Ukraine-Krise ist nicht vorbei, aber "Putin hat schon gewonnen"

Ukraine-Krise ist nicht vorbei, aber "Putin hat schon gewonnen"
Meldungen von einer Entspannung schenkt Riho Terras, Estlands Ex-Armeechef, keinen Glauben. Russland werde die Ukraine "immer weiter als Geisel" halten.

Als ehemaliger Armeechef von Estland hat Riho Terras tieferen Einblick in die militärischen Spannungen rund um die Russland-Ukraine-Krise. An eine Entspannung mag der EU-Abgeordnete noch nicht glauben.

KURIER: Wie schätzen Sie die jüngsten Meldungen von einem russischen Truppenabzug ein?

Riho Terras: Noch hat es keiner gesehen. Ich glaube es erst, wenn auch die NATO dies bestätigt. Aber auch wenn es heute nicht zu einem Konflikt kommt, bleibt die Lage doch so, dass es sich Putin aus seiner Sicht nicht leisten kann, die Ukraine an die westlichen Demokratien zu verlieren. In den kommenden Jahren wird Putin immer wieder die gleiche Erpressung versuchen. Er wird die Ukraine immer wieder als Geisel nehmen. Die Krise ist nicht vorbei.

Worum geht es Putin?

Darum, dass in Kiew eine Regierung sitzt, die unter seinem Einfluss steht. Er sieht ja die Ukraine nicht als eigenständiges Land. Die Ukraine mit ihren riesigen Bodenschätzen, mit ihrem großen landwirtschaftkichen Sektor ist auch der fünfgrößte Waffenproduzent der Welt.

Es geht aber auch um die Kirche: Wenn sich die ukrainisch-orthodoxe Kirche der griechisch-orthodoxen Kirche zuwendet – und dass tut sie teilweise schon –, dann ist die russische nicht mehr die größte orthodoxe Kirche der Welt. Das ist ein sehr emotionales Thema.

Putin wird nächstes Jahr 70: Und er will nicht als jemand in die Geschichte eingehen, der die Ukraine verloren hat.

Aber wäre ein Truppenabzug kein Signal der Entspannung?

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Dann wird der Westen froh sein und Putins Tun vergolden und immer weiter das russische Gas nutzen, für das wir jetzt teuer bezahlen. Österreich ist ja auch in hohem Maß von russischem Gas abhängig.

Dann hätte Putin mit seinem Vorgehen gewonnen?

Er hat schon heute gewonnen. Vorher hat keiner mit ihm gesprochen – jetzt haben ihn alle, die Rang und Namen haben, getroffen: Biden, Macron, Scholz. Und was haben sie erreicht? Die NATO hat zwar nicht nachgegeben. Aber ich denke, die USA waren schon bereit, über Raketenstellungen zu reden.

Ist ein Krieg immer noch möglich?

Krieg ist eine Kombination von Fähigkeit und Willen. Die russischen Truppen sind darauf vorbereitet, Krieg zu führen. Und jetzt hängt es nur von Putin ab. Und dabei es ist nie wichtig, was er sagt, sondern was er denkt. Aber keiner kann in seinen Kopf hineinschauen.

Er ist wie ein Straßenkämpfer: Er ist klein – und muss sich deshalb groß zeigen. Er versteht keine Diplomatie. Und da liegt der Fehler des Westens: Wenn Putin Eishockey spielen will, dann können wir Europäer nicht Eiskunstlauf um ihn herum tanzen.

Hätte die NATO bei einer Invasion Russlands in der Ukraine zugesehen?

Ja, denn die NATO greift nicht ein, wenn sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Und zweitens ist die Ukraine kein NATO-Mitglied.

Aber wenn alles nun doch eine friedliche Richtung nimmt...

Es ist aber nicht friedlich. In der Ostukraine sterben jeden Tag Menschen. Und auch wenn Putin nun nicht angreift, hat er gewonnen. Dann wird er die Krim und die Donezk-Region völlig konsolidieren.

Ukraine-Krise ist nicht vorbei, aber "Putin hat schon gewonnen"

Estlands früherer Generalstabschef Riho Terras (Archibvild, 2018). Seit nunmehr zwei Jahren ist Terras Abgeordneter zum EU-Parlament (Europäische Volkspartei EVP)

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