Wien-Wahl: Sechs Kandidaten – und ihr Weg an die Spitze
Wirklich viele Gemeinsamkeiten haben die Chefs der sechs großen Wiener Parteien nicht. Eine gibt es aber doch: Keiner von ihnen hat seine Partei je zuvor als Spitzenkandidat in eine Wien-Wahl geführt. Einzige Ausnahme ist Heinz-Christian Strache – der wiederum steigt aber nicht mehr für seine angestammte Partei in den Ring.
Das Coronavirus kam den Spitzenkandidaten da alles andere als gelegen: keine großen Wahlkampfveranstaltungen, kaum Wählerkontakt – für den eigenen Bekanntheitsgrad ist das Gift.
Wer aber sind jene fünf Männer und jene Frau, die nach dem 11. Oktober in der Stadt (mit-)bestimmen wollen? Woher kommen sie? Wofür stehen sie? Wie sind sie durch den Wahlkampf gekommen?
Eine kurze Geschichte über die sehr unterschiedlichen Wege an die Spitze der Wiener Parteien.
Michael Ludwig (59)
Ein Wiener Bürgermeister, dessen Lieblingsgetränk Wasser ist – kann das gut gehen? Das fragten sich manche, als Michael Ludwig 2018 Langzeit-Stadtchef und Spritzwein-Liebhaber Michael Häupl beerbte. Zuvor hatte sich der SPÖ-Wohnbaustadtrat in einem zermürbenden parteiinternen Duell um die Parteispitze gegen Andreas Schieder durchgesetzt.
Es ging bis dato ganz gut. Ludwig ist es gelungen, die tief zerstrittenen Parteiflügel zu versöhnen. Unspektakulär, dafür aber um Ausgleich bemüht auch die ersten Monate seiner Amtszeit: Ein paar Signale nach links, etwa in der Flüchtlingspolitik, ein paar nach rechts (Alkoholverbote an neuralgischen Punkten der Stadt) – eine Strategie, die sich bisher auch im Wahlkampf bewährte. Wenn man den Umfragen glauben darf.
Klassischer Werdegang
Seine Partei kennt der 1961 geborene Ludwig durch und durch: Aufgewachsen im Gemeindebau, studierte er Politikwissenschaft und Geschichte. Beruflich startete er in der Erwachsenenbildung, ehe er 1994 Bezirksrat in Floridsdorf wurde.
Nach den Stationen Bundesrat und Gemeinderat stieg er 2007 in die Stadtregierung auf: Als Wohnbaustadtrat folgte er Werner Faymann, dessen Mitstreiter (etwa Doris Bures oder Christian Deutsch) heute noch zu den engsten Vertrauen Ludwigs zählen.
Seit zwei Jahren verheiratet, würde heute jeder zweite Wiener den einst als farblos geltenden Ludwig direkt zum Bürgermeister wählen. Auch das zuletzt holprige städtische Corona-Management konnte den SPÖ-Wahlkampf nicht wirklich aus der Bahn werfen. Was wohl auch an der Schwäche der Gegner liegt. Somit kann Ludwig für den Wahlabend schon den Sekt einkühlen – oder die Wasserflasche.
Dominik Nepp (38)
Ibiza beendete Karrieren (zum Teil zumindest vorläufig). Und begünstigte andere – die von Dominik Nepp, seit 2017 Wiener Vizebürgermeister ohne Portefeuille, zum Beispiel.
Nachdem sich Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und der geschäftsführende Wiener FPÖ-Obmann Johann Gudenus politisch ins Aus katapultiert hatten, trat der seit Langem als Personalreserve aufgebaute Nepp früher als geplant aus dem Schatten seines einstigen Mentors Strache.
Und wie schon drei Mal davor – als Bundesobmann des Rings freiheitlicher Jugend, als Klubobmann im Wiener Landtag sowie als FPÖ-Vizebürgermeister – folgte er im Mai 2019 Gudenus nach. Dieses Mal als FPÖ-Wien-Chef.
„Asylantenvirus“
Zunächst hielt Nepp noch an der privaten Freundschaft zu Strache und Gudenus fest. Ersterem gestand er ein Büro in den Räumlichkeiten der Wiener FPÖ zu. Nach Bekanntwerden des Spesenskandals reichte es dem neuen Stadtparteichef aber. Mit Jahresende wurde Strache aus der Partei ausgeschlossen.
Die inhaltliche Gewichtung der Wiener FPÖ änderte sich dadurch freilich nicht. Wie seine Vorgänger poltert Nepp gegen unkontrollierte Zuwanderung, misslungene rot-grüne Integrationspolitik und Sicherheitsdefizite in der Stadt. Er fordert eine Auflösung der Islamischen Glaubensgemeinschaft, wünscht sich Erziehungscamps für Problemschüler und bezeichnet Corona als „Asylantenvirus“.
Dass der FPÖ bei der Wien-Wahl ein Debakel drohen könnte – eine aktuelle Umfrage sieht die Blauen, die 2015 noch 30,8 Prozent erreichten, bei 9 Prozent – liegt weniger daran, dass Nepp im Wahlkampf „nicht so eine Rampensau“ sei, wie ein Insider dem KURIER erzählt, sondern an der Konkurrenz durch ÖVP und Strache.
Nepp gibt sich dennoch zweckoptimistisch: Er gehe von einem Überraschungserfolg am 11. Oktober aus – behauptet er.
Birgit Hebein (53)
Zu unbekannt. Ohne Kanten. Ein leichtes Spiel für die SPÖ. Das sagte man über Birgit Hebein, als sie vor zwei Jahren Spitzenkandidatin der Grünen wurde.
Heute würde das wohl niemand mehr behaupten: Nur 14 Prozent der Wiener kennen Hebein nicht, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Von den Mitgliedern der Stadtregierung sind nur Bürgermeister Michael Ludwig und Stadträtin Ulli Sima bekannter. Dass das so ist, ist kein Zufall. Und es hat seinen Preis.
Als die gelernte Sozialarbeiterin Hebein von Maria Vassilakou übernahm, kannte sie das Rathaus (als Gemeinderätin) seit acht Jahren von innen – und war dort als Sachpolitikerin geschätzt. Von sich reden gemacht hatte sie bis dahin aber kaum.
Teure Bekanntheit
Im Sommer 2019 als Vizebürgermeisterin angelobt, sollte sich das bald ändern: Hebein emanzipierte sich zusehends von Vassilakous Projekten, sie setzte eigene Schwerpunkte, etwa die „Coolen Straßen“. Und sie verhandelte die türkis-grüne Koalition im Bund mit.
Während des Lockdowns brachte sie sich mit Aufreger-Projekten wie Pop-up-Radwegen ins Gespräch. Mit dem Begehr nach einer „autofreien“ City setzte sie all dem noch eins drauf.
Die Rechnung geht – siehe Umfrage – auf. Doch die Bekanntheit ist teuer bezahlt: Die 53-Jährige ist umstritten. Im Beliebtheitsranking belegt sie unter den Stadträten den letzten Platz. Sympathiepunkte könnte Hebein auf den letzten Metern mit ihren Wahlkampf-Clips holen: etwa mit jenen, in denen sie US-Präsident Donald Trump die Angst vor „explodierenden“ Bäumen nehmen will. Oder mit Plakat-Sujets, die sie mit Bauarbeitern zeigen. Bilder wie diese sind der Konnex zu Hebeins Wurzeln in Kärnten, die sie so gerne betont.
Die gute Nachricht für Hebein: Zumindest grüne Kernwähler sind von ihr überzeugt. Die schlechte: Die breite Öffnung der Partei ist ihr (noch) nicht gelungen.
Gernot Blümel (38)
Homestorys mit dem Spitzenkandidaten? Da schrillen in der Presseabteilung der Wiener ÖVP die Alarmglocken. Wer – wie Gernot Blümel – je selbst Elternteil eines Kleinstkindes war (und sich an den Zustand der eigenen Wohnung erinnert), ist geneigt, die Reaktion zu verstehen.
Dennoch ist sie symptomatisch für den Wahlkampf der ÖVP: Persönliches gibt Blümel nicht preis, nicht einmal ein Kinderfoto bekam der KURIER. Für Emotionen oder gar Ecken und Kanten ist kein Platz. In der Wiener Stadtpolitik, in der gerne Spritzer getrunken wird, ist so eine Positionierung schwierig. (Dass Blümel einst erklärte, er habe noch nie ein Minus am Konto gehabt, verstärkte die Bürgernähe nicht unbedingt.)
Der Vorwurf, mit dem sich der 38-Jährige seit Monaten konfrontiert sieht: Er habe gar kein echtes Interesse an einem Wechsel in die Stadtpolitik. Blümel selbst bemüht sich nach Kräften, dagegenzuhalten – und seine Liebe zu Wien zu betonen.
2015 sei er eigens aus der Bundespartei – dort war er immerhin Generalsekretär – nach Wien gewechselt, um die kränkelnde Partei auf historischem Tiefstand zu übernehmen, führt er gern ins Treffen. Auch bei dieser Wahl hat er sich (inzwischen) festgelegt: Er könne sich vorstellen, unter SPÖ-Chef Michael Ludwig selbst Vizebürgermeister zu werden. (Der kolportierte Wunsch, vom Finanzminister zum Finanzstadtrat zu werden, wird der SPÖ aber nur ein mildes Lächeln entlocken.)
Für Blümel ist die Positionierung ein Balanceakt: Er zählt zum Vertrautenkreis von Kanzler Sebastian Kurz – dieser wäre dem Vernehmen nach über eine Koalition mit dem Lieblingsgegner, der Wiener SPÖ, nicht erfreut.
Auch thematisch hat es Blümel schwer: Er fährt einen „Mitte-Rechts-Kurs mit Anstand“, um heimatlose FPÖ-Wähler anzusprechen. Der Spagat hin zur SPÖ wird da schwierig.
Für den Wahlabend versucht Blümel die (hohen) Erwartungen zu dämpfen: Eine Verdoppelung auf 18 Prozent wäre für ihn schon ein Sieg. Ob das der Kanzler auch so sieht?
Christoph Wiederkehr (30)
Vom Auftreten her könnte Christoph Wiederkehr auch der Spitzenkandidat der ÖVP sein. Korrekte Kleidung, unauffällige Frisur, kultivierte Sprache, der ganze Habitus hart an der Grenze zum Streberhaften.
Doch keineswegs: Der jüngste Spitzenkandidat im Feld ist ein Liberaler durch und durch, im Gegensatz zur Gründungsgeneration der Neos und damit auch seiner Vorgängerin Beate Meinl-Reisinger ohne Vergangenheit bei der Volkspartei, geprägt vom Streben nach Freiheit, Eigenverantwortung und Humanismus.
Politisiert wurde der 30-Jährige im „frustrierenden“, stockkonservativen Salzburger Gymnasium, als er sich nach einer Zeit der Blockade gegen die autoritäre Bildungsanstalt irgendwann dachte: „Nicht nur sudern, sondern etwas machen“. Er wurde Schülersprecher und entdeckte Freude daran, „mich mit meinen Projekten und Ideen durch- und mich für andere einzusetzen“.
Nach der Schule zog es den Sohn eines ungarischen Geflüchteten und einer Französin zum Studium der Politikwissenschaft nach Wien, als Nebenprojekt war er einige Zeit in Debattierklubs aktiv, errang sogar den Staatsmeistertitel.
Steile Karriere
Auf der Uni fand er über die Jungen Liberalen zu den Neos, wurde 2015 Landtagsabgeordneter und übernahm vor zwei Jahren die Landesgruppe. Inhaltlich hat sich dadurch nicht viel geändert, auch unter dem Unternehmersohn Wiederkehr setzen die Liberalen vor allem auf Bildung, Transparenz und Bürokratieabbau.
Ob sie das bald in der Regierung tun können, wird sich zeigen – dass sie gerne in eine Koalition mit der SPÖ eintreten würden, hat Wiederkehr im Wahlkampf mehrmals klar gemacht.
Viele Polit-Kommentatoren beschieden ihm insbesondere nach TV-Duellen, eine gute Figur gemacht zu haben. Auch wenn sich das in den Umfragen noch nicht bemerkbar gemacht hat.
Heinz-Christian Strache (51)
Die Hallen sind deutlich kleiner als früher, die Wahlkampf-Videos amateurhaft, die Fangemeinde gelichtet. Nur die Sprüche sind immer noch die gleichen: „Glockenläuten statt Muezzin-Konzerte“, heißt es im Wahlkampf-Song von Heinz-Christian Strache.
In einem von Corona überschatteten, inhaltlich mauen Wahlkampf schaffte es der Ex-FPÖ-Parteichef mit seinem bizarr anmutenden Comeback dennoch, streckenweise die Hauptrolle zu spielen – mit einer Wohnsitz-Debatte, die sich über Wochen hinzog.
Es sagt viel über diesen Wahlkampf aus, dass am Ende als spannendste Frage übrig bleibt: Schafft Strache den Einzug in den Gemeinderat? Es gehört wohl zu den Eigenheiten der österreichischen Politik, dass sich diese Frage überhaupt stellt. Dass der 51-Jährige nach Ibiza-Skandal und Spesenaffäre überhaupt noch zu einer Wahl antreten kann.
Doch umstritten ist Strache von Anfang seiner Polit-Karriere an. Schaden konnten ihm aber weder seine Nähe zum rechtsextremen Milieu in Jugendtagen (Stichwort: Paintball-Spiele) noch die Fülle von fragwürdigen Sagern und Aktionen, die seinen Aufstieg begleiteten.
Rasante Karriere
Er begann 1991, als er mit nur 21 Jahren FPÖ-Bezirksrat in der Landstraße wurde. 1996 wurde er Gemeinderat, acht Jahre später Landesparteichef und immer mehr zum FPÖ-internen Gegenspieler von Jörg Haider. Als dieser sich mit seinem BZÖ 2005 verabschiedete, übernahm Strache die Partei und führte sie von Wahlsieg zu Wahlsieg.
Der Höhepunkt dann 2017, als die FPÖ bei der Nationalratswahl 27 Prozent holte, mit der ÖVP koalierte und Strache Vizekanzler wurde.
Nicht einmal zwei Jahre später der tiefe Absturz des Vaters von drei Kindern aus zwei Ehen. Ebenso überraschend dann das Comeback. Ob es glückt oder ob Strache endgültig in der Versenkung verschwindet, wissen wir am 11. Oktober.
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