Strolz: „Macron bekommt nächste Woche einen Brief von mir“

Strolz: „Macron bekommt nächste Woche einen Brief von mir“
Matthias Strolz. Der Neos-Gründer über die Gründe für seinen plötzlichen Rücktritt und warum er Frankreichs Präsident treffen will.

KURIER: Herr Strolz, wann ist die Entscheidung für den Rücktritt vergangenen Montag gefallen? Am Wochenende davor?

Matthias Strolz: Diese Entscheidung habe ich für mich zum Jahreswechsel getroffen. Da wusste ich, 2018 wird das Jahr der Übergabe sein. Die genaue Festlegung habe ich für mich persönlich offen gehalten, um einfach den exakt richtigen Zeitpunkt zu spüren. Wichtig war mir, dass es eine prozesshafte Übergabe wird und kein Chaos entsteht.

Sie haben diesen Entschluss über vier Monate für sich behalten. Wer wusste davon?

Einer meiner Schwestern habe ich mich zu Weihnachten offenbart. Meiner Frau habe ich es zu Jahresanfang gesagt. Vor drei Wochen gab es eine Phase, wo meine Frau deswegen ihre Stimme verlor. Es ist eine wahnsinnige Bürde, zu wissen, da kommt eine Entscheidung, die Hunderte betrifft und man darf nicht darüber sprechen.

Für die Frau und die Familie ist es doch eine Erleichterung ...

Ja, es ist auch eine Erleichterung. Aber in erster Linie ist es eine Veränderung. Man weiß ja nicht, was danach kommt. Man weiß nur, dass es ein großer Schnitt wird. Auch die Reaktionen der Menschen waren nicht kalkulierbar. Denn in der Kraft zu gehen, ist ein ungewöhnlicher Schritt. Vier von fünf Gründern werden hinausgetragen, weil sie den richtigen Zeitpunkt verpassen.

Wie haben Ihre Kinder reagiert?

Meine Töchter haben es eine knappe Woche davor erfahren. Die älteste Tochter wollte, dass ich noch vier Jahre bleibe. Sie meinte: „Papa, ein Mal möchte ich dich wählen können.“ Die Jüngste hat die Sorge , wenn der Papa nun arbeitslos ist, ob die Familie in der Wohnung wird bleiben können. So hat jede ihre Fantasien dazu entwickelt.

Strolz: „Macron bekommt nächste Woche einen Brief von mir“

Vor 14 Monaten meinten Sie in einem persönlichen Gespräch, dass Oppositionsarbeit, dieses permanente Kritisieren, Ihnen mehr Kraft raubt als Energie gibt. Sie wären lieber Minister – der Job ist stressig, aber konstruktiv. War die Aussicht auf jahrelange Opposition ein Motiv?

Ich hatte in den vergangenen Jahren zwei Angebote für unterschiedliche Ministerposten. Beide Male habe ich abgelehnt. Mir geht es nicht um Ämter, sondern um eine gute Wirksamkeit. Was sicherlich stimmt: Ich bin durch und durch ein Umsetzer. Ja, ich kann Opposition. Mein Hauptaugenmerk lag in den vergangenen sechs Jahren aber auf dem Aufbau einer Bewegung. Das ist, wenn man so will, eine Exekutivarbeit nach innen. In dieser zweiten Periode rückt die reine Oppositionsarbeit nun in den Mittelpunkt. Oppositionsarbeit bedeutet, in der Früh aufzustehen und nachzudenken: Was und wen kritisiere ich heute? Das kostet mich unglaubliche Überwindung. Denn ich bin ein Kind der Zuversicht mit einer grundpositiven Einstellung. Dieses Kritisieren als Opposition habe ich zwar gelernt, es erfüllt aber nicht mein Herz. Ganz im Gegenteil: Wenn ich zehn Jahre Opposition gemacht hätte, hätte ich jeden Tag eine kleine Dosis Selbstvergiftung aufgenommen, die sich irgendwann auf meine Gesundheit geschlagen hätte.

Exakt vor einem Jahr sind Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig zurückgetreten. Hätten Sie sich damals gedacht, dass Sie der Nächste sind?

Der Abgang von Eva Glawischnig und die Begründung dahinter waren für mich ein Schock. Diesen Job des Klub- und Parteichefs gibt es fünf Mal in der Republik. Drei davon waren vor einem Jahr Oppositionsführer. Ich bin einer davon, Eva Glawischnig war eine davon und damals auch noch Heinz-Christian Strache. Ich hatte also zwei Gegenüber, die in der gleichen Position wie ich waren. Man beobachtet sie natürlich und sieht die Veränderung über die Jahre. Ich glaube, wir sind uns einig, man sollte aus einer Spitzenfunktion nicht erst dann gehen, wenn die Belastung einen so abgenutzt hat, dass man gesundheitlichen Schaden nimmt. Das wünsche ich keinem, und das wollte ich mir selbst auch ersparen.

Glauben Sie, Christian Kern eignet sich für diesen Job, der auch aus einer Position kommt, wo er gewohnt ist, Projekte umzusetzen und nicht ausschließlich zu kritisieren?

Für Christian Kern und seinen Persönlichkeitszuschnitt ist es sicherlich auch eine große Herausforderung, hier seinen Weg zu finden. Eine starke Opposition ist wichtig. Ich weiß, dass meine Nachfolgerin Beate Meinl-Reisinger – so sie von den Mitgliedern gewählt wird – im Stirn bieten lustvoller ist, als ich es bin.

Ist Beate Meinl-Reisinger mehr eine Politikerin des Typus Peter Pilz, der Opposition mit großer Leidenschaft macht?

Das ist ein zweifelhaftes Kompliment. Das würde ich ihr so nicht ausrichten. Beate besitzt die Kraft und die Leidenschaft einer Löwin. Deswegen sage ich in Richtung Kurz und Strache: „Warm anziehen!“ Ich war wohl die beste Wahl als Gründer für Neos, aber ich glaube nicht, dass ich dauerhaft die beste Wahl als Oppositionsführer wäre.

In welche Richtung wird es bei Ihnen gehen?

Die innere Stimme sagt: „Lass’ dir jetzt Zeit.“ In den vergangenen 20 Jahren war ich ständig verantwortlich dafür, entweder Umsatz zu bringen oder Wahlen zu gewinnen. Was auch immer. Ich habe mir vorgenommen, nicht vor März nächsten Jahres in eine Vollzeitbeschäftigung zu gehen. Als geborener „Gschaftlhuber“ muss ich mich vor mir selbst schützen. Natürlich würde ich am liebsten morgen eine europäische Bewegung mitgründen oder eine freie Schule aufbauen. Mein Herz sagt mir aber: entschleunigen. Mit meiner Frau habe ich ausverhandelt, dass ich drei Wochen weg kann. Da wird es mich wahrscheinlich nach Südamerika führen, dort werde ich systemische Ausbildungen machen.

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Beate Meinl-Reisinger ist skeptisch, ob sie den neuen Job mit der Familie vereinbaren kann. Sie meinte, das war auch bei Ihnen ein ständiges Thema. War der Polit-Marathon zu viel für die Familie?

Ich habe mich bei 30 Wahlgängen mit nach vorne geschmissen. Das war mir auch wichtig als Gründer. Meine Frau und ich haben viel ausverhandeln müssen, weil sie nicht so ein Politschädel ist, wie ich es bin. Sie akzeptiert und unterstützt meine Lebensträume, so wie ich sie unterstütze. Ich hatte über die Jahre nicht das Gefühl, dass ich meine Kinder zu wenig gesehen habe. Was ich jetzt schon spüre, ist der Herzenswunsch, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Vielleicht entwickelt sich dieses Gefühl, weil meine Gründer-Energie nicht mehr so gebraucht wird. Familie ist mir etwas Heiliges. Auch meine Verwandtschaft in Vorarlberg hat sich viel anhören müssen. Meine Mama hat unser Programm sicher nicht in jedem Punkt unterschrieben, trotzdem ist sie immer hinter mir gestanden. Mein Vater, der leider vor zwei Jahren verstorben ist, hatte immer Angst um mich. Er fürchtete wohl, dass ich mich in ein finanzielles Desaster stürze.

Der Ausstieg ist endgültig?

Endgültig ist gar nichts. Ich bin 45 Jahre alt. Vielleicht will ich in 20 Jahren als Bundespräsident kandidieren (lacht). Aber vielleicht bin ich dann auch auf ganz anderen Pfaden unterwegs. Mich interessiert die internationale Friedensarbeit. Nächstes Jahr ist eine ganz wichtige Weichenstellung für Europa. Ich habe die Vision, dass Emmanuel Macron hier mit uns marschiert. Kommende Woche bekommt er einen Brief von mir. Wenn er mich dann treffen will, bin ich im nächsten Flieger nach Paris. Auch Bono Vox von U2 wird einen Brief von mir bekommen.

Wird die Koalition 10 Jahre halten, wie es Strache anstrebt?

Nein. Das ist der Zauber des Beginns. Sebastian Kurz hat noch nicht gezeigt, dass seine Bewegung auf soliden Fundamenten ruht. Er hat in einem beachtlichen Umsturz eine Partei übernommen. Das geht solange gut, wie es gut geht. Dann gibt es eine Entladung, aber eine ziemlich heftige.

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