Keine Pressefreiheit mehr in der Türkei

Der Deutsche Ilya U. Topper ist freier Journalist in der Türkei
Gastkommentar: Regierungskritische Redaktionen werden geschlossen, Journalisten verhaftet.

"In der Türkei sollte niemand mehr Politik machen, denn um Politik kümmert sich jetzt Erdoğan." Das sagte im Juni Yigit Bulut, Berater des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Aber es braucht auch niemand mehr Journalismus zu machen, auch dafür ist Erdoğan jetzt zuständig. Schon 2013, damals noch Premierminister, rief Erdoğan den Chef des privaten Senders Habertürk an, um einen Untertitel in einer Nachrichtensendung entfernen zu lassen. Er gab es offen zu: "Wir müssen (den Journalisten) doch beibringen", wie man arbeite. Ein anderer Anruf des Präsidenten bedeutete die Entlassung dreier kritischer Journalisten. Kein Einzelfall.

Die Chefs haben kaum eine andere Wahl: Meist sind Zeitung oder Sender Teil eines Industriekonzerns, dessen wirtschaftliche Interessen woanders liegen – vor allem im Baugeschäft, das von öffentlichen Projekten abhängt. Wer nicht mitmacht, kriegt nichts mehr zugeschanzt.

Bei 40 landesweit verkauften Tageszeitungen, mit Auflagen zwischen 5000 und 300.000, ist das Panorama am Kiosk noch bunt. Cumhuriyet, die älteste Zeitung der Türkei (gegründet 1926), fiel durch ihren regierungskritischen Qualitätsjournalismus auf. Nun sitzen neun Journalisten des linksliberalen Blattes in Untersuchungshaft. Das Gericht wirft ihnen vor, Mitglieder sowohl der kurdisch-marxistischen Guerillagruppe PKK als auch der Gemeinde des islamistischen Predigers Fethullah Gülen zu beschäftigen – beides gleichzeitig.

Jetzt kommt man ins Gefängnis

Die Anschuldigungen umschreiben die beiden Hauptfeinde in der Presse: Schon seit einem Jahr, nicht erst seit dem fehlgeschlagenen Coup im Juli, für den Ankara Gülen verantwortlich macht, hat die Regierung Dutzende Medien geschlossen, die der bis 2013 sehr mächtigen Gülenisten-Gemeinde angehörten. Die Polizei stürmte Sender, Treuhänder wurden eingesetzt, wer die neue regierungstreue Linie nicht mitmachen wollte, flog raus. Die meisten gründeten neue Medien, um weiterzumachen. Der Coup setzte dem ein Ende: Jetzt kommt man ins Gefängnis.

Nichts Neues für Journalisten in kurdischen Zeitungen: "Heute kommen wir nur noch ins Gefängnis. In den Neunzigern erschossen sie uns auf der Straße", erinnert sich mancher. Aber mit der relativen Pressefreiheit des vergangenen Jahrzehnts ist es jetzt vorbei.

Ausländische Korrespondenten dürfen noch: Solange man seine Pressekarte hat – Erneuerung im Dezember fällig –, hat man kaum mehr zu befürchten als einen gelegentlichen Anruf aus Ankara, entrüstet, aber ohne Drohungen.

Die türkischen Journalisten machen weiter – allen zum Trotz. Viele haben sicher schon die Tasche für das Gefängnis gepackt, doch Blätter wie Cumhuriyet, Birgün, Evrensel erscheinen weiter.

Es gibt keine Pressefreiheit mehr in der Türkei. Aber es gibt noch eine freie Presse.

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