"Türkei auf Weg zur Diktatur"

Auch der Chef der Kurden-Partei HDP, Selahattin Demirtaş, wurde verhaftet
Österreichische Abgeordnete kritisieren Verhaftungen und fordern harte Maßnahmen gegen Ankara.

Dutzende gewählte kurdische Bürgermeister und Parlamentsabgeordnete im Gefängnis; weit mehr als 100, teils namhafte Journalisten ebenso; unzählige Medien abgedreht; Zehntausende Staatsdiener über Nacht geschasst, 40.000 von ihnen nach wie vor in Haft. Die Tatsachen, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli geschaffen hat, erinnern an die finstersten Zeiten – und empören österreichische Nationalratsabgeordnete quer durch die Parteien. "Was muss noch alles passieren?", fragte die Grünen-Mandatarin Berîvan Aslan am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.

Das Land befinde sich auf dem "Weg zur Diktatur", konstatierte ihr SP-Kollege Andreas Schieder. Wenn gewählte Abgeordnete inhaftiert würden, sei die Freiheit des Parlamentarismus bedroht: "Da sind wir verpflichtet, aufzuschreien. Das ist keine innertürkische Angelegenheit mehr", so der sozialdemokratische Klubchef.

Gefahr des Bürgerkriegs

Ähnlich argumentierte die VP-Mandatarin Elisabeth Pfurtscheller. Mit dem Kesseltreiben gehen Politiker der Kurdenpartei HDP sei eine "Schwelle überschritten worden". Es sei zu befürchten, dass dies erst der Anfang gewesen sein könnte, es könnte in Zukunft auch andere Gruppierungen treffen.

Berîvan Aslan warnte gar vor einem "Bürgerkrieg" in der Türkei. Dann würden nicht zwei Millionen Flüchtlinge vor den Toren Europas stehen, sondern zehn Millionen. Sie warf Erdoğan zudem vor, den Flüchtlingspakt mit der EU platzen lassen zu wollen. In diesem Zusammenhang mahnte Pfurtscheller eine eigenständige EU-Migrationsstrategie ein, dem türkischen Staatschef sei mit dem Flüchtlingspakt "ein Hebel in die Hand gegeben worden, den er nie erhalten hätte sollen".

Geldhahn zudrehen

Gemeinsam mit dem Neos-Abgeordneten Nikolaus Scherak forderten die Parlamentarier einen sofortigen Stopp der EU-Zahlungen, mit denen die Türkei an die Union herangeführt werden soll – zwischen 2014 und 2020 handelt es sich dabei um immerhin 4,45 Milliarden Euro: "Ich will nicht Merkels Despotenfreund stärken", sagte dazu Aslan Berîvan. Sie drängte Außenminister Sebastian Kurz ferner dazu, den österreichischen Botschafter in Ankara einzuberufen, die Waffenexporte an die Türkei einzustellen sowie den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei voranzutreiben.

Auch Wirtschaftssanktionen seien denkbar und bei einer Weiterverfolgung der Pläne, die Todesstrafe einzuführen, auch ein Ausschlussverfahren im Europarat, dessen Mitglied die Türkei ist, betonte das Abgeordneten-Quartett.

In Brüssel und in den (meisten) EU-Mitgliedsstaaten zeigt man sich zunächst noch zurückhaltend. Man erachte die Entwicklungen im Land am Bosporus zwar als "äußerst besorgniserregend", doch sollten die Beitrittsgespräche fortgesetzt werden, hieß es gestern in einer gemeinsamen Erklärung der Union der 28. Zugleich aber bot Deutschland verfolgten türkischen Regierungskritikern politisches Asyl an.

Ankara greift Berlin an

Ankara zeigt trotz der internationalen Kritik keine Zeichen des Einlenkens, im Gegenteil. Zum wiederholten Mal bezichtigte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Berlin, mit Feinden seines Landes zu paktieren: "Deutschland ist das Land, das Terrorgruppen im Kampf gegen die Türkei am meisten unterstützt." Es scheine, als würde die Bundesrepublik nicht wollen, dass sich die Türkei entwickle. "Was habt ihr für ein Problem mit der Türkei", schloss der Chefdiplomat, "warum seid ihr neidisch auf die Türkei?"

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