Speicherung bringt „erhöhtes Missbrauchs-Risiko“

Österreich lässt nun wie Irland das umstrittene Gesetz vom EuGH in Luxemburg prüfen.

Für das federführend mit der Umsetzung der EU-Richtlinie betraute Ministerium, das Infrastrukturministerium, war die Vorratsdaten-Speicherung von Anfang an eine heiße Kartoffel: Um das Gesetz möglichst Grundrechte-schonend in Österreich zu verankern, wurde das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte mit dem Erstellen des Gesetzestextes betraut. Konkret ging es um Änderungen im Telekommunikationsgesetz. Dazu passende Bestimmungen gab es im Sicherheitspolizeigesetz und der Strafprozessordnung.

Gespeichert

Seit 1. April dieses Jahres müssen demnach Telekommunikationsunternehmen alle Verbindungsdaten von Handys, Telefonen und Internet für die Dauer von sechs Monaten speichern. Kaum war das Gesetz in Kraft, hagelte es Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof.

Diesen Beschwerden wird nun vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechnung getragen. Das Höchstgericht veranlasst eine Prüfung des EU-Gesetzes durch den Europäischen Gerichtshof in einem sogenannten Vorabentscheidungsverfahren. Grund: Es gibt Bedenken, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung der EU-Grundrechtecharta widersprechen könnte. Sechs Fragen hat der VfGH dazu formuliert.

Österreich ist nach Irland damit das zweite EU-Mitglied, dass die Vorratsdatenspeicherung darauf abklopfen lässt, ob sie im Einklang mit Grundrechten – etwa jenem auf den Schutz personenbezogener Daten steht.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger sagte, dem Höchstgericht sei bewusst, dass die Vorratsdatenspeicherung als Anti-Terrormaßnahme entwickelt wurde und die Verfolgung schwerer Straftaten zum Ziel habe. Aber: „Die Datenspeicherung erfolgt anlasslos bei Personen, die zufällig in das Blickfeld der Behörden kommen. Die Behörden sind über das private Verhalten dieser Personen informiert. Dazu kommt das erhöhte Missbrauchsrisiko.“

Erfreut

Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) freute sich über die Entscheidung der östererreichischen Höchstrichter. „Wir hoffen, dass die Prüfung Klarheit bringen wird.“

Laut VfGH dauert eine Gesetzes-Prüfung in Luxemburg rund 17 Monate. Solange das Vorabentscheidungsverfahren in Luxemburg läuft, werden die österreichischen Prüfverfahren ausgesetzt. Maßgebend bei einer der VfGH-Beschwerden war im übrigen jener Mitarbeiter des Boltzmann Institutes für Menschenrechte, der an der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht mitgearbeitet hat.

Während der EuGH prüft, gilt die Vorratsdatenspeicherung weiter – „sonst drohen Strafzahlungen der EU“, heißt es aus Bures’ Büro.
 

Die Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, also die generelle Speicherung personenbezogener Daten durch oder für öffentliche Stellen, hat einen Dämpfer erhalten. Denn der Wiener Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat erhebliche Bedenken.

„Vor Kurzem ist bei uns die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung eingelangt, mit der die Anträge der Kärntner Landesregierung, meines Mandanten und von rund 11.000 Vorratsdatenspeicherungs-Gegnern behandelt wurden“, bestätigt Anwalt Gerald Otto dem KURIER. „Es ist für uns ein großer Erfolg, dass der Verfassungsgerichtshof einige Fragen zu einer Vorabentscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorlegt.“ Nachsatz: „Der VfGH legt dem EuGH einige Fragen zur Klärung vor, weil er selbst Zweifel an der Gültigkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat.“ Die relevanteste Frage ist laut Anwalt Otto, ob die bestimmte Artikel der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit der Grundrechte-Charta der Europäischen Union vereinbar.“ „Sollte das nicht so sein, wäre die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nichtig und müsste in den Mitgliedsstaaten nicht angewendet werden“, meint der Anwalt.

Entscheidung im Detail

„Die Bedenken der Antragsteller gründen sich vor allem auf die hohe Eingriffsintensität der Vorratsdatenspeicherung. Diese wird durch mehrere Faktoren bestimmt. Zunächst enthält die Richtlinie einen zeitlichen Rahmen für die Speicherungsfristen, der von sechs Monaten bis zu zwei Jahren reicht. Diese Frist ist unter Berücksichtigung des Umfangs der zu speichernden Daten zu beurteilen. Nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes begegnet die Speicherungsfrist erheblichen Bedenken“, heißt es in der Entscheidung. „Die Vorratsdatenspeicherung erfasst darüber hinaus fast ausschließlich Personen, die keinerlei Anlass für die Datenspeicherung gegeben haben. Gleichzeitig werden sie durch den nationalen Gesetzgeber einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein, nämlich dass Behörden ihre Daten ermiteln, ihren Inhalt zur Kenntnis nehmen und sich damit über privates Verhalten solcher Personen informieren und diese Daten für andere Zwecke weiterverwenden; etwa als Folge der zufälligen Anwesenheit in einer bestimmten Funkzelle zu einem Zeitpunkt, der für Ermittlungen der Behörde relevant ist.“

Risiko des Missbrauchs

Weiter heißt es dazu: „Hinzu kommt das erhöhte Risiko des Missbrauchs“. „Angesichts der Vielzahl der Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen und damit von Speicherungsverpflichteten hat ein nicht überblickbarer Kreis von Personen Zugriff auf gemäß der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie auf Vorrat für mindestens sechs Monate zu speichernde Verkehrsdaten“, meinen die Verfassungsrichter. „Die Sicherung vor Missbrauch dürfte ungeachtet der Anstrengungen des nationalen Gesetzgebers vor allem deshalb auf ‚strukturelle Grenzen’ stoßen, weil auch kleinere Dienste-Anbieter erfasst werden, die im Hinblick auf Sicherungen vor Missbrauch schon allein wegen ihrer geringeren Größe nur begrenzt leistungsfähig sind.“

Diese Fragen legt der Verfassungsgerichtshof dem EuGH vor:

1. Zur Gültigkeit von Handlungen von Organen der Union:

Sind die Art. 3 bis 9 der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsdatenspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG mit Art. 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar?

2. Zur Auslegung der Verträge:

2.1. Sind im Lichte der Erläuterungen zu Art. 8 der Charta, die gemäß Art. 52 Abs. 7 der Charta als Anleitung zur Auslegung der Charta verfasst wurden und vom Verfassungsgerichtshof gebührend zu berücksichtigen sind, die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr und die Verord‐nung (EG) 45/2001 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemein‐schaft und zum freien Datenverkehr für die Beurteilung der Zulässigkeit von Eingriffen gleichwertig mit den Bedingungen nach Art. 8 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 1 der Charta zu berücksichtigen?

2.2. In welchem Verhältnis steht das in Art. 52 Abs. 3 letzter Satz der Charta in Bezug genommene "Recht der Union" zu den Richtlinien im Bereich des Datenschutzrechts?

2.3. Sind angesichts dessen, dass die Richtlinie 95/46/EG und die Verord‐nung (EG) 45/2001 Bedingungen und Beschränkungen für die Wahrnehmung des Datenschutzgrundrechts der Charta enthalten, Änderun‐gen als Folge späteren Sekundärrechts bei der Auslegung des Art. 8 der Charta zu berücksichtigen?

2.4. Hat unter Berücksichtigung des Art. 52 Abs. 4 der Charta der Grundsatz der Wahrung höherer Schutzniveaus in Art. 53 der Charta zur Konsequenz, dass die nach der Charta maßgeblichen Grenzen für zulässige Einschränkun‐gen durch Sekundärrecht enger zu ziehen sind?

2.5. Können sich im Hinblick auf Art. 52 Abs. 3 der Charta, Abs. 5 der Präam‐bel und die Erläuterungen zu Art. 7 der Charta, wonach die darin garantierten Rechte den Rechten nach Art. 8 EMRK entsprechen, aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK Gesichtspunkte für die Auslegung des Art. 8 der Charta erge‐ben, die die Auslegung des zuletzt genannten Artikels beeinflussen?

II.

Die Gesetzesprüfungsverfahren werden nach Vorliegen der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union fortgesetzt werden.

Speicherung bringt „erhöhtes Missbrauchs-Risiko“

Es ist ein wichtiger Etappensieg“, sagt der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser zur Vorlage der Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung an den europäischen Gerichtshof. Der Politiker hat im Juni dieses Jahres zusammen mit dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) offiziell eine Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung eingebracht, die von insgesamt 11.139 Bürgern mitgezeichnet war. Darunter befinden sich mit Josef Hader, Robert Menasse, dem Datenschützer Max Schrems, dem Ex-Ärztekammer-Präsidenten Walter Dorner oder der Grünen-Chefin Eva Glawischnig auch zahlreiche prominente Unterstützer. Zudem hatte auch die Kärntner Landesregierung eine Beschwerde eingebracht.

Klares Zeichen

Sie alle finden, dass die Vorratsdatenspeicherung einen unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen darstellt und einen Verlust der Unschuldsvermutung und der Meinungsfreiheit mit sich bringt und wollten die Umsetzung der EU-Richtlinie in Österreich deshalb geprüft haben. „Der Verfassungsgerichtshof hat mit seiner Entscheidung ein klares Zeichen in Richtung Politik gesetzt. Wir sehen uns bei unseren Bedenken bestätigt“, sagt Andreas Krisch vom AK Vorrat gegenüber dem KURIER, der es zugleich „etwas schade“ findet, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof das Gesetz, anders als das deutsche Bundesverfassungsgericht, nicht außer Kraft setzen kann.
 

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