"Strom substanziell billiger machen": Martin Kochers Ausblick auf 2023

Martin Kocher war vor seinem Einstieg in die Politik Wirtschaftsforscher von Beruf. Für den KURIER macht der Wirtschaftsminister eine Prognose, was 2023 auf uns zukommt, bei Teuerung, Energie, Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt.
KURIER: Herr Minister, was ist Ihre Konjunkturerwartung, Ihre Arbeitshypothese, nach der die Regierung die Maßnahmen für 2023 ausrichtet?
Martin Kocher: 2023 wird die wirtschaftliche Dynamik weniger stark sein als 2022. Daher war es wichtig, noch vor Jahresbeginn den Unternehmen mit dem Energiekostenzuschuss II Planungssicherheit zu geben. Mit 1. Jänner treten auch Reformen wie die Valorisierung der Sozialleistungen und die Abschaffung der kalten Progression in Kraft. Ich hoffe, dass am Ende des Jahres 2023 die Zahlen besser sein werden, als es uns die Prognosen jetzt voraussagen.
Angesichts der Krisen erwies sich das Weihnachtsgeschäft als erstaunlich robust. Wie wichtig ist der private Konsum für die Konjunktur?
Er ist eine extrem starke Stütze, deswegen waren auch die vielen Unterstützungsmaßnahmen für die Haushalte so wichtig. Wenn das so bleibt, bin ich optimistisch.
Aber wird es so bleiben? Es droht Nullwachstum, mancherorts Rezession.
Der Hauptgrund, dass es keinen Konsumeinbruch gibt, ist, dass die Arbeitslosigkeit trotz abflauender Konjunktur stabil ist. Entscheidend ist, dass in der breiten Bevölkerung nicht die Angst entsteht, den Job zu verlieren. Denn das würde die Leute zum Sparen und zur Einschränkung des Konsums veranlassen.
Der Export, die europäische Industrie, leidet im Wettbewerb mit anderen Kontinenten unter dem hohen Strompreis. Was wird sich da kommendes Jahr tun?
Ich hoffe sehr stark, dass wir im Laufe des Frühjahrs auf EU-Ebene eine Entkoppelung von Gas- und Strompreis zustande bringen. Das wäre der entscheidende Schritt, denn das wäre eine Ursachenbekämpfung und nicht mehr eine Symptombehandlung. Das würde Strom substanziell billiger machen und verhindern, dass weitere Standortnachteile für die europäische Wirtschaft entstehen.
Außerdem würde eine Stromverbilligung wohl inflationsdämpfend wirken, oder?
Richtig, man könnte den Strompreis vor allem im Sommer, wenn man wenig Gas-Strom braucht, substanziell nach unten bringen.
Welches Modell der Entkopplung von Strom- und Gaspreis zeichnet sich in der EU ab? Worauf setzen Sie?
Auf das iberische Modell, aber mit Zusatzkomponente. Wir müssen ja Strom aus Gas erzeugen, um das Netz zu stabilisieren, wenn kein Wind weht, keine Sonne scheint, der Wasserstand niedrig ist. Gas-Strom ist teuer, aber eben nur in begrenzter Menge nötig. Das iberische Modell sieht eine Preisobergrenze für alle Stromarten außer den Gas-Strom vor. Wenn Gas-Strom zum Einsatz kommt, und dieser teurer als die eingezogene Strompreisobergrenze ist, gibt es einen Zuschuss für die Differenz zum Marktpreis. Die Zusatzkomponente wäre, das Erzeugen von Gas-Strom mengenmäßig auf das Nötige zu begrenzen, damit nicht zu viel der Mangelware Gas in die Stromproduktion fließt.
Wie ist die Perspektive bei der Gasversorgung? Was hat man aus dem ersten Kriegsjahr gelernt?
Für 2023 hoffe ich sehr, dass wir es schaffen, uns beim Gaseinkauf nicht wieder gegenseitig in Europa die Preise in die Höhe zu treiben. Die europäischen Energieminister haben kürzlich beschlossen, Gas koordiniert zu beschaffen. Auch das wird die Preise senken. Darüber hinaus müssen wir in Europa weiter die Infrastruktur ausbauen, LNG-Terminals und Pipelines errichten und natürlich den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben.
Gutes Stichwort. Für den Ausbau der Erneuerbaren sollten Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigt werden. Das Gesetz dazu ist aber blockiert, weil die ÖVP, wie wir hören, das Errichten von Chaletdörfern in der Bergwelt hineinschmuggeln wollte. Kriegen Sie das wieder flott?
Wir sind recht weit, ich bin optimistisch, dass wir das Gesetz bald durch den Nationalrat bringen. Außerdem wird demnächst die sogenannte Permitting-Verordnung der EU in Kraft treten, die für den Bau von Infrastruktur im erneuerbaren Energiebereich ohnehin beschleunigte Verfahren erlaubt.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist groß. Wie viel Zuwanderung brauchen wir?
Was 2023 passieren wird: Weil die Wirtschaft nicht mehr so stark wächst, wird es nicht mehr so viele offene Stellen geben. Aber beim nächsten Aufschwung wird die Knappheit noch stärker spürbar werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Das AMS wird weiter den Fokus auf Qualifizierung legen. Und die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte, die seit Oktober in Kraft ist, dürfte wirken. Die Zahl der Arbeitsbewilligungen ist deutlich gestiegen.
Wer kommt denn?
Menschen aus der Türkei, Indien, vom Westbalkan. Mit diesem Instrument sollte es gelingen, qualifizierten Zuzug und Asylsystem zu unterscheiden. Aber wir haben auch im Inland Arbeitskräftepotenzial. Wir haben zum Beispiel – oft wegen fehlender Kinderbetreuung – die höchste Teilzeitarbeitsquote bei Frauen von ganz Europa. Und es gibt noch andere Stellschrauben, an denen man drehen kann.
Wird die Regierung das Jahr 2023 durchhalten? Die Regierung funktioniert, sie wird bis zum regulären Termin 2024 arbeiten.
Kommentare