Spitzendiplomat Brix: "So hat das Projekt Europa keine Zukunft"
Emil Brix, Leiter der Diplomatischen Akademie, glaubt, dass ein US-Präsident Trump auch positive Effekte hat. Der Botschafter über Aufrüstung, Russland-Sanktionen und wie ein Schicksalsschlag sein Leben verändert hat.
Ein Gespräch über die Weltlage in der Diplomatischen Akademie.
KURIER: Müssen wir uns auf einen Krieg in Europa vorbereiten?
Emil Brix: Es heißt zu Recht: „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor.“ Wir erleben eine instabile Weltsituation, die nur durch Abschreckung stabiler wird. Ich sage es ungern, aber wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben. Selbst die besonders pazifistischen Grünen in Deutschland haben diese Zeitenwende mitgemacht.
Glauben Sie, dass der Einsatz europäischer NATO-Bodentruppen in der Ukraine unumgänglich wird?
Nein, außerhalb von NATO-Mitgliedern werden sie sicher nicht eingesetzt. Die NATO ist das einzig glaubhafte Sicherheitsbündnis in Europa. Darüber müssen auch die Österreicher froh sein.
Was könnte den Krieg beenden?
Die vielen Toten sollten eigentlich Grund dafür sein.
Russland ist das normalerweise leider egal.
Ganz egal wird es nicht sein. Aber Menschenleben zählen für Präsident Putin offenbar wirklich nicht viel.
Könnte er Atomwaffen einsetzen?
Möglich ist es, aber traut er sich? Das glaube ich nicht, weil ihm klar bewusst ist, was das für ihn und sein Land bedeuten würde. Aber es ist schon merkwürdig, dass wir in einer Welt leben, wo man glaubt, mit der Drohung von Atombomben wieder Politik machen zu können.
Hat Russland die Kraft, nach der Ukraine vielleicht auch das Baltikum zu bedrohen?
Nein, Russland ist schwächer, als gedacht, wenn man bedenkt, dass es dem flächenmäßig größten Land und der zweitgrößten Militärmacht der Welt nicht gelingt, im bereits dritten Kriegsjahr große Erfolge in der Ukraine zu erzielen.
Wirken die Sanktionen des Westens eigentlich? Russland lebt von der beflügelten Militärindustrie.
Absolut, daher kommt eine gewisse Konjunktur. Und sie produzieren viel mehr im eigenen Land. Der ökonomische Sinn der Sanktionen ist bescheiden. Sie sind eher ein symbolischer Akt und auch eine milde Form des Krieges.
Österreich wurde von den Sanktionen besonders beschädigt, während es über Amerika immer heißt, dass die ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen.
Es gibt viele erfundene Erzählungen, dass die Amerikaner profitieren, während wir zu Sanktionen gezwungen sind. Nennen Sie mir außerdem einen europäischen Staat, der wirklich alle Sanktionen einhält! Das Problem ist, dass die österreichische Wirtschaft viel stärker verknüpft war mit Russland, als die meisten anderen Staaten. Nicht nur wegen der Gaspipelines, auch im Banken- und Versicherungsbereich. Aber wir schaffen derzeit im Energiebereich die Wende. Diversifizierung ist wichtig.
Frankreich und Deutschland, die EU-Leitstaaten, schwächeln. Ist Europa nur noch politischer Passagier in einer turbulenten Welt?
Europa könnte einem leidtun. Es hat schon so viele Weckrufe überhört: den Georgienkrieg 2008, die Krim 2014, die Ära Trump I, die Weltwirtschaftskrise. Wir glauben noch immer, dass es nur darum geht, den eigenen Wohlstand zu behalten und der Welt unsere moralischen Vorstellungen aufzuzwingen. So hat das Projekt Europa keine Zukunft.
Ist das nicht auch der Europäischen Kommission klar?
Der Kommission schon, den Politikern der Nationalstaaten hingegen weniger. Wenn wir nicht global als Macht auftreten, wird das nichts werden. In Europa herrscht einerseits Wokeness, andererseits die Meinung, dass alle Grenzen dichtgemacht werden müssen, um unsere Kultur zu verteidigen. Hat Europa eine wirtschaftliche Zukunft? Das steht bei beiden Richtungen nicht im Vordergrund. Damit gehen wir Putin in die Falle, der vom dekadenten Westen spricht.
Hätte es in der Zeit von Barack Obama ein „window of opportunity“ gegeben, wo der Westen gemeinsam mit Russland eine friedlichere Welt hätte erschaffen können, mit Russland als Teil einer westlichen Sicherheitsarchitektur?
Ich glaube schon, es hätte jedoch unmittelbar nach Ende des „Kalten Krieges“ gelingen müssen. Aber nach Auflösung der Sowjetunion gab es so etwas wie Schadenfreude und jedenfalls die Erwartung, dass wir uns um diesen Teil der Welt nicht mehr kümmern müssen. Da ist 1991/92 etwas versäumt worden. Danach gab es keine Chance mehr.
Zur ausführlichen Sendung "Salon Salomon" mit Spitzendiplomat Emil Brix
Hat Trump vielleicht auch positive Effekte?
Die gibt es jetzt schon. Trump bringt, ohne es zu wollen, Vernunft nach Europa. Wir müssen uns selbst verteidigen lernen und auf Welthandel setzen. Glauben Sie, wir würden Mercosur jetzt wieder neu diskutieren ohne einen Präsidenten Trump?
Kann er auch Russland zum Umdenken bewegen, weil Putin Angst vor einem Unberechenbaren hat?
Auch das ist nicht ausschließen.
In den Achtzigerjahren haben Sie innenpolitische Erfahrung gesammelt. Wie beurteilen Sie heute die heimische Politik?
Damals gab es einerseits Sozialismus, andererseits jene, die die Marktwirtschaft vertreten haben. Heute haben wir starke Ränder. Und eine Partei wie die ÖVP, die angetreten ist, die ganze Bevölkerung abzudecken, ist nicht mehr durchsetzungsfähig.
Was müsste die ÖVP tun?
Sie müsste ihren Markenkern definieren. Das war bisher immer die Wirtschaftskompetenz. Die fehlende Konzentration auf einen Markenkern kann auch jemand wie Sebastian Kurz nicht kompensieren, der das kurzfristig überstrahlen konnte.
Wäre Kurz geeigneter als Karl Nehammer?
Er war deutlich näher zu dem, was die ÖVP für einen politischen Erfolg braucht Aber die Zeiten ändern sich. Vielleicht brauchen wir jetzt jemanden mit gutem Händedruck .
Eine persönliche Frage: Von 2010 bis 2015 waren Sie Botschafter in London, als bei Ihnen plötzlich eine rätselhafte Krankheit ausbrach. Sie waren praktisch über Nacht gelähmt. Was war die Diagnose?
Das war eine schlimme Erfahrung. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung. Ich wurde nach Wien geholt und lag vier Monate lang fast ohne Bewegungsmöglichkeit im AKH. Freunde aus dem Außenministerium haben mir Handy, Laptop und Zeitungen gebracht. Weil die wussten, ich brauche das für mein Leben.
Emil Brix ist seit 2017 (und noch bis August 2025) Leiter der Diplomatischen Akademie. Der Historiker und Mitteleuropa-Experte war Generalkonsul in Krakau und Botschafter in Moskau sowie in London, wo er schwer erkrankte und vorübergehend gelähmt war. Brix ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und hat sich u. a. intensiv mit Liberalismus auseinandergesetzt.
Wie verzweifelt waren Sie?
Zu Beginn ziemlich. Ich hatte eine Schwellung des Rückenmarks, was die Nerven abklemmte. Das musste bekämpft werden, und es hat sich auch deutlich verbessert. 2012 bin ich im Rollstuhl nach London zurück und habe einen Empfang für die österreichische Delegation der Paralympischen Spiele gegeben, wo wir höchst erfolgreich waren – ganz im Gegensatz zu den regulären Olympischen Spielen.
Wie geht es Ihnen heute?
Ich habe gelernt, damit umzugehen. Solche Schicksalsschläge lassen einen ein bisschen konzentrierter über manches nachdenken.
Liberalismus war oft ein Leitthema Ihrer Publikationen. Ist er bedroht?
Österreich ist ein zutiefst konservatives Land. Liberalismus findet hier keinen Boden, weil man seit dem 18. Jahrhundert erwartet, von der Wiege bis zur Bahre vom Staat versorgt zu werden.
Und dennoch sind die Österreicher unzufrieden.
Selbstverständlich, weil ihnen keine Eigenverantwortung zugetraut wird und die politischen Parteien ständig Dinge versprechen müssen, die sie nicht halten können.
Welchen Stempel haben Sie der Diplomatischen Akademie aufgedrückt?
Ich habe mich bemüht, zu zeigen, dass wir Welthauptstadt der Diplomatie sein könnten, wenn wir wollten.
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