Türkei-Spitzelopfer als Mutmacher

Erdogan-Kiritiker Bilal Baltaci
Was ein couragiertes Outing im KURIER auslöste.

Er ist einer von 300.000 Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Österreich leben. Sein Name steht auf einer jener umstrittenen Listen, die Erdoğan-treue Vereine nach Ankara gemeldet haben. Bilal Baltaci.

Der 25-Jährige ist einer der wenigen, der die Courage hat, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan auch öffentlich zu kritisieren. Kritiker des "Sultan" haben in der Türkei Sanktionen erwarten. "Imame werden weiterhin gesteuert", hielt Baltaci im Sonntag-KURIER-Interview vor einer Woche dennoch mit seiner Kritik nicht hinter den Berg, "Ich bin davon überzeugt, dass Vereine wie ATIB aus Ankara finanziert werden."

Türkei-Spitzelopfer als Mutmacher
Der gebürtige Türke geht – wie der Grüne Peter Pilz – davon aus, dass der Moscheen-Dachverband ATIB und die Union Europäisch-Türkischer Demokraten von Erdoğans Partei AKP indirekt finanziert werden und in deren Auftrag Gegner in Österreich bespitzeln. Indizien werden derzeit von Behörden auf ihre "strafrechtliche Substanz" hin überprüft. "Vielleicht ist das der Grund, warum sich die AKP-Anhänger nach dem KURIER-Interview nicht zu Wort gemeldet haben", sagt Baltaci nun eine Woche später. "Weil sie nicht wissen, was in Österreich seitens Behörden und Politik mit den Vereinen passieren wird. Es könnte Taktik sein, dass sie sich so ruhig verhalten."

Er selbst habe "überwiegend positive Reaktionen" bekommen, sei in Diaspora-Medien zitiert und als "Mutmacher" bezeichnet worden. Dass auf Facebook auch von "Staatsverräter" und "Gülen-Anhänger" (Fethullah Gülen wird von Erdoğan für den gescheiterten Putsch im Sommer 2016 verantwortlich gemacht und lebt in den USA im Exil) die Rede war, müsse er in Kauf nehmen. Angst vor Repressalien hat er nicht.

Unabhängige Plattform für Exiltürken

Bilal Baltaci will weitermachen. Aufmerksam machen auf die Geschehnisse in der Türkei und die Auswirkungen auf Österreich. "Ein Muslim, der zum Freitagsgebet geht, hat eigentlich nur die Möglichkeit, eine Europa-feindliche und Erdoğan-freundliche Predigt zu hören.

Es sollte, es muss Alternativen geben." Mit Alternativen meint der im Zillertal aufgewachsene und nun in Wien lebende Baltaci, dass in Moscheen auch auf Deutsch gepredigt oder – wenn schon auf Türkisch – kontrolliert werden soll. Alternativen seien insbesondere auch im Medienbereich gefragt.

Erdoğan, der die Pressefreiheit in seinem Land mit Füßen tritt (er ließ nach dem Putschversuch zahlreiche Zeitungen, Radio- und TV-Stationen für immer schließen), steuert Informationen. Dies aufzuzeigen und unabhängig über türkische Innenpolitik für die türkischsprechende Bevölkerung in ganz Europa zu berichten – das ist das Ziel der Online-Plattform kronos.news, für die Baltaci tätig ist.

"Recep Tayyip Erdoğan sagt, er will die Türkei und die Türken beschützen. Man muss den Exil-Türken erklären, dass sie in Österreich in einem Land leben, wo niemand sie beschützen muss, weil Österreich eine Demokratie ist, in der europäische Werte gelten." Erdoğan hat andere Werte und Pläne. Er will die türkische Verfassung ändern, ein Präsidialsystem und unter anderem die Todesstrafe einführen. Um möglichst viele Wählerstimmen für das Referendum am 16. April zu gewinnen, lässt der Präsident bei Staatsbürgern im In- und Ausland dafür werben.

In Deutschland, wo rund 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken leben, gehen derzeit die Wogen hoch. Nachdem der türkische Premier Binali Yıldırım vergangenen Samstag eigens nach Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) reiste, um vor mehr als 10.000 Menschen mit dem Slogan "Wer sein Land liebt, sagt Ja!" für das Referendum zu werben, soll Erdoğan nun selbst in Deutschland auftreten wollen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung will das verhindern und sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert. "Es ist Aufgabe des Bundes, dafür zu sorgen, dass solche Auftritte weder in NRW noch irgendwo anders in Deutschland stattfinden", sagt Landesinnenminister Ralf Jäger.

"Wenn Deutschland den Auftritt untersagt, dann wird Erdoğan wohl in die Niederlande oder nach Frankreich gehen", sagt Baltaci im KURIER-Gespräch. Dass der Präsident auch in Österreich um Stimmen werben wird, das schließt er aus. "Österreich ist nach den Berichten und der Kritik an den Vereinen wohl das letzte Land, in dem er auftreten würde." Das werde aber nichts am Wahlausgang ändern. "Erdoğan kann nicht gestoppt werden, weil er Militär, Polizei – alle Behörden im Griff hat. Ich sehe nicht, dass in der Türkei reguläre Wahlen stattfinden werden."

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