Gesundheitssystem: "Noch mehr Mediziner auszubilden ist nicht zielführend"
MedUni-Rektor Markus Müller spricht am Rednerpult vor dem Logo der Medizinischen Universität Wien.
Im Zuge der „Reformpartnerschaft“ will die Bundesregierung gemeinsam mit Ländern und Gemeinden die Verwaltung neu aufstellen, um sie effizienter und kostengünstiger zu machen. Ein zentraler Punkt ist dabei des Gesundheitssystem mit seinen besonders verworrenen Strukturen. Der KURIER hat dazu mit Markus Müller, Rektor der MedUni Wien gesprochen.
KURIER: Herr Rektor, Salzburgs Landeshauptfrau Karoline Edtstadler (ÖVP) fordert, dass im Zuge der geplanten Verwaltungsreform die Zuständigkeit für Gesundheit gänzlich zum Bund wandern soll. Hat sie damit recht?
Markus Müller: Der Vorschlag ist erfrischend. Ich hoffe, dass die Diskussion darüber jetzt nicht gleich wieder einschläft. Denn wir stehen im Gesundheitssystem vor sehr großen Herausforderungen. Deshalb sollten wir über die Strukturen reden, die bisher nicht in Frage gestellt wurden. Es wird von manchen Verantwortlichen vielmehr so getan, als ob wir bei der medizinischen Versorgungsstruktur in der besten aller Welten leben würden.
Werdegang: Markus Müller wurde 1967 in Klagenfurt geboren. Er maturierte 1985 am Theresianum in Wien. Sein Medizinstudium an der Uni Wien schloss er 1993 mit der Promotion sub auspiciis praesidentis ab. Nach Lehr- und Forschungsaufenthalten in Schweden und den USA wurde er 2004 Leiter der Uniklinik für Klinische Pharmakologie an der nunmehrigen Medizinischen Universität Wien (MUW).
Rektor: 2015 wurde er zum Rektor der MUW gewählt. In dieser Funktion wurde er seitdem zwei Mal bestätigt. 2018 wurde er auch Präsident des Obersten Sanitätsrats. Müller ist zudem Vizepräsident der Universitätenkonferenz.
Was sind die Herausforderungen?
Einerseits die Überalterung der Gesellschaft und anderseits die Fortschritte in der Medizin, die zu immer teureren Therapien führen. Wir müssen daher bei den Strukturen des Gesundheitssystems strategische Alternativen aufbauen, damit wir den Patienten auch künftig alle medizinischen Innovationen zur Verfügung stellen können. Sonst kommen wir in eine Situation, wie wir sie aus anderen Ländern kennen: Mit Kontingentierungen für medizinische Leistungen.
Wo liegen denn die strukturellen Probleme im heimischen Gesundheitssystem?
Im internationalen Vergleich gibt es mehrere Auffälligkeiten: Die starke Fragmentierung bei den Verantwortlichkeiten, verbunden mit einer fehlenden Gesamtübersicht und einer Zersplitterung der Finanzierung. Hinzu kommt eine im internationalen Vergleich sehr hohe Spitalsdichte. Die aktuellen Debatten wie jene um die sogenannten Gastpatienten in Wien oder um die mögliche Verpflichtung von MedUni-Absolventen für die öffentliche Versorgung sind die Folge dieser Ineffizienzen.
Wo müsste die Reform ansetzen?
Bei den bisherigen Reformbestrebungen – etwa im Zuge des Finanzausgleichs vor zwei Jahren – ging es in erster Linie um quantitative Fragen: Wie viel Geld, wie viel Personal brauchen wir für die bestehenden Strukturen? Das Problem ist aber, dass unsere hohe Dichte an Spitälern und Spitalsbetten mehr Personal erfordert, womit wiederum die Kosten steigen. Es sollte in der Debatte vielmehr um qualitative Fragen gehen – also was das System inhaltlich leisten soll.
Edtstadlers Vorschlag stößt selbst unter ihren Amtskollegen auf heftigen Widerstand. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) etwa sieht keine Vorteile für Patienten und warnt vor einer „lähmenden Zentralbürokratie“.
Das ist eine sehr passive Sicht der Dinge, gerade für so ein kleines Land wie Österreich. Eine Reform ist nichts weiter als eine Frage des Willens.
Was können wir von anderen Ländern lernen?
Es ist zwar immer schwierig, Länder direkt zu vergleichen, aber wie in anderen Bereichen könnte auch beim Gesundheitssystem Dänemark ein Vorzeigebeispiel sein: Dort ist es gelungen, eine Finanzierung aus einer Hand auf die Beine zu stellen und eine bessere Gesamtübersicht über das System zu gewährleisten. All das bei einer geringen Spitalsdichte: Ganz Dänemark hat genauso viele Krankenhäuser wie manches österreichische Bundesland. Im Zuge einer umfassenden Reform wurde die Zahl der Standorte von mehr als 100 auf etwa 20 sogenannte Superkliniken reduziert.
Im Zuge der Gastpatienten-Debatte hat Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) die Schaffung einer Ostregion aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland gefordert, um die Versorgung effizienter zu machen. Was halten Sie von dieser Idee?
Die Ostregion wäre ein erster Schritt in Richtung der Finanzierung aus einer Hand. Wobei man sagen muss: Auf dem Papier existiert diese Ostregion bereits seit mehr als 20 Jahren, sie wurde nur in der Praxis nicht durchgehend verwirklicht. Bemerkenswerterweise ging die Debatte um die Gastpatienten im Vorjahr los, dabei hätte man sie im Rahmen der unmittelbar davor stattgefundenen Finanzausgleichsverhandlungen lösen sollen. Dass das nicht erfolgt ist, zeigt, wie dysfunktional das System ist.
Wie kann es gelingen, dass mehr Meduni-Absolventen sich für eine Karriere als Kassenarzt entscheiden, wo es aktuell massive Engpässe gibt?
Wäre Österreich als Arbeitsplatz für Jungmediziner attraktiver, müsste nicht darüber diskutiert werden, ob sie für das öffentliche System verpflichtet werden sollen. So verlässt aber ein Drittel der Absolventen das Land, womit Österreich ein Netto-Exporteur ist. In der Schweiz wurde ein Drittel der Mediziner nicht im Land ausgebildet, in Österreich sind es nur etwa zwölf Prozent. Es geht also darum, die Arbeitsbedingungen zu attraktivieren. Nicht zielführend ist hingegen die Forderung mancher Politiker, noch mehr Mediziner auszubilden. Das ist ähnlich effektiv wie wenn man Wasser in einen Kübel mit einem Loch schüttet.
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