Kreuzdebatte: Heil'ges Kreuz, sei wild umstritten
Am Anfang war das Kopftuch-Verbot. Das Jahr war gerade erst ein paar Tage alt, als Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte, er wolle ein Kopftuch-Verbot im öffentlichen Dienst in das Integrationsgesetz aufnehmen. Nach Kritik, Unterstützung, Neudefinition - Vollverschleierung statt Kopftuch - und einer Koalitionskrise steht fest: Das Tragen von Burka oder Niqab wird in Österreich künftig mit einer Geldstrafe in Höhe von 150 Euro geahndet. Diskutiert wird nun über das "Neutralitätsgebot" im öffentlichen Dienst. Und damit über die Frage, ob das Kreuz in Schulen, Kindergärten und Gerichten noch eine Berechtigung hat. Die Debatte ist nicht neu.
"Das Kreuz ist ohne Zweifel zu einem Symbol der abendländischen Geistesgeschichte geworden."
- VfGH-Erkenntnis vom 9. März 2011
Im Jahr 2009 hatte ein niederösterreichischer Vater gegen die Kreuze im Kindergarten seines Nachwuches geklagt, er sah darin einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Kurz zuvor hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Kruzifixe in italienischen Klassenzimmern verboten. Das Kreuz als Symbol einer bestimmten Religion könne Kinder ohne religiöses Bekenntnis oder mit einer anderen Religion verstören.
Die österreichischen Richter sahen das allerdings anders: "In der Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs kann der Anbringung von Kreuzen in Kindergärten (wie in Schulen) nicht die Bedeutung eines Mittels der Indoktrinierung oder Missionierung beigelegt werden", erklären sie in der Urteilsbegründung. Gegen die Verfassung verstößt ein Kreuz im öffentlichen Dienst also nicht. Bleibt also das Neutralitätsgebot des öffentlichen Dienstes, wonach keine Religion gegenüber einer anderen bevorzugt werden darf. Und verworrene Regeln, die nur allzu oft dem Landesrecht unterliegen, weswegen eine umfassende Diskussion schwierig ist. Folgende Auflistung soll hier Klarheit schaffen und einen Beitrag zur Versachlichung der aktuellen Debatte leisten.
Überblick
In Österreichs Pflichtschulen haben Kreuze zu hängen, wenn die Mehrheit der Schüler einem christlichen Glaubensbekenntnis gehört. So will es das Religionsunterrichtsgesetz, das diese Frage auf Bundesebene regelt. Und nicht nur die öffentlichen Schulen, auch alle Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht sind davon betroffen.
Zusätzlich dazu haben einige Bundesländer eine absolute Kreuzpflicht in Klassenzimmern eingeführt, obwohl sie es gar nicht müssten, namentlich Salzburg, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg und das Burgenland.
Im Schlussprotokoll kommt aber auch das Kreuz im Klassenzimmer zur Sprache. Der Heilige Stuhl nehme "zur Kenntnis", dass in Österreich Kreuze angebracht werden, "wenn die Mehrzahl der Schüler einem christlichen Religionsbekenntnis angehört", heißt es da. Und dann: "Eine Änderung dieses Zustandes wird nicht ohne Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl stattfinden."
Österreich kann Kreuze also nicht im Alleingang aus den Klassenzimmern entfernen, es müsste den Heiligen Stuhl vorher um Erlaubnis fragen. Das mag ein Grund dafür sein, warum die Bundesregierung, vor allem aber die ÖVP, gegen die Abschaffung der Kreuzpflicht ist. Ein anderer könnte sein, dass laut einer Umfrage vom Oktober 2016 rund 70 Prozent der Österreicher diesem Satz nicht zustimmen: "Kreuze und andere christliche Symbole haben in Kindergärten und Schulen nichts verloren."
Ob das angesichts der mehrdeutigen Frage als Bekenntnis zum verpflichtenden Kreuz in der Schule zu werten ist, bleibt offen. In Österreich publizieren Meinungsforschungsinstitute kaum Details zu Fragestellungen und Methodik.
2. Die Situation in Kindergärten
Ob Kreuze in Österreich auch in Kindergärten hängen dürfen, ist kompliziert, weil Landessache. In einigen Bundesländern ist das Kreuz verpflichtend, in anderen optional und in manchen gibt es dazu keine Vorschrift.
Am wenigsten Platz hat Religion in Wien, zumindest auf dem Papier. Kreuze müssen in Gruppenräumen keine hängen, auch keine Religionsstunde oder ähnliches muss abgehalten werden (stattdessen ist von Wertevermittlung die Rede).
Ganz anders schaut es jenseits der Stadtgrenze aus. In Niederösterreich und Oberösterreich müssen Kreuze in jedem Gruppenraum hängen, wenn die Mehrheit der Kinder christlich ist. Eine niederösterreichische Eigenheit: Ein Bild des Bundespräsidenten ist ebenso Pflicht wie eines des Landeshauptmanns.
"Als staatliche Symbole sind zumindest in jedem Gruppenraum ein Kreuz sowie das Bundes- und Landeswappen und in jeder Kinderbetreuungseinrichtung ein Bild des Bundespräsidenten anzubringen."
Etwas zimperlich, aber schließlich doch hart in der Sache ist Salzburg in der Kreuz-Frage vorgegangen. Dort muss in jedem Gruppenraum ein "religiöses Symbol" hängen – solange es nur ein Kreuz ist.
"In öffentlichen Kindergärten und in öffentlich zugänglichen Privatkindergärten ist in jedem Gruppenraum ein religiöses Symbol (Kreuz) anzubringen."
Die Steiermark hat einen eigenen Weg gefunden: Gehört die Mehrheit der Kinder demselben Religionsbekenntnis an, soll in jedem Gruppenraum ein religiöses Symbol aufgehängt werden – es muss aber nicht ein Kreuz sein.
In Tirol, Vorarlberg und Kärnten gibt es keine Verpflichtung, im Kindergarten ein Kreuz aufzuhängen.
3. Die Situation in Gerichten
Für Kreuze in Gerichtssälen gilt im Gegensatz zu Schulen kein Gesetz, das Kreuze zwingend vorsieht. Allerdings gibt es das Eidgesetz aus dem Jahr 1868, das eine so genannte Schwurgarnitur für die Beeidung von Zeugen, Geschworenen, Schöffen und Sachverständigen vorsieht. Unter anderem steht da:
Personen, welche sich zur christlichen Religion bekennen, haben (…) bei dem Schwure den Daumen und die zwei ersten Finger der rechten Hand emporzuheben und den Eid vor einem Crucifixe und zwei brennenden Kerzen abzulegen. Israeliten haben bei der Eidesleistung das Haupt zu bedecken und die rechte Hand auf die Thora, zweites Buch Moses, 20. Capitel, 7. Vers, zu legen.
Wird man in Österreich in einem Verfahren als Geschworener oder Schöffe ausgewählt, so muss man ebenfalls beeidigt werden. In der entsprechenden Broschüre steht:
Die Eidesformel lautet: "Sie schwören und geloben vor Gott, die Beweise, die gegen und für den Angeklagten vorgebracht werden, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit zu prüfen, nichts unerwogen zu lassen, was zum Vorteil oder zum Nachteil des Angeklagten gereichen kann, [...] sondern sich mit Unparteilichkeit und Festigkeit nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln und Ihrer darauf gegründeten Überzeugung so zu entscheiden, wie Sie es vor Gott und Ihrem Gewissen verantworten können."
Nach der Verlesung dieser Eidesformel durch den Vorsitzenden werden die Schöffen, die während der Beeidigung stehen müssen, von diesem einzeln aufgerufen und müssen antworten: "Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe." Schöffen, die keinem Religionsbekenntnis angehören oder deren Bekenntnis die Eidesleistung untersagt, brauchen nicht schwören; sie werden durch Handschlag verpflichtet.
Die meisten Geschworenen und Schöffen werden allerdings schon vor dem Betreten des Gerichtsaals vereidigt, ebenso wie Sachverständige selten erst vor Ort Eid ablegen.
Die Kreuzdebatte im Gerichtsaal zeigt jedenfalls auf, dass sogar das "Kreuz" nähere Definition verlangt. Denn es gehe bei der aktuell vorgeschlagenen Neutralität um das Tragen von religiösen Symbolen durch Personen und nicht um das Kreuz im Saal, sagte Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP).
4. Das sagen die Experten
Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A. B. in Österreich: Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung "Für Österreich" betont die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates und spricht von einem "Neutralitätsgebot", das für Richter, Exekutivbeamten und Staatsanwälte zu beachten ist. Die laufende Diskussion zeigt, dass es dabei um das Tragen religiöser Symbole in Ausübung des Dienstes geht, wobei angesichts der Meldungen der letzten Wochen erstaunt, dass das Kopftuch der Lehrerin und auch das Kreuz im Klassenzimmer nicht genannt sind. Es ist für mich klar, dass es dabei um alle religiösen Symbole, also auch um das Kreuz, gehen wird, wenn eine Ungleichbehandlung vermieden werden soll. Daher begrüße ich es, wenn die zuständige Staatssekretärin Muna Duzdar vorab den Kontakt mit den Religionsgemeinschaften sucht und sie damit zumindest einmal hört, bevor etwas entschieden wird.
Barbara Helige, Richterin und Vorsitzende der Wihelminenberg-Kommission: Ein säkularer Staat hat die Äquidistanz zu sämtlichen Religionen zu wahren. Ich teile da voll und ganz die Auffassung der Richtervereinigung, dass hier Neutralität geboten ist.
Niko Alm, NEOS-Nationalratsabgeordneter und Sprecher der Initiative gegen Kirchenprivilegien: Laizität, also staatliche Neutralität bzw. Indifferenz gegenüber Religion und Weltanschauung, gewährleistet Religionsfreiheit. Durch dieses Prinzip wird kein Bekenntnis, keine Weltanschauung, keine Religion durch Gesetze diskriminiert oder privilegiert. Wesentlich dabei ist, dass der Staat gegenüber Religion keine Aussage trifft. Das bedeutet nicht, dass Religion öffentlich nicht in Erscheinung treten darf. Allerdings hat es der Staat auch zu unterlassen in seinem direkten Einflussbereich zu dem Gerichtssäle, öffentliche Schulen und Kindergärten zählen, einer (und in dem Fall nur einer) Religion Präsenz zu verleihen. In diesem Sinne dürfen dort auch keine Kreuze angebracht werden. Die bestehenden Paragraphen in den Gesetzen über eine verpflichtende Anbringung in Schulen und Kindergärten, sowie die Schwurgarnitur in Gerichten gehören also gestrichen.
Mirko Kolundzic, Pressesprecher der Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich: Das Christentum ist in seinen Grundfesten eine auf Freiheit basierende Religion und Gemeinschaft, in der niemand einem Zwang unterliegt. Daraus resultierend war auch das Christentum dafür verantwortlich, dass u. a. Frauen von ihrer herabwürdigenden Rolle in der antiken Gesellschaft befreit wurden. Demnach wäre aus der Perspektive des freiheitlichen Gedankens, ein Zwang, in Klassenzimmern Kreuze zu belassen oder sie abzuhängen, nicht zu vertreten. Auf der anderen Seite obliegt es dem Staat, verbindliche Regeln zu schaffen, an die sich alle Mitglieder der Gesellschaft halten müssen, was unweigerlich zu einem Verlust an Freiheit führt.
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