"Impfchaos"? Das müssen Sie über die Impflotterie wissen
Dienstagabend, kurz vor neun, bekam Martin B. ein eMail vom Land Niederösterreich: Er könne ab Freitag einen Impftermin buchen. Immerhin sei er Typ1-Diabetiker und Hochrisikopatient.
Für den 54-Jährigen eine gute Nachricht – und gleichzeitig eine irritierende. Sein Vater, 82, hat noch immer keinen Termin; auch nicht die 79-jährige Mutter, obwohl sie ebenfalls an Diabetes leidet.
Wie passt das alles zusammen? Und liegt es daran, dass B.’s Eltern in einem anderen Bundesland wohnen?
Wie B. geht es vielen. Täglich erreichen den KURIER Schilderungen von Lesern, die bei der Impfstrategie eine Logik vermissen. Der KURIER hat sich auf die Spurensuche begeben und versucht herauszufinden, wie groß das „Impfchaos“ ist.
Darf jedes Bundesland impfen, wie es will?
Nein. Zwar ist Impfen – wie ein Großteil der Gesundheitsversorgung – Ländersache. Was die Covid-19-Schutzimpfung angeht, gibt es aber „Priorisierungen“ des Nationalen Impfgremiums. Erst am Freitag haben sich die Länder erneut zu diesem Fahrplan bekannt, er sieht österreichweit Folgendes vor: Höchste Priorität haben Bewohner von Alten-, Pflege- und Seniorenwohnheimen und das Personal. Dann kommen Mitarbeiter von Covid-Stationen und Menschen, die mit Covid-Patienten zu tun haben, weiter geht es altersmäßig hinunter bis Stufe 7 (gesunde Personen zwischen 16 und 60). Das „Problem“ ist: Es gibt keine Sanktionen für Abweichungen. Der Bund kauft die Impfung, die Länder verabreichen sie – und setzen gern Akzente. Ein paar Beispiele: Vorarlberg wollte im Jänner die Apotheker vorab impfen – andere Länder zogen nach. In fast allen Ländern haben die Bergretter Druck gemacht – und wurden schnell geimpft. Ähnlich verhält es sich bei anderen Jobs wie Pädagogen (in NÖ geimpft, in OÖ dauert’s bis Ostern).
Liegt es also an den Ländern, wer drankommt?
„Man muss zwei Dinge unterscheiden“, sagt Maria Paulke-Korinek, Impfexpertin des Gesundheitsministeriums. „Das eine sind die medizinisch-fachlichen Kriterien, nach denen die Prioritäten bei den Impfungen fixiert worden sind. Das andere sind Logistik und das Vorhandensein von Impfstoffen.“ Und die stellen jedes Bundesland vor andere Schwierigkeiten. „Sei es, weil Astra Zeneca bis vor Kurzem in erster Linie bei Personen unter 65 Jahren eingesetzt wurde, oder weil Hausbesuche mit dem Pfizer-Impfstoff nicht möglich waren. Oder auch, weil die Behältnisse mehrere Dosen beinhalten, und man entsprechend große Gruppen von Patienten braucht, um keine Impfdosen wegschmeißen zu müssen.“
Im Detail ist die Impfplanung schwierig. „Bei Pfizer beträgt die Mindestbestellmenge 18 Dosen pro Arzt. Das heißt: 15 Impfwillige kann ich nicht impfen, es sei denn, ich schmeiße etwas weg“, sagt der steirische Impfkoordinator Michael Koren. Dem nicht genug, sind große Liefermengen nach wie vor volatil. „Ich weiß, dass nächste Woche eine Lieferung Astra Zeneca kommen soll. Wie viel der Produzent liefert, kann er mir heute aber noch nicht sagen.“ Für Paulke-Korinek sind die Impfphasen ein potenzieller Frust-Faktor: „Ein Teil des Unmutes basiert wohl darauf, dass das Einteilen in Impfphasen für viele Menschen bedeutet, dass diese nacheinander ablaufen. In der Praxis sind die Übergänge aber fließend. Das heißt: Es kann passieren, dass einzelne Bundesländer mit (Alters-)Gruppen länger brauchen und daher der Eindruck entsteht, andere, die nicht so viele Menschen in dieser Alterskohorte haben, seien langsamer.“
Bekommt jedes Bundesland gleich viele Dosen?
Im Prinzip ja. Abgesehen von Sonderlieferungen wie für Schwaz in Tirol (hier hat die EU zur Eindämmung einer Virusvariante eine Sonderlieferung von 100.000 Dosen ermöglicht) erhält jedes Bundesland gemäß der Bevölkerung Anteil am österreichischen Kontingent. Mitunter ist das ein Problem. Denn Alters- oder Patientenstruktur werden nicht im Detail berücksichtigt. Während in Kärnten 3,1 Prozent der Wohnbevölkerung über 85 sind, sind es in Wien nur 2 Prozent. Das klingt nach wenig. Real geht es aber um Tausende Impfdosen – und die Unterschiede bestehen in allen Alters- und Risikogruppen.
Gibt es Missbrauch bei der Impfanmeldung?
Im großen Stil wurden keine Unregelmäßigkeiten entdeckt. Impfkoordinator Koren hat aber Anekdoten auf Lager: „Wir hatten einen 75-Jährigen, der sich mit einer Anmeldung für eine 100-Jährige vordrängen wollte.“ Ein Besucher einer Impfstraße habe behauptet, er sei von der Behörde. „Er wollte übrig gebliebene Impfdosen einsammeln. Aber wir haben das verhindert.“
Kommentare