Florian Krammer ist 39 Jahre alt und bereits an der Spitze seiner akademischen Karriere angelangt. Er ist Professor an einer der führenden medizinischen Universitäten der Welt, wo er das Labor für Virologie leitet. Von 8.000 Bewerbungen als Doktoranden werden hier, an der Icahn School of Medicine in New York, gerade einmal 180 aufgenommen.
Begonnen hat alles im kleinen Ort Pack am Sattel in der Steiermark. Schon als Bub sammelte Krammer Pflanzen und bestimmte sie. An der Universität für Bodenkultur in Wien kam er erstmals mit Virenforschung in Kontakt. Vor allem das gefährliche Hantavirus, das in der Steiermark immer wieder für Erkrankungen sorgt, erregte sein Interesse.
Heute sitzt Florian Krammer in einem Büro mit Blick über den Central Park. Eigentlich hätte es nur ein Auslandsjahr werden sollen, nun sind es schon zwölf. Seit der Pandemie ist Krammer auch in Österreich ein bekannter Wissenschafter. Hinter seinem Schreibtisch an der Wand hängen Bilder von den Wäldern auf der Pack.
KURIER: Herr Krammer, Sie beschäftigen sich mit Viren, die schwere und tödliche Krankheiten auslösen. Was fasziniert Sie daran – etwas Unbekanntes zu erforschen oder zu helfen, indem Sie Impfstoffe entwickeln?
Florian Krammer: Beides. Diese Viren haben alle möglichen Mechanismen, wie sie unseren Körper schwächen und uns krank machen können. Und der Körper hat Mechanismen, das abzuwehren. Das ist ein interessanter Krieg, der zwischen Viren und Immunsystem stattfindet. Das führt uns zu Impfstoffen. Grundsätzlich ist mein Antrieb schon eher die Kuriosität, als dass ich die Welt retten muss. In der Pandemie hat sich das aber geändert. Da haben wir viel gemacht, was wissenschaftlich gar nicht so interessant war, aber wichtig war, um etwas gegen die Pandemie zu tun und Menschen zu schützen.
Der Forscher: Florian Krammer, 1982 in Pack in der Steiermark geboren, studierte Biotechnologie an der Boku Wien und arbeitet als Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine in NY
Das Institut: Die „Icahn School of Medicine at Mount Sinai“ ist eine private Medizin-Uni, der akademische Arm des „Mount Sinai Health System“. Der Name „Icahn“ stammt von Großspender Carl Icahn, einem strategischen Investor
Die Forschung: Krammer ist spezialisiert auf Influenzaviren und die Entwicklung von Impfstoffen. Er beschäftigt sich mit Ebola, FSME oder dem Hantavirus, das Rötelmäuse übertragen
Marburg, Ebola, Gelbfieber: Stimmt der Eindruck, dass uns exotische Krankheiten immer näher kommen?
Da tut sich tatsächlich Spannendes, es spielen viele Faktoren mit, auch der Klimawandel. Durch die Klimaerwärmung überwintern in Europa immer häufiger neue Mücken- und Zeckenarten. Und in denen können sich dann Viren wie das exotische Dengue-Virus vermehren und Menschen gefährlich werden.
Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Es gibt riesige Zecken, Hyaloma Zecken, zum Beispiel in der Türkei, die das ziemlich tödliche Krim-Kongo-Fieber übertragen. Diese Zecken tauchen langsam auch bei uns auf. Oder: Das Marburg- und das Ebolavirus haben einen Verwandten in Spanien, das Cuevavirus, von dem man nicht weiß, wie gefährlich es für Menschen ist. Es wurde mittlerweile in Fledermäusen in Ungarn gefunden und könnte auch zu uns gelangen. Es ist wahnsinnig viel unterwegs da draußen in der Natur, und es ist sehr interessant, da hinzuschauen.
Um den Ursprung des Marburg-Virus zu finden, hat sich ein Forscher bei 40 Grad Hitze eine Art Astronautenanzug angezogen und in ägyptische Minen geklemmt, um Fledermäuse aufzuspüren. Würden Sie so eine Expedition auch machen?
Grundsätzlich schon. Aber in diesen Minen waren auch viele Schlangen, auch Kobras, weil sie Fledermäuse fressen. Schlangen sind mein Albtraum.
Haben Sie im Wissen um die Gefährlichkeit noch keine Virenphobie entwickelt?
Vor Virusinfektionen habe ich grundsätzlich keine Angst. Viele Viren stellen eigentlich nichts an oder sind für Menschen harmlos. Man sollte aber wissen, was unterwegs ist, um die Risiken zu kennen und sich dann entsprechend zu verhalten.
Wie entsteht ein Impfstoff?
Am Beginn schauen wir uns an, wie das Immunsystem eines Menschen oder eines infizierten Tieres mit einem Virus umgeht. Daraus leitet man ab, wie ein Impfstoff aussehen muss, damit er optimal funktioniert. Dann wird der Impfstoffkandidat getestet, bei Influenza sind es meistens Mäuse, bei Corona meist Hamster. Man impft diese Tiere und infiziert sie und schaut, ob man die beabsichtigte Reaktion des Immunsystems erreicht hat. Wenn alles passt, wird als nächster Schritt beim Menschen getestet.
Derzeit arbeiten Sie an einem Corona-Impfstoff, den man als Nasenspray nimmt.
Ja, gemeinsam mit Peter Palese und Adolfo Garcia-Sastre. Dieser Impfstoff befindet sich in klinischen Studien in den USA und in Mexiko und wird frühestens Ende 2023 auf dem Markt sein. Die Idee ist: Wenn man durch einen intranasalen Impfstoff in den oberen Atemwegen eine starke Immunität aufbaut, kann man nicht nur vor Erkrankungen schützen, sondern hoffentlich auch vor Infektionen. Idealerweise könnte man Infektionswellen aufhalten.
Derzeit sind wieder neue, sehr evasive Omikron-Varianten aufgetaucht. Droht uns ein weiterer Lockdown?
Die Angst, dass wieder alles zugesperrt wird, braucht keiner mehr realistisch zu haben. Die Idee der Lockdowns war ja eine andere: So lange man keine Gegenmittel hatte und viele Tote zu erwarten waren, behalf man sich mit Lockdowns. Jetzt haben wir Impfstoffe und es gibt Medikamente, die gut funktionieren. Die Gefahr eines neuen Lockdowns sehe ich nicht.
Viele Politiker, zuletzt Joe Biden, sagen, die Pandemie sei vorbei. Stimmt das?
Es gibt nach wie vor eine signifikante Anzahl von Toten, aber ob man noch von Pandemie sprechen sollte oder ob man in ein endemisches Szenario übergangen ist, ist schwer zu definieren. Wir sind jedenfalls nahe dran an dem Punkt. Die Lage hat sich sehr weit normalisiert – wobei für Leute mit unterdrücktem Immunsystem weiter hohes Risiko besteht. Und Long Covid ist ein Problem.
Wie sollen sich die Leute auf den Herbst vorbereiten?
Mit dem angepassten Impfstoff die Impfung auffrischen. Die Ärzte sollten großzügig Paxlovid verschreiben, wenn jemand positiv getestet ist. Damit federt man viele schwere Erkrankungen ab.
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