Lernen vom flottesten Polit-Zweier

APA3037473-2 - 21102010 - GRAZ - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Landeshauptmann Franz Voves (r) und LH-Stv. Hermann Schützenhöfer während der konstituierenden Sitzung des steirischen Landtages am Donnerstag, 21. Oktober 2010, in Graz. APA-FOTO: MARKUS LEODOLTER
Was sich der Bund vom steirischen Regierungsduo Voves/Schützenhöfer abschauen kann.

Das Parlament ist nah, selten sieht man es so schön von oben – wie auch den Ballhausplatz, das Bundeskanzleramt, die Hofburg: Das Dach-Café auf dem Justizpalast ist eine der schönsten „Aussichtswarten“ in Wien.

Insofern war es passend, dass die steirischen Regierungsbosse Franz Voves und Hermann Schützenhöfer am Donnerstag hier auftraten – ein Ort mit Aussicht, mit Überblick.

Der Landeshauptmann und sein Stellvertreter referierten über ihr Leib-Themen: Reformen – und wie man sie angeht.

Tatsächlich sind die beiden dafür prädestiniert. Während SPÖ und ÖVP im Bund bei den wirklich großen Vorhaben wie der Bildungsreform auf dem Stand treten, ziehen die grün-weißen Großkoalitionäre eine Verwaltungsreform durch, die ebenso spürbare wie umstrittene Veränderungen bringt (siehe unten).

Das ist für sich genommen bemerkenswert. So richtig interessant ist die Entwicklung der „Reform-Zwillinge“. Denn in ihrer ersten Regierungsperiode (2005 bis 2010) waren Voves und Schützenhöfer einander noch spinnefeind. Jeder Vorschlag des jeweils anderen wurde kritisch beäugt, hinterfragt oder gleich in der Luft zerrissen.

Streithähne

Heute ist davon nichts übrig. Die früheren Streithähne treten vorzugsweise gemeinsam auf, man lobt einander, wo immer es geht, selbst bei Parteiveranstaltungen. Auf seiner 60er-Feier machte Voves kürzlich dem Polit-Partner Mut („Hermann, hau di eini, i mach’s nur mit dir“); der Angesprochene revanchierte sich tags darauf am ÖVP-Landesparteitag: Vor versammelter Mannschaft pries Schützenhöfer den Mut des SPÖ-Landeshauptmannes („Er hat das Tabu gebrochen, zu tun, was Faymann im Bund nicht tut“) – Schützenhöfer wurde mit 93 Prozent bestätigt.

Lernen vom flottesten Polit-Zweier
APA8341402-2 - 21062012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 164 WI - Der Unternehmer Georg Kapsch am Donnerstag, 21. Juni 2012, während einer Pressekonferenz anl. seiner Wahl zum Präsidenten der Industriellenvereinigung (IV) in Wien. Kapsch ist Vorstandsvorsitzender und Miteigentümer der Kapsch AG, eines über 100 Jahre alten Familienunternehmens, das sein heutiges Geschäft mit Informations-und Kommunikationstechnologie macht. APA-FOTO: HANS KLAUS TECHT
Nicht nur in Wien stellt man sich die Frage, ob und was man vom Kuschelkurs der Steirer lernen kann. Beobachter aus der Privatwirtschaft sind jedenfalls entzückt. „Bei Reformen braucht es den Mut zu sagen: ,So geht’s nicht weiter‘. Wenn man den Menschen eine Vision bietet, wie sich das Land zum Besseren entwickelt, dann gehen sie auch mit. Insofern ist die Steiermark beispielhaft“, sagt Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung zum KURIER. Ehrlichkeit und Transparenz seien in allen Krisen-Situationen das Um und Auf. „Ich verstehe oft nicht, warum die Politik derartige Angst vor Veränderungen hat. Die Menschen haben ein gutes Gefühl dafür, welche Maßnahmen nötig sind. Und ÖVP und SPÖ sehen ja im Bund, dass Zögern nicht immer mit Wählerstimmen belohnt wird.“

Klare Richtung

Lernen vom flottesten Polit-Zweier
8.10.2012 „Ergebnispräsentation Unternehmen Österreich WI 2025 - Visionen, Strategien und Stellhebel für Österreichs wirtschaftspolitische Zukunft“ mit u.a. Vizekanzler Spindelegger (V), Sprecher von Unternehmen Österreich 2025 Prehofer und Gröhs (Presseclub Concordia, 1., Bankgasse 8)
Ähnlich sieht Bernhard Gröhs, Partner beim Steuer- und Wirtschaftsberater Deloitte, die Lage: „Was in der Steiermark passiert, ist ambitioniert, vorbildhaft. Die Bürger wünschen sich Politiker, die eine klare Richtung vorgeben und konsequent verfolgen.“ Die Steiermark als Vorbild für den Bund? Gröhs mahnt zur Vorsicht: „Überspitzt könnte man sagen: Was Reformen anlangt, hat man es in der Bundespolitik zehn Mal schwerer als ein einzelnes Bundesland. Denn im Bund zählt der Einfluss von neun Landeshauptleuten und über all dem steht noch Europa, sprich die EU.“

Zumindest eine Angst plagt SPÖ und ÖVP zu Unrecht. Denn wider die landläufige Funktionärsmeinung wird in einer Großen Koalition nicht nur die Partei für Reformen belohnt, die Kanzler oder Landeschef stellt. „Die Wählerströme zwischen ÖVP und SPÖ bewegen sich nur im Promille-Bereich“, sagt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Sei ein Wähler mit der Regierung zufrieden, wähle er die selbe Regierungspartei wie beim letzten Mal. „Ist er unzufrieden, wendet er sich völlig ab von der Regierung und wählt jemand anderen.“ Schnippischer Nachsatz: „Insofern sind Voves und Schützenhöfer ein Stück schlauer als Faymann und Spindelegger.“

In Kärnten brach Jörg Haider einst mit der Regel, dass Blaue nicht in Regierungsämter gehören. Mit nur 29 Prozent schwang er sich 1989 vom zweiten Platz mit schwarzer Hilfe zur Nummer 1 im Lande auf. Der blaue Sieglauf mündete zehn Jahre später in Schwarz-Blau auf dem Wiener Ballhausplatz. In Klagenfurt geht dieser Tage eine weitere Premiere über die Bühne. Wenn nicht auf den letzten Zentimetern etwas schiefgeht, wird hier ab Gründonnerstag rot-schwarz-grün regiert. Zweier-Koalitionen und Proporz-Kabinette haben bis zum Erbrechen Tradition. Eine Dreier-Koalition gab es hierzulande noch nie. Ein Modell, das neuerlich österreichweit Schule machen wird?

Auch wenn VP-Chef Michael Spindelegger erst jüngst seine Unlust auf eine Dreier-Beziehung flapsig so begründete: „Mir genügen schon die Probleme mit zwei Parteien.“ Die regierenden Großparteien a. D. müssen ernsthaft zittern, ob sie im Herbst gemeinsam wieder über 50 Prozent der Stimmen kommen – und es so überhaupt noch einmal miteinander probieren können.

Die Befürchtung, dass eine Regierungsehe zu dritt noch lähmender sein könnte als die Zweier-Beziehung, die uns Faymann und Spindelegger vorleben, ist berechtigt. In Kärnten hat Rot-Schwarz-Grün nicht nur eine gute Chance, besser zu funktionieren, weil davor eine Defraudantentruppe am Werk war, sondern auch, weil die Spitzenleute persönlich gut miteinander können.

Wie man aus einer zermürbenden rot-schwarzen Polit-Ehe einen vorbildlich flotten Zweier macht, leben der Rote Franz Voves und der Schwarze Hermann Schützenhöfer seit zwei Jahren in der Steiermark vor: Sie krempeln das Land schmerzhaft, aber beherzt um – und lassen so die Sehnsucht nach einem erlösenden Dritten im Bunde erst gar nicht aufkommen.

Verfassung Das Proporzsystem wurde abgeschafft, nach der nächsten Wahl gilt eine freie Koalitionsbildung wie im Bund. Außerdem wurde der Landtag von 56 auf 48 Mitglieder verkleinert, die Regierung kann nach 2015 sechs bis acht Mitglieder haben (derzeit neun).

Verwaltung Aus 48 Abteilungen im Amt der Landesregierung wurden 16 Abteilungen und 9 Fachabteilungen. Die Anzahl der Abteilungsleiter wurde halbiert (25 statt 50). Bis 2015 soll es insgesamt 700 Landesjobs weniger geben.

Bezirke Statt 17 gibt es nur noch 13 Bezirke; acht wurden zu vier zusammengelegt: Judenburg und Knittelfeld (neuer Name: Murtal), Hartberg und Fürstenfeld, Bruck mit Mürzzuschlag und Feldbach und Radkersburg (neu: Südoststeiermark). Weiters werden sieben der 22 Bezirksgerichte geschlossen.

Gemeinden 539 Gemeinden hat die Steiermark derzeit, 2015 sollen es nur noch 285 sein. Doch 120 Bürgermeister legen sich quer, es gibt Dutzende Volksbefragungen gegen Fusionen.

Spitäler Generell soll die Bettenanzahl um elf Prozent sinken, doch ein Kernpunkt der Reform ist am Donnerstag gescheitert. Nach monatelangen Verhandlungen und massiven Protesten wird das LKH Graz-West nun doch nicht – wie von ÖVP-Spitalsreferentin Kristina Edlinger-Ploder geplant – privatisiert und an die Barmherzigen Brüder abgegeben.

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