Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan

Schieder, Strache, Lopatka, Aslan, Strolz und Lugar bei der Unterschriftenabgabe
Alle Fraktionen für Aussetzen der Beitrittsverhandlungen und für Freilassung kritischer Oppositioneller und Journalisten.

Der österreichische Nationalrat hat am Donnerstag in einer Erklärung geschlossen die Verhaftungswelle in der Türkei verurteilt und sich für ein Aussetzen der EU-Beitrittsverhandlungen ausgesprochen. Ferner gefordert wird die Reaktivierung des kurdischen Friedensprozesses.

In der Erklärung, die am Vormittag zunächst von den Klubchefs und der kurdisch-stämmigen Grün-Abgeordneten Berivan Aslan unterzeichnet wurde, sprechen die Abgeordneten davon, dass sich die Ereignisse in der Türkei in eine mehr als nur besorgniserregende Richtung entwickelt hätten. Bei einer weiteren Eskalation solle die Regierung einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit Ankara fordern.

Genau auf diesen Punkt pochte FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache bei einem gemeinsamen Auftritt der sechs Parlamentsklubs. Die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei sei nicht zu tolerieren. Gehe die Entwicklung in diese Richtung weiter, seien Nägel mit Köpfen zu machen und der Beitrittsprozess zu beenden.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0032_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.L.n.R.) - NEOS Klubobmann Matthias Strolz, FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, die Grüne Abgeordnete Berivan Aslan und Team Stronach Klubobmann Robert Lugar im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema "Erklärung der österreichischen Abgeordneten zur Lage in der Türkei" am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Für SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder sendet der Nationalrat mit der Erklärung ein deutliches Signal an die Türkei, Europa und die Welt. Die Inhaftierung von Abgeordneten sei etwas, wo man nicht wegsehen könne. Angesichts der derzeitigen Situation sei eine Mitgliedschaft der Türkei in der Union "im Bereich des Unmöglichen".

Auch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka betonte, dass Grund- und Freiheitsrechte nicht verhandelbar seien. Europa dürfe sich nicht von Präsident Recep Tayyip Erdogan erpressen lassen.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0031_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.L.n.R.) - NEOS Klubobmann Matthias Strolz, FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, die Grüne Abgeordnete Berivan Aslan und Team Stronach Klubobmann Robert Lugar im Rahmen einer Pressekonferenz zum Thema "Erklärung der österreichischen Abgeordneten zur Lage in der Türkei" am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER

"Kante zeigen"

Aslan forderte, angesichts der Verhaftungen von Oppositionellen und kritischen Journalisten nun "Kante zu zeigen". Als Sofortmaßnahme plädierte die Grün-Mandatarin dafür, den österreichischen Botschafter in der Türkei einzuberufen.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0034_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: (v.L.n.R.) - SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, die Grüne Abgeordnete Berivan Aslan, NEOS Klubobmann Matthias Strolz und Team Stronach Klubobmann Robert Lugar bei der Unterschriftenabgabe nach einer Pressekonferenz zum Thema "Erklärung der österreichischen Abgeordneten zur Lage in der Türkei" am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
NEOS-Klubobmann Matthias Strolz betonte, es sei für Europa wichtig, ein ordentliches Verhältnis zu seinen Nachbarn wie eben der Türkei zu haben. Dabei müsse man aber einen aufrechten Gang behalten.

Für eine Unterscheidung zwischen politischer Führung und Bevölkerung warb Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar. Bei aller Kritik an Ankara müsse man den türkischen Bürgern die Hände reichen.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0064_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: Innenminister Wolfgang Sobotka während einer Nationalratssitzung zum Thema "zentrales Wählerregister "am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Der Nationalrat hat am Donnerstag die Weichen für die Schaffung des Zentralen Wählerregisters gestellt. Das entsprechende Wahlrechtsänderungsgesetz erhielt die Zustimmung von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen. Durch den Beschluss wird es künftig auch möglich sein, Volksbegehren unter Verwendung der Bürgerkarte bzw. der Handysignatur elektronisch zu unterstützen.

Zusätzlich wurde mit dem Beschluss klar gestellt, dass bei künftigen Urnengängen wieder Wahlkuverts ohne Lasche zum Einsatz kommen. Damit wird auf Dauer auf jenes Modell verzichtet, das durch die sich lösende Verklebung die Verschiebung der Bundespräsidenten-Stichwahl notwendig gemacht hatte.

Seinen Stimmzettel darf man gemäß Gesetz nun auch zu Recht selbst in die Urne einwerfen, wenn man das wünscht. Eine weitere Änderung: Briefwahlkuverts müssen nicht mehr persönlich vom Bezirkswahlleiter ab 9.00 Uhr geöffnet werden. Künftig gibt es auch die Möglichkeit, dass Hilfsorgane ihn dabei unterstützen.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0008_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: Finanzminister Hans Jörg Schelling während der Fragestunde im Rahmen einer Nationalratssitzung am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
In der Debatte freute sich SPÖ-Klubchef Andreas Schieder über ein "wichtiges Kernstück für die Wahlrechtsreform". Um den Rest werde man sich - gleich nach der Bundespräsidentenwahl - im ersten Halbjahr 2017 kümmern, versprach er. Gegenüber elektronischen Abstimmungsmechanismen, die vor allem von der ÖVP forciert werden, zeigte er sich skeptisch.

Bei der ÖVP musste man sich vor allem mit Kritik seitens der NEOS und Grünen auseinandersetzen. NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak hatte sich in einem (letztlich erfolglosen) Abänderungsantrag dafür ausgesprochen, mit dem neuen Wählerregister auch gleich die Abgabe von Unterstützungserklärungen bei Wahlen in jeder Gemeinde (und nicht nur am Hauptwohnsitz) zu ermöglichen. Gerade am Land würden es die Menschen nicht wagen, sich entsprechend zu "outen", meinte er, weil Repressalien des "rot-schwarzen Machtkartells" zu befürchten seien.

Türkei: Österreichisches Parlament setzt Zeichen gegen Erdogan
ABD0066_20161110 - WIEN - ÖSTERREICH: Innenminister Wolfgang Sobotka während einer Nationalratssitzung zum Thema "zentrales Wählerregister "am Donnerstag, 10. November 2016, im Parlament in Wien. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl bestritt das vehement und ortete darin den Vorwurf, dass die Bürgermeister in den Gemeinden Amtsgeschäfte nach Parteibuch erledigten. "Das kann man nicht so stehen lassen." Sollte es Belege für solche Vorwürfe geben, solle Scherak Anzeige erstatten.

Harald Stefan (FPÖ) begrüßte das zentrale Register, wiederholte aber die Kritik der FPÖ an der Briefwahl. Der Grüne Albert Steinhauser verlangte zur Verhinderung von Identitätsdiebstahl, bei künftigen Wahlkartenmodellen die Unterschrift des Wahlberechtigten wieder zu verdecken. Christoph Hagen vom Team Stronach verteidigte die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, denn "das Volk ist der Souverän".

Die Beamten-Gehaltsregeln werden schon wieder korrigiert. Der Nationalrat hat am Donnerstag mit Koalitionsmehrheit die Anrechnung der Vordienstzeiten neu geregelt. Es ist mittlerweile das dritte Mal, dass das Parlament zur Reparatur ansetzt.

Der Hintergrund: Der Europäische Gerichtshof hatte 2009 das alte Gehaltsschema aufgehoben, weil Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr nicht angerechnet wurden, was als Altersdiskriminierung gewertet wurde. Um nicht Nachzahlungen in Milliardenhöhe vornehmen zu müssen, hat der Nationalrat immer wieder Korrekturen versucht, die jedoch ebenso oft von Gerichten gekippt wurden.

Seit 2015 gilt die Regelung, dass Ausbildungszeiten pauschal ins Gehalt eingepreist, Vordienstzeiten unabhängig vom Alter (aber auf maximal zehn Jahre begrenzt) individuell angerechnet werden. Nunmehr hat aber der VwGH nach der Beschwerde einer öffentlich Bediensteten festgestellt, dass die Gesetze nicht klar regeln, wie mit alten Beschwerden, mit denen Beamte bereits vor der Reform vom Jänner 2015 ihre Vordienstzeiten vor dem 18. Geburtstag angerechnet bekommen wollten, umzugehen ist. Daher wären bei diesen Beamten die Vordienstzeiten noch nach der alten Rechtslage anzurechnen und entsprechende Nachzahlungen zu tätigen gewesen.

Damit trat man neuerlich an, eine Korrektur vorzunehmen. Das neue Gesetz stellt klar, dass die neuen Regelungen auch für solche Sachverhalte, die vor der Besoldungsreform 2015 liegen, anwendbar sind. Es wird festgelegt, dass beim Bestandspersonal keine nachträgliche Anrechnung zusätzlicher Vordienstzeiten vorgesehen ist und dass die neuen Einstufungsregelungen ausnahmslos anzuwenden sind.

Die Reaktionen der Opposition auf die ohne Begutachtung und damit sehr kurzfristig eingebrachte Vorlage schwankten zwischen Hohn und Zorn. FP-Mandatar Christian Lausch befand, dass die Regierung nur Zeit gewinnen wolle, damit man den öffentlich Bediensteten die ihnen zustehenden Gelder nicht auszahlen müsse. Grün-Mandatar Albert Steinhauser entgegnete dem Argument, dass die Belegschaft dem Kompromiss zustimmen würde mit dem Hinweis, dass eine politische Lösung nichts wert sei, wenn sie rechtlich nicht halte. Die gleiche Einschätzung traf der NEOS-Abgeordnete Gerald Loacker: "Was hier vorliegt, wird wieder nicht halten." Auch Team Stronach-Mandatar Christoph Hagen forderte ein Zurück zum Start.

Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) verteidigte die Regelung, da es sonst zu einer Ungleichbehandlung zwischen den Bediensteten käme. Sie habe versucht, erhebliche finanzielle Belastungen von der Republik abzuhalten, ohne dass es zu Verlusten für einzelne komme.

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