"Wehrpflicht schweren Herzens ausgesetzt"

Interview: Deutscher Heeresminister Thomas de Maizière sieht keine Vergleichbarkeit mit Österreich.

KURIER: Herr Minister, Sie sind nach eigenen Worten nur schweren Herzens von der Wehrpflicht abgegangen.

Thomas de Maizière: Die Wehrpflicht in Deutschland wurde nur ausgesetzt. Sie steht weiter im Grundgesetz. Warum ich darüber nicht erfreut war, ist, dass die Wehrpflicht über viele Jahrzehnte ein Beitrag dazu war, dass die Bundeswehr mitten in der Gesellschaft verankert blieb. Und es war auch nicht schlecht, dass junge Männer nach dem Schulabschluss mit anderen Menschen zusammengekommen sind aus anderen Schichten, die sie in der Form oft gar nicht gekannt haben. Und dass sie ein bisschen gefordert wurden – auch körperlich. Und dass sie nicht nur an sich, sondern auch an das Land denken sollten. Deswegen ist es schmerzlich.

Sie haben von NATO-Verpflichtungen gesprochen, die mit dieser Form der Wehrpflicht nicht mehr abdeckbar sind.

Mit einer sechsmonatigen Wehrpflicht kann man die Soldaten mit den Auslandseinsatzverpflichtungen, die wir als NATO-Staat haben, nicht einsetzen. Wir brauchten Zehntausende Ausbilder, um die Wehrpflichtigen auszubilden. Zusammen konnte keiner von denen in den Einsatz gehen. Das hat letztlich keinen Sinn mehr gemacht.

Es gab auch Probleme mit der Wehrgerechtigkeit in Deutschland?

Sie haben in Österreich etwa 35.000 Wehrpflichtige im Moment bei einer Bevölkerung von gut acht Millionen. Wir hatten zum Schluss in Deutschland rund 55.000 Wehrpflichtige bei einer Bevölkerung von über 80 Millionen. Das ist ein gewaltiger Unterschied und spricht für das österreichische System.

Sind in der neuen Armee auch Kapazitäten für Homeland-Defence-Aufgaben und Katastrophenschutz vorgesehen?

Wir haben jetzt nicht mehr die Wehrpflichtigen, die zum Sandsacktragen bei einer Katastrophe zur Verfügung stehen. Deshalb haben wir zeitgleich eine Reservistenkonzeption verabschiedet, die die Aufwuchsfähigkeit in Katastrophen sicherstellt. Und Landeskommandos, die mit den Katastrophenschutzbehörden der Länder zusammenarbeiten. Aber auch für den Katastrophenschutz ist vieles mit Österreich nicht vergleichbar. Österreich hat ja große Tradition mit dem sogenannten Milizsystem. Das ist in Deutschland unbekannt.Sie haben dafür das Technische Hilfswerk, das es in Österreich nicht gibt.Das Technische Hilfswerk stammt aus einer Zeit, in der es um Zivilschutz ging. Inzwischen hat sich das THW zu einer Katatstrophenschutzorganisation entwickelt, die in Deutschland und weltweit im Einsatz ist. Das THW untersteht dem Innenministerium.

Es wird immer wieder von Re­krutierungsproblemen gesprochen. Sie stehen damit in starker Konkurrenz zur Wirtschaft. Wie läuft die Entwicklung?

Derzeit besser als erwartet. Wir planen eine Größe der Bundeswehr von 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten und von 5000 bis 15.000 freiwillig Wehrdienstleistenden. Das bedeutet, wir brauchen jedes Jahr 13.000 bis 15.000 Zeit- und Berufssoldaten und etwa 15.000 freiwillig Wehrdienstleistende. Wenn wir nur jeden Zweiten oder jeden Dritten nehmen – was wir tun – dann brauchen wir eine Größenordnung von bis zu 60.000 jungen Frauen und Männer, die sich bei uns bewerben. Dem stehen gegenüber in Zukunft 600.000 junge Frauen und Männer. Es ist nicht so leicht, daraus diese 60.000, die wir als Bewerber brauchen, zu rekrutieren.

Wie ist das Bildungsniveau?

Es gab Bedenken, ob nicht eine Freiwilligenarmee im Gegensatz zur Wehrpflichtarmee eine Unterschichtarmee wird. Wir haben hier bei den freiwillig Wehrdienstleistenden im ersten Jahr einen sehr hohen Prozentsatz mit Abitur und mittlerer Reife. Insgesamt 22 Prozent haben sogar schon eine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist eigentlich als Bildungshintergrund für freiwillig Wehrdienstleistende eine sehr gute Entwicklung.

Es gibt auch Warnungen, dass die Berufsarmee von Rechtsextremisten unterwandert wird.Wir wissen, dass die Rechtsextremen eine Nähe zu Streitkräften anstreben. Deshalb sind wir da sehr pingelig und werden jeden Versuch von Rechtsextremisten zur Bundeswehr zu kommen unterbinden. Das ist bei einer Freiwilligenarmee nicht schwer.

Das deutsche Verteidigungsbudget ist in Relation zur Bevölkerungsgröße um ein Drittel höher als das österreichische. Kann man mit weniger Geld eine Berufsarmee aufstellen?

Ich möchte gerne den Österreichern sagen, dass die Dinge doch ziemlich wenig vergleichbar sind. Und deshalb Rückschlüsse für die eine oder andere Seite aus der deutschen Situation nicht abgeleitet werden können. Wie teuer etwas wird, hängt immer damit zusammen, wofür sie Geld brauchen, also wie der Auftrag der Streitkräfte ist.

Gibt es Bereiche, wo Österreich und Deutschland vergleichbar sind?

Mit dem Milizsystem, ihrem früheren Konzept der Raumverteidigung und mit der höheren Ausgangsbasis für Wehrpflichtige sind die Unterschiede sehr groß. Egal, wie die Entscheidung zur Wehrpflicht steht, würde ich den jungen Menschen die Freiwilligkeit auf jeden Fall erhalten. Und zwar durch Pflicht oder ein attraktives Angebot.

Österreich und Deutschland auch bei Wehrpflicht anders

Es geht um die Größenordnungen und Paktmitgliedschaften. Schon die k.u.k. Monarchie mit ihren 50 Millionen Einwohnern hatte Probleme mit der Wehrgerechtigkeit. Wenn man alle 18-Jährigen einzieht, wird die Armee zu groß. Und so war es auch in Deutschland. Das 80-Millionen-Volk hat die letzten Jahre nur noch 16 Prozent der Jugendlichen einziehen können. Und die NATO verlangt nun den Einsatz von Soldaten an der türkisch-syrischen Grenze, was mit Rekruten nicht geht.

Kleine Neutrale haben da eine andere Ausgangsposition. Österreich hat etwa 46.000 Wehrpflichtige. Davon fallen durchschnittlich 6000 als untauglich aus. Der Rest geht zum Bundesheer oder zum Zivildienst – was eine Wehrgerechtigkeit von 100 Prozent ergibt.

Inzwischen hat auch der Schweizer Nationalrat eine Initiative zur Aufhebung der Wehrpflicht mit 121 zu 56 Stimmen bei 6 Enthaltungen abgelehnt. Die Debatte zur Initiative hatte sich über zwei Tage hingezogen.

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