Bundesheer-General: "Am 21. Jänner bricht Chaos aus"

Bundesheer-General: "Am 21. Jänner bricht Chaos aus"
Das Heer braucht dringend Reformen – doch die Politik verspricht das Falsche.

Alle reden über den Zivildienst und über den Katastrophenschutz – aber kaum jemand redet über das Bundesheer. Die Stimmung im Hauptquartier in der Wiener Rossauer Kaserne wenige Wochen vor der Volksbefragung über die Wehrpflicht ist von Frust und Unsicherheit geprägt. Ein echter Bundesheer-Angehöriger versteht sich weder als Personal-Lieferant für das Rote Kreuz noch als Schnee- oder Schlammschaufler. Er versteht sich als Militär. Aber diese Belange spielen für die Politik in der Auseinandersetzung um die Wehrpflicht bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Dabei ist das Heer dringend reformbedürftig, will es mit den knappen Ressourcen seine internationalen Aufgaben wahrnehmen. „Militärische Einsätze spielen sich zu hundert Prozent im Ausland ab – im europäischen und internationalen Verbund“, sagt ein General des Bundesheeres dem KURIER im Hintergrundgespräch.

Aber wie es mit dem Heer weitergeht, weiß derzeit niemand. Die Generäle sind untereinander verfeindet, weil sich manche von ihnen für Pro oder Contra Wehrpflichtkampagnen einspannen ließen. Zudem laufen 2013 die Verträge des gesamten Führungsstabs ab, keiner weiß, ob er verlängert wird und in welcher Verwendung. Man weiß auch nicht, ob sich Norbert Darabos halten wird oder ein neuer Minister kommt. „Am 21. Jänner, dem Tag nach der Abstimmung, wird hier das Chaos ausbrechen“, prophezeit der General. Und zerpflückt die Konzepte, die die Politik bisher vorlegte. Die SPÖ verspricht, falls die Wehrpflicht abgeschafft wird, dass ab 2014 kein junger Mann mehr zum Grundwehrdienst einberufen wird. „Damit würde man das Heer ausschalten“, sagt ein sachkundiger Offizier. Mindestens vier bis fünf Jahre müsste die Wehrpflicht aufrecht bleiben, bis ein funktionstüchtiges Berufsheer installiert ist. Kleines Beispiel: Aus Geldmangel gibt es keine Hilfskräfte mehr, die auf den hunderten Liegenschaften den Rasen mähen. Das machen jetzt Grundwehrdiener – eine der viel kritisierten Tätigkeiten als „System-erhalter“. Die müsste man ersetzen.

Die Kernaufgabe, die mit oder ohne Wehrpflicht nötig ist, ist die Politik bisher schuldig geblieben: ein neues Dienstrecht. Soldaten und Beamtendienstrecht sind unvereinbar, unser Heer ist überaltert. Es braucht ein Dienstrecht für Zeitsoldaten mit Umstiegsmöglichkeiten in andere Berufe. Aber die Gewerkschaft beim Bundesheer ist ungefähr so offen für Neues wie die der Lehrer. Die Politik verhindert auch, dass die knappen Geldmittel bestmöglich eingesetzt werden, weil jeder Landeshauptmann sofort aufschreit, wenn eine Garnison geschlossen werden soll – sei sie noch so unnötig.

Bei einem Berufsheer müsste die Politik auch für Planungssicherheit sorgen und Budgetmittel auf Jahre hinaus garantieren. Ein Beispiel: Darabos will jährlich 1300 Zeitsoldaten einstellen. Kein Mensch weiß, ob sich so viele Personen melden würden. Wenn nicht, muss man mehr bezahlen, um am Arbeitsmarkt mithalten zu können. „Für die rein militärischen Aufgaben wäre ein Berufsheer besser. Aber die Politik ist nicht reif dazu, sie wird uns weder das Geld noch das Dienstrecht geben. Wir brauchen die Wehrpflicht, um das System aufrecht zu erhalten“, sagt der General. Im Heer herrscht die Furcht, dass ein Berufsheer finanziell schlicht und einfach „ausgehungert“ würde. Ein führender Offizier: „Da sagt dann keine Mutter mehr: So ein Skandal, wie schlecht mein Bub hier untergebracht ist. Da würde es dann heißen: Die werden dort eh bezahlt. Basta.“ Die ÖVP wiederum hat ursprünglich einen „Österreich-Dienst“ propagiert. Die Wehrpflichtigen sollten nicht nur zwischen Bundesheer und Zivildienst wählen können, sondern sich zum Katastrophenschützer ausbilden lassen können. Außerdem sollte die Wehrpflicht auf fünf Monate verkürzt werden plus ein Monat
Miliz bis zum 25. Lebensjahr.

Um dieses ÖVP-Konzept ist es auffallend still geworden. Nicht ohne Grund: Die Bundesheer-Experten haben es für undurchführbar befunden. Fünf Monate Grundwehrdienst wären noch sinnloser als die derzeitigen sechs – die Burschen würden ausgebildet, und wären dann noch um einen Monat kürzer im Einsatz. Die ohnehin schon üppige Verwaltung für den Grundwehrdienst würde nochmals steigen und die Planbarkeit fürs Heer sinken: Niemand würde wissen, wie viele Leute sich für Katastrophenschutz oder für Waffendienst melden. Die ÖVP hat das Konzept fallen gelassen und redet jetzt nur mehr von einer „Attraktivierung des Grundwehrdiensts“. Spracherwerb und Computerausbildung – Dinge, die die Militärs nicht als ihre Aufgabe sehen. Ein wirkliches Konzept blieb die ÖVP bisher schuldig. Das realistische Szenario für die Zeit nach der Volksbefragung: Die Wehrpflicht bleibt, aber Reformen bleiben mangels tauglicher Konzepte aus. Stattdessen seien politische Schlammschlachten, Abrechnung mit in Ungnade gefallenen Generälen und eine Ministerdebatte zu erwarten. Und das Heer? Wird weiter wursteln und hoffen, dass es nach der Nationalratswahl besser wird.

Die ÖVP könne sich „nicht einfach wegducken“; sie solle ihr Wehrpflicht-Modell präsentieren, sagt Verteidigungsminister Norbert Darabos. Andere SPÖ-Granden fordern das ebenfalls.ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger will sich diesen Vorwurf nicht länger gefallen lassen: „Unser Modell ist in der Bundesverfassung und im Wehrgesetz nachlesbar: Wehrpflicht und Zivildienst. Das Problem ist die Umsetzung. Da verlange ich von Minister Darabos einen Wehrdienst ohne Leerläufe. Es heißt ja oft, die Grundwehrdiener sitzen nur herum; das sei verlorene Zeit.“

Die Regierung habe sich in ihrem Programm von 2008 bis 2013 dazu bekannt, den Grundwehrdienst zu attraktivieren. Das habe auch die Bundesheerreform-Kommission vor langer Zeit empfohlen. „Es gab dann eine Arbeitsgruppe dazu, Darabos hat die Attraktivierung aber abgesagt“, sagt Spindelegger im KURIER-Gespräch. Und so nennt er seine Ideen: „Warum soll man nicht auch dort, wo man eine Erste-Hilfe-Ausbildung hat, den Erste-Hilfe-Kurs machen können, den man beim Führerschein braucht? Oder: Man macht den Lkw-Führerschein beim Bundesheer. Oder: Pioniere lernen, mit schwerem Gerät zu fahren, sie bekommen auch technisches Wissen. Und in jeder Kaserne gibt es Sportanlagen. Die soll jeder, der einrückt, ordentlich nutzen können – für Spitzensport oder als Hobby. Solche Ausbildungsteile beim Heer sollten später anrechenbar sein. Das soll als Berufspraxis anerkannt werden. Etwa auch der Umgang mit der Waffe, wenn ich dann Polizist werde.“ Sollte Darabos zurücktreten, wenn er am 20. Jänner mit seinem Berufsheer-Modell bei der Bevölkerung durchfällt? „Das muss er nicht. Ich werde aber von ihm einfordern, sofort umzusetzen, was die Bürger entschieden haben. Das darf er nicht aufschieben.“

In Sachen Profi-Heer warnt Spindelegger: „Wer ein solches will, muss auch den nächsten Schritt bedenken, den zu einem Militärbündnis, weg von der Neutralität.“ Dass das Darabos hanebüchen nennt, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun habe („Schweden spricht trotz Berufsheer niemand die Neutralität ab“), kommentiert Spindelegger so: „Ein Berufsheer ist viel kleiner als ein Milizheer. Da muss man dann auch Synergien suchen – in einem Militärbündnis. Da gibt es eine Arbeitsteilung zwischen den Ländern.“ Aber die ÖVP wollte doch einst ein Berufsheer, in die NATO und die Neutralität in der Folklore-Schublade verstauen? „Das ist richtig. Aber auch in der ÖVP ist es nicht so weit gekommen – weil wir berechnen haben lassen, dass ein Berufsheer doppelt so viel kosten würde wie das jetzige Modell.“ Was Darabos bestreitet: „Wir kommen mit zwei Milliarden Euro auch im neuen System aus.“

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