Experten: Lockdown verlängern, Homeoffice-Pflicht und FFP2-Masken für alle
Die Zeichen stehen auf Alarm: Durch die ansteckendere Virus-Mutation hat sich die Corona-Situation wieder verschärft. Eigentlich wollte die Regierung den derzeitigen harten Lockdown mit 24. Jänner beenden und eine leichte Öffnung beschließen. Das ist mittlerweile unrealistisch. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) rechnete bereits am Freitag mit einer Verlängerung des Lockdowns "bis weit in den Februar hinein". Ein finales Statement der Regierung wird es am Sonntag geben.
Am Samstagvormittag äußerte sich eine Expertenrunde nach einem Treffen mit Regierungsvertretern. Auch sie empfahl eine Verlängerung des Lockdowns und härtere Maßnahmen. Wohl in Abstimmung mit Bund und Ländern, denn beim Treffen zwischen Experten und Regierung waren die Landeshauptleute laut KURIER-Informationen per Video zugeschaltet.
FFP2-Make und mehr Abstand
Die Sieben-Tages-Inzidenz müsse weiter gesenkt werden, und zwar deutlich unter 50. Das sei "jedenfalls ein Grenzwert", sagte Oswald Wagner, Vizerektor für Klinische Angelegenheiten der Med Uni Wien. Die Inzidenzen liegen derzeit in Österreich zwischen 130 und 150 - und damit "viel zu hoch" für eine Lockerung des Lockdowns. Ein genereller Lockdown bis zum Erreichen der Inzidenz von 50 sei vernünftig. Das dürfte etwa zwei bis drei Wochen ab dem 25. Jänner in Anspruch nehmen. Ab dann könne man über Öffnungsschritte nachdenken.
"Das Ziel ist aus unserer Sicht, nach einem Ende des geltenden Lockdowns bis zum Schutz der vulnerablen Gruppen durch Impfung ohne einen weiteren Lockdown auszukommen", sagte Wagner. Wie? "Das geht aus unserer Sicht durch die Einführung einer generellen FFP2-Masken-Pflicht in geschlossenen Räumen." Zudem müsse der Mindestabstand von ein auf zwei Meter erhöht und mit regelmäßigem Testen der gesamten Bevölkerung begonnen werden. "Ich denke, dass wir damit das Ziel erreichen können, dass kein weiterer Lockdown notwendig ist."
Die FFP2-Masken "bieten wirklich einen enormen Schutz", um die Zahlen langfristig niedrig zu halten, meinte Wagner. Deshalb sollen sie auch billiger werden und zum Selbstkostenpreis von einem Euro pro Stück erhältlich sein.
Rede von Oswald Wagner
Verpflichtendes Homeoffice
Bei einem weiteren Punkt wird Wagner besonders deutlich: "Es muss, glaube ich, auch das Homeoffice verpflichtend werden." Es sei wirklich wichtig, dass man die Bewegung der Menschen auf das Niveau während des ersten Lockdowns drücke. Das sei ohne verpflichtendes Homeoffice nicht möglich sein, sagte Wagner.
Was machen dann Eltern, die im Homeoffice arbeiten? "Diese Eltern können und sollten dann auch ihre Kinder zu Hause betreuen, damit sie nicht in die Schule gehen müssen", so Wagner.
"Englische oder irische Zustände verhindern"
Virologe Andreas Bergthaler warnte vor einer explosionsartigen Ausbreitung der neuen Virus-Variante. "Das ist eine Herausforderung, vor der ganz Europa steht." In Österreich habe man mittlerweile "viele, unterschiedliche Hinweise, dass sich die Variante im Land" befinde. Mittlerweile gibt es mehr als 100 Verdachtsfälle. "An sich ist es immer noch ein SARS-Coronavirus-2", sagte Bergthaler. Es sei aber ein Gebot der Stunde, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um möglichst früh "englische oder irische Zustände zu verhindern".
Andreas Bergthaler: Neue Variante großflächiger vorhanden
Herwig Ostermann sagte, es gebe mehrere Strategien, die neue Virus-Variante zu detektieren - etwa Abwassertests. Ein "Stand der Diskussion" sei, wie viel infektiöser die Mutation tatsächlich ist. Bisher wurden eine höhere Infektiösität um 50 Prozent kolportiert. "Wir sehen die Variante immer nur im Gegenspiel mit den gegebenen Schutzvorkehrungen", sagte Ostermann. Grundsätzlich gehe man aber von einer höheren Infektiösität aus. Klare Prognosen für die kommenden Wochen seien jedoch schwierig.
Grundsätzlich gelte, so Ostermann: "Es ist das viel zitierte Match der neuen Variante versus Impfung." Jetzt könne jeder einen Beitrag leisten, in welche Richtung dieses Match entschieden werde.
Dass die Variante da sei, daran bestehe kein Zweifel, betonte Wagner: "Ob jetzt der eine oder andere noch aus England einreist, wird das Bild nicht mehr verändern."
Herwig Ostermann: "Ausbreitung und Infektiosität für Modellierung entscheidend"
Neuwirth: "Wir müssen mehr tun"
Mathematiker und Statistiker Erich Neuwirth sagte: "Es ist kein Abwärtstrend erkennbar. Das ist das, was wir jetzt brauchen würden." Die derzeitigen Maßnahmen und die Tatsache, dass sich ein Teil der Bevölkerung offenbar nicht daran halte, seien ein klares Indiz, dass härtere Maßnahmen getroffen werden müssen. "Die Folge daraus ist: Wir müssen mehr tun", sagte Neuwirth. Die FFP2-Maske vorzuschreiben, erscheine ihm sehr vernünftig, sagte Neuwirth - trotz Impfung. Denn auch in Israel, wo die Durchimpfungsrate bereits hoch ist, steige die Zahl der Todesfälle und Neuinfektionen.
Erich Neuwirth: "Müssen mehr tun"
Kaiser: Geht an Lebensrealität der Eltern vorbei
Auch der Simulationsexperte Niki Popper (TU Wien), Stefan Thurner vom complexity Science Hub und Virologin Elisabeth Puchhammer nahmen an der Expertenrunde teil. Landeshauptmann Kaiser forderte bei diesem Gespräch, darauf zu achten, dass Maßnahmen auch realistisch umsetzbar sind: "Es nützt nichts, wenn mathematische Überlegungen am Reißbrett gezeichnet werden, die in der Theorie funktionieren, die die Menschen aber nicht leben können." Homeoffice zur Pflicht zu machen, damit diese Eltern dann auch gleichzeitig ihre Kinder zu Hause betreuen sollen, gehe an der Lebensrealität von Eltern komplett vorbei.
Im Anschluss stand noch ein Gespräch mit den Sozialpartnern im Kanzleramt an. Am Abend soll es dann eine weitere Videokonferenz der Bundesregierung mit den Landeshauptleuten geben. Mit der Verkündigung der Entscheidung über das weitere Vorgehen hinsichtlich des Lockdowns ist am Sonntag zu rechnen, um 11 Uhr ist eine Pressekonferenz im Kanzleramt angekündigt.
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