Sondierungsgespräche: Neue Zeiten, alte Rituale

Sondierungsgespräche: Neue Zeiten, alte Rituale
Zu Regierungsverhandlungen gehören fixe Verhaltensmuster. Auch ÖVP-Chef Kurz hält sich bisher daran.

Der Bundespräsident hält sich an Usancen: Alexander Van der Bellen hat am Freitag Sebastian Kurz – wie erwartet – mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dem Wahlsieger diese Aufgabe zu übertragen, ist in Österreich Teil des demokratischen Systems, den Gewinner der Wahl zu übergehen, käme einem Tabubruch gleich.

Mit dem institutionalisierten Akt des Staatsoberhaupts, den Ersten auf Koalitionsgespräche einzuschwören, hört sich die gute Tradition aber schon auf. Danach ist die Kunst politischer Verhandlungen gefragt: Es folgt eine dramatische Inszenierung ritualisierter Abläufe der Partner- und Entscheidungsfindung.

"Keine Bedingungen"

Wer mit wem? Das ist nach geschlagener Wahl stets die große Frage, bevor das Pingpong-Spiel um rote Linien und harte Bedingungen beginnt. "Wer mit uns verhandeln will, darf keine Bedingungen stellen. Wir werden niemals Bedingungen akzeptieren", erklärte der damalige ÖVP-Chef und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, ein Großmeister taktischen und strategischen Verhandelns, nach seinem Wahlerfolg vom 24. November 2002.

Sondierungsgespräche: Neue Zeiten, alte Rituale
ZU APA TEXT II - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (l.) und BP Thomas Klestil anläßlich der Angelobung der neuen FP-VP-Regierung in der Hofburg. APA-Photo: Harald Schneider

Die Volkspartei kam damals auf 42,3 Prozent der abgegebenen Stimmen (der Koalitionspartner FPÖ erzielte nach dem Waterloo von Knittelfeld im September 2002 zehn Prozent, die Oppositionspartei SPÖ erreichte 36,5 Prozent).

Schüssel hat seine dezidierte Festlegung genützt. Er startete erste Sondierungen mit SPÖ, FPÖ und mit den Grünen. Zu seiner Taktik gehörten auch geheime Verhandlungen; dann wieder vertiefte Sondierungsgespräche ganz offiziell und mit den Grünen nächtliche Beratungen bis zum dramatischen Scheitern der Verhandlungen mit der Öko-Truppe im Morgengrauen.

Parallelverhandlungen

Die SPÖ stellte ihrerseits Bedingungen: Keine Parallelverhandlungen, lautete die Devise von Parteichef Alfred Gusenbauer. Wie so oft wenn einer der Partner unverrückbare Positionen markiert, stärkt das den Verhandlungsspielraum des Anderen, in diesem Fall der ÖVP.

Die Schwarzen beschlossen, die Roten vor die Tür zu setzen, mit der zertrümmerten FPÖ hatte Schüssel leichtes Spiel: Innerhalb weniger Tage und nach einem Rüffel des damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil an den ÖVP-Verhandlungsführer, sich zu beeilen, lag ein schwarz-blaues Regierungsprogramm auf dem Tisch.

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Warum dieses Beispiel aus dem Jahr 2002/2003? Weil es aufzeigt, wie Schüssel in der Rolle des Stärkeren agierte, ein inhaltliches Konzept hatte, keine Differenzen im Verhandlungsteam zuließ und der Strategie des überzeugenden Argumentierens folgte.

Kurzum: Schüssel bestimmte das Pingpong-Spiel vom Anfang bis zum Ende – bis er gewann.

Äußerst hart verliefen die Verhandlungen nach der Wahl am 1. Oktober 2006: Die SPÖ lag einen Prozentpunkt vor der ÖVP (34,33 Prozent), die FPÖ bei 11,04 Prozent, die Grünen bei elf Prozent. Schüssel war der Hauptakteur der ÖVP, nach wenigen Wochen unterbrach er die Gespräche mit der SPÖ, weil er "nur Trennendes" sah, zum Beispiel bei den Eurofightern (die SPÖ suchte einen Weg für den Ausstieg aus dem Vertrag, die ÖVP war dagegen). Auf die Frage, ob Schüssel nicht wieder auf den Verhandlungstisch zurückkehren wolle, antwortete er im ORF-Report: "Die ÖVP ist kein Brikett, das man auf Heizformat zusammenschrumpfen kann, ohne Kopf und Glieder, nur als Heizwert für den SPÖ-Ofen." Ultimaten würden nicht funktionieren, stellte der noch amtierende Bundeskanzler Schüssel fest.

Schließlich verhandelten SPÖ und ÖVP weiter, obwohl die Roten verdächtigt wurden, heimlich mit den Blauen und Grünen zu reden. SPÖ und ÖVP definierten dann zehn "Problemzonen", Untergruppen wurden gebildet, ein Kassasturz gemacht. Alles Maßnahmen, die es bei jeder Regierungsbildung gibt.

Sondierungsgespräche: Neue Zeiten, alte Rituale
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Jetzt fragen sich die Österreicher, wie Sebastian Kurz die Koalitionsverhandlungen anlegen wird? Im Wahlkampf versprach er einen "neuen Stil des Regierens". Wird er mit dieser Ansage auch alte Abläufe ändern, die Karten offenlegen und die Kommunikation nach außen verbessern? "Wohl nicht", sagt der Meinungsforscher und OGM-Chef Wolfgang Bachmayer. "Gesetzmäßigkeiten von Verhandlungen kann man nicht verändern. Es wird auch unter Kurz laufen wie bisher, abgesehen von neuen Begrifflichkeiten."

Und siehe da, ein neuer Terminus wurde von den Türkisen eingeführt: Mit allen Parteien werden "Annäherungsgespräche" geführt. Das klingt freundlicher als Sondierungen "ändert in der Substanz aber nichts", ist Bachmayer überzeugt.

Altes Drehbuch

Kurz hat es eilig, er traf bereits Neos-Chef Matthias Strolz zu einem Annäherungsgespräch. Heute, Sonntag, ist Noch-Kanzler Christian Kern an der Reihe. Annäherung wird das wohl keine mehr.

Damit hält sich der ÖVP-Chef bisher aber an das bekannte Drehbuch: Ein Tête-à-Tête in privater Atmosphäre hat er mit seinem möglichen Vize, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, schon absolviert. Vielleicht wurde da schon heimlich unter "Vier-Augen" die Agenda des Regierens erstellt, samt Personal und Ministerliste. Ganz kann sich Kurz altbewährten Mustern nicht entziehen. Sie geben auch dem jungen Parteichef einen bestimmten Rahmen für sein Verhalten, erstarrt in den Gesten und Ritualen der Politik. Aber: Die Annäherungsgespräche haben ja erst begonnen, Kurz hat noch Zeit "neuen Stil" zu zeigen und Rituale zu opfern.

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