Arbeitswelt: Recht auf Nicht-Erreichbarkeit

Arbeitswelt: Recht auf Nicht-Erreichbarkeit
Die Arbeitswelt wird flexibler, die Grenzen zwischen Beruf und Privat verschwimmen. WU-Professorin Susanne Auer-Mayer erklärt, was arbeitsrechtlich erlaubt ist.

Durch die Digitalisierung wird die Arbeitswelt zunehmend flexibler. „Remote“ zu arbeiten ist keine Ausnahme mehr. Professorin Susanne Auer-Mayer, Leiterin des WU Instituts für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht, erforscht, vor welche Herausforderungen die Digitalisierung das Arbeitsrecht stellt.

Wo liegen die Grenzen zwischen Arbeit und Privat?
Susanne Auer-Mayer:
 Rechtlich betrachtet ist zum Beispiel die Einordnung gewisser Zeiträume als Arbeits- oder Freizeit sehr wichtig. Arbeitgebern drohen bei Verstößen gegen die Arbeitszeitvorgaben Verwaltungsstrafen, auch die Entgeltansprüche der Arbeitnehmern sind aber in der Regel davon abhängig. Gerade bei remote Arbeitenden ist die Abgrenzung von „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ besonders schwierig.

Arbeitswelt: Recht auf Nicht-Erreichbarkeit

WU Professorin Susanne Auer-Mayer, Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht

In der Vergangenheit wurde diesbezüglich vor allem darauf geachtet, ob der Arbeitnehmer verpflichtet war, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, um gegebenenfalls jederzeit die (Kern-)Arbeitstätigkeit aufzunehmen.

Konnte der Ort frei gewählt werden und mussten Arbeitnehmer nur telefonisch erreichbar sein, wurde diese bloße Rufbereitschaft wegen der verbleibenden Freiheiten in der Freizeitgestaltung nicht als Arbeitszeit beurteilt.

Arbeiten Personen generell mobil an einem selbst gewählten Ort, hilft diese örtliche Bindung jedoch nicht weiter. Auch bezüglich der Reaktionszeit im Fall eines Anrufs besteht das Problem, dass remote Arbeitende örtlich relativ flexibel einsatzfähig sind.

Selbst vergleichsweise enge zeitliche Vorgaben führen daher noch nicht dazu, dass Arbeitszeit anzunehmen ist. Eine Rolle spielt auch, wie häufig tatsächlich Arbeit anfällt.

Muss z.B. – wenn auch mit kurzen Unterbrechungen – laufend mit beruflichen E-Mails gerechnet werden, ist die Verfügungsbefugnis über die Freizeit erheblich beschränkt. In diesem Fall liegt Arbeitszeit vor. Was bleibt, ist eine schwierige Abwägungsentscheidung im Einzelfall.

Wie sieht es im Arbeitsrecht mit der Dauererreichbarkeit aus?
Die Kultur der „Dauererreichbarkeit“ wirft erhebliche Probleme auf: Arbeitnehmer haben ihr Smartphone mit dem beruflichen Mail-Account häufig dabei und empfangen somit E-Mails und Anrufe in der eigentlichen Freizeit. Damit stellt sich erstens die Frage, ob diese Erreichbarkeit als Rufbereitschaft gilt. Ist das so, ist sie in dieser Form unzulässig, denn auch Rufbereitschaft ist gesetzlich nur zeitlich eingeschränkt (an max. zehn Tagen pro Monat) zulässig. Zweitens ist unklar, welche Folgen es hat, wenn z.B. tatsächlich eine E-Mail beantwortet wird.

Auch solche „minimalen“ Arbeitsleistungen sind wohl Arbeitszeit. Damit unterbrechen sie die verpflichtenden Ruhezeiten (täglich elf durchgängige Stunden). Das geltende Arbeitsrecht gerät damit gerade in diesem Bereich in ein erhebliches Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite steht der notwendige Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und deren Schutz vor ständiger „Arbeit auf Abruf“.

Auf EU-Ebene wird daher diskutiert, ob es ein „Grundrecht auf Nichterreichbarkeit“ braucht, um die Arbeitenden vor digitaler Erreichbarkeit in der eigentlichen Freizeit zu schützen. Auf der anderen Seite besteht der Wunsch – gerade auch der Arbeitnehmer selbst – nach mehr Flexibilität. 

Seit 2020 ist Susanne Auer-Mayer Professorin für Arbeitsrecht und Sozialrecht, seit 2022 Vorständin des WU Instituts für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht. Sie erforscht, vor welche Herausforderungen die Digitalisierung das Arbeitsrecht stellt. Die WU zeichnet Susanne Auer-Mayer für Ihre Forschungsleistungen als "Researcher of the Month" aus.

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