Vom Schulterschluss zum Misstrauensantrag: Das Corona-Jahr der Parteien
Kurz vor Weihnachten hielt der Nationalrat heuer seine letzte Sitzung ab, und sie war gleichzeitig eine der heftigsten politischen Debatten des Jahres. Kein vereinter Kampf gegen das menschenfeindliche Virus, wie es im März noch ansatzweise der Fall gewesen war. Im zehnten Monat der Pandemie haben die Parteien ihre Positionen bezogen. Die FPÖ und zunehmend auch die Neos profilieren sich als heftigste Kritiker der Corona-Maßnahmen der Regierung. Die Streitpaarung am Jahresende lautet: Türkis-Grün gegen Blau-Pink.
Nicht im Schützengraben, sondern auf dem offenen Feld agiert FPÖ-Klubchef Herbert Kickl in dieser Nationalratssitzung am 21. Dezember. Der FPÖ-Hardliner bemüht martialische Sprachbilder wie "Bomben unter dem Weihnachtsbaum", "Anschläge" auf die Bevölkerung, "Jagd auf Symptomlose". Er spricht von "Test-Apartheid", DDR und drohender Diktatur: Kickls verbale Injurien als alte/neue Linie der FPÖ.
Corona im Nationalrat: So ticken die Parteien
Sie bedienen das Lager der Maßnahmen-Kritiker und -Verweigerer, lassen massiven Raum für Impfgegner und genügend Platz für waschechte "Corona-Leugner". Er bezeichnet die Bevölkerung nicht unabsichtlich als "Versuchskaninchen der Pharmaindustrie" und warnt vor einer "Durchimpfung". "Dahin geht die Reise, in Richtung einer Zwangsimpfung", sagt Kickl.
In das Corona-Jahr gestartet ist die FPÖ mit dem Ruf nach scharfen Maßnahmen (die dann mit dem ersten Lockdown auch kamen). Aber das war einst, im März.
Dahin geht die Reise, in Richtung einer Zwangsimpfung.
Als der wackere FPÖ-Klubchef im Parlament ohne Maske auftritt, fühlt sich Kanzler Sebastian Kurz zum Sticheln verleitet. "Das ist nicht besonders männlich, wenn man keine Maske aufsetzt", belehrt er den Blauen.
Echte Männer tragen Maske.
Der Kanzler zeichnet sich in diesem Pandemie-Jahr öfter mit schlechtem Timing aus. "Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist", sagt Kurz am 30. März. Monatelang für diese Angstmache scharf kritisiert, kramt Kurz das Zitat wieder hervor, als die Todeszahlen im Herbst leider doch merklich steigen.
Statt des weichen Lockdowns am 3. November hätte Kurz lieber gleich einen harten verordnet und die Schulen geschlossen, sagt der Kanzler.
Sein Pech: Wenig vorher hat er noch "Licht am Ende des Tunnels" erblickt - zu einem Zeitpunkt, als sich in Europa bereits die zweite Welle aufzubauen beginnt.
Das ist nicht besonders männlich, wenn man keine Maske aufsetzt.
Kritik gibt es nicht nur an den Sprachbildern des Kanzlers, sondern allgemein an den Maßnahmen der Regierung. Die Verordnungen: zu kurzfristig erstellt, teils nicht verfassungskonform. Die Corona-Ampel: nicht durchdacht. Lockdowns: willkürlich verordnet.
Bei all diesen Kritikpunkten mitgemeint: die Grünen. Sie agieren bei den Maßnahmen im Einklang mit dem Regierungspartner und tragen diese mit. Selbst, wenn sie von kurzfristig angekündigten Massentests überrascht werden. Gesundheitsminister Rudolf Anschober bleibt ungerührt, gesteht Fehler, bewahrt Ruhe. Die Bevölkerung dankt es ihm mit hohen persönlichen Zustimmungsraten.
Grüne Politik kommt neben Corona wenig zur Geltung. Das Virus verdrängt den Klimawandel von der Agenda. Einmal zeigt Vizekanzler Werner Kogler doch Flagge und setzt dem Kanzler Grenzen: Er wirft Kurz "mangelnde Sensibilität" vor, weil dieser allzu sehr "Reiserückkehrer vom Westbalkan" für das Einschleppen des Virus verantwortlich gemacht hatte.
In den neun Monaten Pandemie gibt es zwischen türkisem Kanzleramt und grünem Gesundheitsministerium zwar häufig Reibereien, aber diese münden nicht in einem unkittbaren Zerwürfnis. Angriffe wie jene der FPÖ im Parlament schweißen die Regierung eher zusammen.
Ich finde es nicht sehr verantwortungsvoll, wenn jene, die hier ohne Masken sitzen, am lautesten heraus plärren und sich als Aerosol-Verbreiter betätigen.
Was wir zudem gelernt haben: Auch Kogler hat seine autoritären Seiten. Mitte März droht er Sportvereinen, die nicht sofort den Trainingsbetrieb einstellen, mit Sanktionen: "Dann können sie alle Sportförderungen für die nächsten Jahre vergessen."
Und auf einen groben Klotz weiß er einen groben Keil zu setzen. "Ich finde es nicht sehr verantwortungsvoll, wenn jene, die hier ohne Masken sitzen, am lautesten herausplärren und sich als Aerosol-Verbreiter betätigen", sagt der Vizekanzler zum blauen Klubobmann.
Gar Lob von der Regierung erhält zum Jahresende SPÖ-Parteiobfrau Pamela Rendi-Wagner für ihr konstruktives Vorgehen. Kein Wunder, hat die SPÖ doch bei den meisten Maßnahmen mitgestimmt. Die SPÖ-Chefin - als Epidemiologin kennt sie sich in der Materie aus - stellt Sachlichkeit vor Parteipolitik. Eine Schnelltest-Strategie für Veranstaltungen - wie sie nun ab 18. Jänner 2021 gelten soll - schlägt Rendi-Wagner bereits Anfang Oktober 2020 vor. Auch eine "Weihnachtsruhe", die dann in Form des harten Lockdowns tätsächlich verordnet wurde, hatte zuerst Rendi-Wagner eingefordert.
Dennoch wirkt die Linie der SPÖ mitunter wie ein Zickzack-Kurs. Das könnte an ihren Wählern liegen. Laut KURIER-OGM-Umfrage ist ein Drittel der SPÖ-Wähler mit den Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung zufrieden, ein Drittel will härtere Maßnahmen, einem Drittel sind die Maßnahmen zu hart.
Keiner von uns hat je behauptet, dass die Bundesregierung nichts macht. Aber ich sage auch, dass es nicht genug ist.
Da ist es für eine Parteiführung nicht leicht, eine Linie zu finden. Im November beispielsweise stimmt die SPÖ wegen der Schulschließungen gegen den verschärften Lockdown, gleichzeitig wirft Rendi-Wagner der Regierung vor, nicht hart genug durchzugreifen. Symptomatisch ihre Aussage am 10. Dezember im Parlament: "Keiner von uns hat je behauptet, dass die Bundesregierung nichts macht. Aber ich sage auch, dass es nicht genug ist, dass es der Dimension dieser Krise nicht gerecht wird."
Innerhalb der SPÖ gibt es durchaus Stimmen, die sich eine härtere Gangart gegen die Regierung wünschen würden. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker etwa reagiert verärgert, wenn ihn Verordnungsentwürfe des Gesundheitsministeriums erst erreichen, nachdem schon das letzte Kirchenblatt darüber berichtet hat. Grundsätzlich tragen aber auch Wien und Kärnten die Linie der Bundesregierung mit. Anschauliches Beispiel: Bürgermeister Michael Ludwig und Kanzler Kurz beim gemeinsamen Antigen-Test in der Messe Wien.
Und wie haben sich die Neos positioniert? Transparenz in allen Bereichen, Rechtsstaatlichkeit der Maßnahmen und offene Schulen: Das waren von Beginn an die erkennbaren Anliegen der Pinken. Im Lauf der Monate wird ihre Kritik aber immer rauer - und es gipfelt darin, dass sich die Pinken in der letzten Sitzung des Jahres plötzlich an der Seite der FPÖ wiederfinden.
Als einzige Partei stimmen sie am 21. Dezember dem blauen Misstrauensantrag gegen die türkis-grüne Regierung zu, den Kickl zuvor einigermaßen abstrus in der Sache und radikal im Ton begründet hatte.
Blau-Pink gegen Türkis-Grün. Die SPÖ verkneift es sich, da mitzumachen.
Sie nehmen dieses Parlament nicht ernst und dementsprechend haben wir das Vertrauen in Sie verloren.
Doch Parteichefin Beate Meinl-Reisinger hatte ihr Fazit zur Regierungsarbeit bereits gezogen: "Sie haben die zweite Corona-Welle sehr, sehr schlecht gemanagt." Und Stellvertreter Nikolaus Scherak legte nach: "Sie reagieren und regieren immer noch über Pressekonferenzen. Sie halten die Bundesverfassung und unsere Grund- und Freiheitsrechte für juristische Spitzfindigkeiten. Sie nehmen dieses Parlament nicht ernst und dementsprechend haben wir das Vertrauen in Sie verloren."
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