Sollen Arbeitnehmer so etwas wie „hitzefrei“ bekommen – also eine Art „Siesta“, wie es sie in Ländern rund um das Mittelmeer zum Teil gibt?
In Deutschland wird über diese Frage gerade heftig nachgedacht, die Debatte „schwappt“ angesichts der Juli-Hitze auch nach Österreich. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen:
Warum wird jetzt über eine „Siesta“ diskutiert?
In Deutschland hat der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Dienstes eine Siesta angeregt. „Wir sollten uns an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren“, sagte Verbandschef Johannes Nießen. Die Bau-Agrar- und Umweltgewerkschaft in Deutschland steht dieser Forderung insofern offen gegenüber, als man die Beschäftigten auf alle Fälle vor der Gluthitze schützen soll und muss.
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Ist die Hitze fürs Arbeiten wirklich ein Problem?
Ja. „Nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit leidet, auch die kognitive Fähigkeit ist eingeschränkt. Es kommt zu Konzentrationsproblemen und damit zu einem höheren Unfallrisiko“, sagt Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner der MedUni Wien. Auch Arbeitsmediziner Piero Lercher würde es für sinnvoll halten, Personen, die sich im Freien aufhalten müssen, bei großer Hitze zu schützen. „Aus medizinischer Sicht wäre bei Bau- oder Straßenarbeitern eine Mittagspause in Form einer Siesta empfehlenswert.“
Gibt es in Österreich keine Schutzbestimmungen für besondere Hitze?
Doch. Sie sind etwa in der „Arbeitsstättenverordnung“ geregelt. Diese sieht vor, welche Durchschnittstemperaturen am Arbeitsplatz herrschen dürfen. Bei Bürojobs gelten 19 bis 25 Grad Celsius. Wird diese Grenze über- oder unterschritten muss das Arbeitsinspektorat einschreiten und Gegenmaßnahmen (z.B. Rollos) anregen. Die Pflicht, eine Klimaanlage einzubauen, gibt es nicht. Bei Arbeiten im Freien müssen Arbeitgeber Schutzausrüstung wie Kappen, Sonnenbrillen oder alkoholfreie Getränke zur Verfügung stellen.
Gibt es so etwas wie Hitzeferien für Arbeiter?
Für Branchen, in denen Schwerarbeit geleistet wird, gibt es theoretisch die Möglichkeit, ab 32,5 Grad Celsius die Arbeit niederzulegen. Dies geschieht aber freiwillig, sprich: Der Arbeitgeber muss zustimmen – weil er das Entgelt weiter bezahlt. Baugewerkschafter wie Josef Muchitsch halten aber ohnehin nichts von einer Siesta. Zum einen beginne man im Hochsommer auf Baustellen oft schon um sechs Uhr früh – ein Großteil der Arbeitszeit sei bei der Mittagshitze erledigt. Zum anderen sei es lebensfremd zu glauben, dass Arbeiter am Abend auf die Baustelle zurückkehren können – Lärmschutzbestimmungen laufen dem zuwider.
Was hält das Gesundheits- und Sozialministerium von einer Siesta?
Eine österreichweite Siesta wird skeptisch gesehen: „Aufgrund der geografischen und klimatischen Besonderheiten in einzelnen Bundesländern sind Häufigkeit und Intensität von Hitzebelastungen sehr unterschiedlich. Städte sind in der Regel deutlich stärker betroffen als ländliche Regionen“, heißt es. Das Gesundheitsressort ist vor allem für die Hitzeprävention zuständig. So wurde am 20. Juni das Hitzetelefon (0800 880 800) eingerichtet, das rund um die Uhr erreichbar ist.
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Befürworten Gewerkschaften und Arbeiterkammer eine Siesta?
Nein. „Für den ÖGB ist die Forderung nach einer allgemeinen Siesta kein Thema“, sagt Martin Müller, Arbeitsrechtsexperte des ÖGB. Die Ansicht, dass Siestas in Spanien, Portugal oder Italien weit verbreitet sind, sei eine „urban legend“. „Die vernetzte Wirtschaft lässt das nicht zu. Ein Angestellter in Madrid erreicht um acht Uhr abends keinen Geschäftspartner in Hamburg oder Wien. Und die Arbeit in den Autowerken läuft auch rund um die Uhr.“
Hinzu komme, dass sich der Arbeitstag durch eine Siesta deutlich, nämlich bis weit in den Abend, verlängere. Müller: „Viel wichtiger wäre die ÖGB-Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Damit würde sich automatisch die Anzahl der Stunden, die man in der Hitze arbeiten muss, verringern.“ Ganz ähnlich ist die Argumentation in der Arbeiterkammer. Sybille Pirklbauer, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, ortet vor allem das Problem, dass eine Siesta den Arbeitstag „zerreißt“ und damit die Vereinbarkeit von Job und Privatleben erschwert. „Wir wissen aus Branchen, in denen es geteilte Dienste gibt, dass das bei den Beschäftigten sehr unbeliebt ist und die meisten gerne auf einen durchgehenden Dienst umstellen wollen“, sagt Pirklbauer. „Nicht nur wegen der Freizeit, sondern auch wegen der Frage der Kinderbetreuung.“
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