. „Wir brauchen wieder ein Hausarzt-zentriertes Gesundheitssystem.“
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