FPÖ-Chef Kickl als "Sicherheitsrisiko"? Die Stationen einer Entfremdung
Der FPÖ-Chef ist Wahlsieger, doch die ÖVP schließt eine Koalition mit ihm aus. Kickl bezeichnet die Identitären als NGO von rechts, Orbán als Vorbild – doch die Gründe für die Ablehnung beginnen früher, sind weit tiefer.
Als Herbert Kickl im Frühjahr 2018 in der köchelnden BVT-Affäre erklärt, er wolle den Staatsschutz umkrempeln, ist in der türkis-blauen Koalition alles in bester Ordnung: Die ÖVP versichert, FPÖ-Innenminister Kickl habe sich „selbstverständlich“ mit ihr abgestimmt. Und um das herauszustreichen, lässt die ÖVP via Generalsekretariat schriftlich ausrichten, „die Volkspartei übt keine Kritik am Innenminister“. Der Name des Generalsekretärs: Karl Nehammer.
Sechseinhalb Jahre später ist alles anders: Nehammer ist Kanzler, hat FPÖ-Chef Kickl das Du-Wort entzogen bezeichnet ihn als „Sicherheitsrisiko“ und denkt nicht im Traum daran, mit dem Ex-Regierungspartner über eine Koalition zu sprechen, geschweige denn eine zu verhandeln. „Nehammer misstraut Kickl zutiefst“, heißt es in der ÖVP. Und das gilt genauso in die andere Richtung.
Die Entfremdung der Spitzen von ÖVP und FPÖ ist ein wesentlicher Faktor bei der aktuellen Regierungsbildungsphase. Doch: Wie kam es dazu? Der KURIER hat sich auf Spurensuche begeben und ortet zumindest drei Phasen.
I. Die Angelobung
ÖVP-Funktionäre datieren den Beginn der Entfremdung zwischen Kickl, der ÖVP und Nehammer paradoxerweise mit dem 18. Dezember 2017 – also dem Tag der Angelobung.
„Mit der Übernahme des Ministerjobs wurde Kickl politisch erstmals relevant, er hat Verantwortung und Gestaltungskraft bekommen. Davor war er nur ein Akteur in der zweiten Reihe“, sagt ein ÖVP-Minister. Mit Beginn seiner Amtszeit habe Kickl begonnen, im Ressort „aufzuräumen“, wie ÖVPler erzählen.
Soll heißen: Er lässt im Innenministerium rote Teppiche gegen blaue tauschen, „Fantasie-Uniformen“ tragen und propagiert handwerklich mittelprächtig vorbereitete Projekte wie die Polizei-Pferde. Soweit die türkise Perspektive.
Aus blauer Sicht ist die Sache anders. Demnach instrumentalisiert die ÖVP seit jeher das Innenministerium, um Kontrolle über Institutionen wie Polizei und Nachrichtendienste auszuüben. „Als wir das Ressort übernommen haben, wurde intern diskutiert, wie wir im Ministerium die Macht der ÖVP ein Stück weit durchbrechen können“, erzählt ein FPÖ-Mandatar.
Eines bestätigen gegenüber dem KURIER beide Seiten: Es herrschte Argwohn.
Ein Beispiel: Bei Routineterminen im Ministerbüro wird ein Handy-Verbot verhängt, um Gespräche nicht aufnehmen zu können. Zum Misstrauen gegenüber dem Apparat gesellen sich eigenwillige „Dienstanweisungen“: Stellvertretend dafür steht eine eMail, die im September 2018 auch außerhalb des Ressorts für Empörung sorgt. Darin weist Kickls Ressortsprecher die Landespolizeidirektionen an, den Umgang mit „kritischen Medien“(auch mit dem KURIER) aufs Nötigste zu reduzieren.
Nehammer ist in dieser Phase der Entfremdung „nur“ Generalsekretär. Als Vertrauter von Kanzler Kurz kennt er das angespannte Verhältnis zwischen Kickl und dessen Beamten. Die Skepsis wächst.
Für eine massive Verschlechterung, wenn nicht den Bruch sorgt die „Ibiza-Affäre“ im Mai 2019: Binnen Stunden entscheidet Kanzler Sebastian Kurz, dass nicht nur der durch das Video desavouierte Vizekanzler Heinz-Christian Strache, sondern auch Kickl untragbar sei.
Die Erklärung der Türkisen: Im Zentrum der Affäre steht die FPÖ. Politisch sei es nicht hinnehmbar, dass ein FPÖ-Minister bei Ermittlungen gegen seine Partei letztverantwortlich ist. Aus Sicht der FPÖ ist die Situation eine völlige andere.
Wie namhafte FP-Vertreter bestätigen, weiß Strache noch am Abend der Video-Veröffentlichung am Freitag, dass er zurücktreten muss. Als Strache Samstag gen Mittag vereinbarungsmäßig geht, fühlen sich die Freiheitlichen getäuscht.
Von Kickls Rücktritt sei nie die Rede gewesen. „Dass die ÖVP mit ihm nicht glücklich war, war uns und ihm bewusst“, erzählt ein FPÖ-Stratege. Doch den Innenminister aus der Regierung entfernen zu lassen – das ist für die FPÖ ein No-Go. „Kickl war nicht auf Ibiza, Kickl hatte keine Verfahren laufen, er galt nicht als Beschuldigter… warum sollte er gehen?“, so die Haltung. Und zudem: Wenn man bei Kickl nachgibt, was bedeutet das für das blaue Selbstbewusstsein und den Rest der Mannschaft?
Dem Unverständnis folgen Ernüchterung und eine einmalige Abfolge: Die ÖVP beharrt auf dem Rausschmiss, setzt Kickl mit der Rückendeckung des Bundespräsidenten ab, alle FPÖ-Minister treten zurück und Türkis-Blau implodiert.
Worin sich die Schilderungen in ÖVP und FPÖ gleichen: Die ÖVP sieht in der Ibiza-Affäre eine Gelegenheit. Erstens für Neuwahlen. Zweitens, um das Innenministerium wieder der FPÖ zu entziehen. Das hinterlässt Spuren. Bei allen.
Bundesregierung Kurz I Nach der Wahl 2017 bilden ÖVP-Chef Sebastian Kurz (31,47 Prozent) und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (25,97 Prozent) eine Koalition.
BVT-Affäre Am 28.2.2018, Herbert Kickl ist Innenminister, findet im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) eine Hausdurchsuchung statt, hiesige Nachrichtendienste werden vom Nachrichtennetzwerk „Berner Club“ suspendiert.
Ibiza-Video Am 17.5.2019 wird das Ibiza-Video publik, tags darauf tritt Strache zurück, abends kündigt Kurz die Koalition und schlägt Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor, Kickl als Minister zu entlassen – was am 22.5.2019 auch passiert.
III. Die Pandemie
Man könnte annehmen, dass die Zeit auch in der Politik bisweilen Wunde heilt. Bei den Spitzen von ÖVP und FPÖ ist das nicht der Fall. Und das liegt an der Pandemie.
„Den ,Deep State’, den Kickl erst im Innenministerium vermutet hat, sieht er heute überall“, sagt ein ÖVP-Stratege. Er sehe ihn in der UNO, die mit der WHO die Weltherrschaft übernehmen wolle – oder in den Gesundheitsbehörden, die die Bürger mit dem digitalen Impfpass unterwerfen wollten.
Dass Kickl das Entwurmungsmittel Ivermectin als Alternative zur Schutz-Impfung nennt, nehmen ihm ÖVPler bis heute übel: „Er hat gewusst, was er tut – und sich aus politischem Kalkül auf die Seite der Maßnahmengegner gestellt.“
Hat Herbert Kickl wider besseres Wissen gehandelt?
Es gehört zu den Pikanterien der Entfremdung, dass Kickl genau das der ÖVP vorhält. Maßnahmen wie der Lockdown für Ungeimpfte oder die Impfpflicht seien von vornherein sinnlos gewesen – dennoch habe man sie durchgezogen.
Unterm Strich ist es egal, wann die Brüche passiert sind, denn sie scheinen unkittbar. In einem sind sich ÖVP und FPÖ nämlich einig: Karl Nehammer und Herbert Kickl werden nie wieder in einer Koalition arbeiten.
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