Schulreform: Anpacken statt jammern

Schulreform: Anpacken statt jammern
Warum Direktoren mehr entscheiden wollen und was Bildungspolitiker dazu sagen.

Neue Mittelschule, Zentralmatura, Lehrerausbildung: Schulreformen gibt es derzeit genug. Doch wer die Schule verbessern will, muss keine Strukturen ändern. Er muss Schulen in die Autonomie entlassen. Das zeigen internationale Studien. Im Klartext heißt das: Am Standort wird über die Verteilung der Finanzen, die Stundenaufteilung etc. entschieden.

Zwei ehemalige Direktoren kämpfen für die Schulautonomie: Heidi Schrodt von „Bildung grenzenlos“ und Stefan Böck von der WBS (Wiener Gesellschaft für Bildungspolitik und Schulmanagement). Sie fordern von den Bildungssprechern von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen, diese endlich in Österreich zu ermöglichen.

KURIER: Beim Standortfaktor Bildung ist Österreich in fünf Jahren von Platz 2 auf Platz 50 von 56 abgerutscht. Wie könnte die Autonomie unsere Schulen verbessern?

Heidi Schrodt:Ohne Autonomie gibt es kein zeitgemäßes Lernen. Warum? Nur wenn der Lehrer die Verantwortung für jedes Kind trägt, ist gewährleistet, dass kein Schüler abgehängt wird. Das geht nur, wenn der Lehrer den Lernfortschritt jedes einzelnen im Blick hat. Doch das kann er nicht, wenn für alle Klassen vom Bodensee bis Neusiedler See z. B. die Klassengröße vorgegeben ist oder nicht auch in Kleingruppen gelernt werden kann. Pädagogen dürfen keine Einzelkämpfer sein, sondern müssen im Team arbeiten, sich ein Mal pro Woche treffen und jeden Schüler besprechen.

Stefan Böck: Viele können sich gar nicht vorstellen, wie der Schulalltag im Detail reglementiert ist. Wir haben so viele Erlässe, dass sie ein Lehrer gar nicht alle lesen kann. Leider haben nicht die Pädagogen, sondern die Juristen im Schulsystem das Sagen. Hätten wir weniger Vorgaben, könnte manches wie die Schulorganisation vor Ort geregelt werden. Z. B. weg von der 50-Minuten-Stunde, hin zum Blockunterricht. Das würde nichts kosten.

Walter Rosenkranz (FP): Derzeit werden auch die persönlichen Stärken der Lehrer zu wenig genutzt. Es gibt z. B. viele Musik- und Sportprofis, die später unterrichten. Ich kenne einen Ruder-Vize-Europameister, der mit den Schülern diesen Sport nicht ausüben darf – aus Angst, es könnte etwas passieren.

Harald Walser (Grüne):Es wird viel Geld im Schulsystem verpulvert. Ich denke an Sportplätze, die Schulen nicht gemeinsam nutzen können. Auch die Betreuung der Schul-PCs ist teuer. Ich habe mich als Direktor geärgert, dass ich dafür einen Lehrer anheuern musste. Besser und billiger wäre es, die Aufgabe einem HTL-Ingenieur zu übertragen.

Elmar Mayer (SP): Autonomie wäre das Zauberwort in der Bildungspolitik: Schulen sollen eigenständig entscheiden können, wie sie ihre Ressourcen einsetzen. Was besonders erschütternd ist: Wenn derzeit ein Kind in seiner Leistung massiv abfällt, kann ich keine Hilfe beantragen. Denn: Rufe ich beim Schulinspektor an, fragt der, ob das Kind bereits wiederholt hat. Falls nicht, gibt es keine Unterstützung. Das könnte die Autonomie verhindern. Übrigens ist das die Stärke der Privatschulen: Die haben oft weniger Ressourcen, setzen diese aber gezielt ein.

Christine Marek (VP): Mehr Autonomie führt sicher zu höherer Motivation. Wenn ich also am Standort individuell entscheiden und dafür auch die Verantwortung übernehmen kann. Dazu muss man aber überlegen, was die Schulen tatsächlich alleine entscheiden können und wo sie Unterstützung brauchen.

Warum entlässt die Politik die Schulen nicht in die Autonomie?

Mayer: Wir scheitern an den Kompetenzen. Der Bund zahlt, die Länder schaffen an. Ich bin von einem Landeshauptmann als Zentralist beschimpft worden, weil ich für die Schulautonomie bin. Schule ist ihr Reich. Solange wir diese Struktur nicht durchbrechen, haben wir keine Autonomie. Vielleicht ist es eine Chance, dass wir auf Länderebene jetzt neue Parteienkoalitionen haben. Derzeit scheitern Reformen am Landeskaisertum.

Schrodt: Nicht nur das. Auch die Hierarchie, die im Denken verankert ist, verhindert Autonomie. Ein Beispiel ist der 5-Stufen-Plan für den Umgang mit Schulschwänzern, der genau einzuhalten ist. Diese neue Regelung gilt für das Montafon genau so wie für Wien-Ottakring. Vor-Ort-Regelungen wären besser.

Walser: Ich kann das Gejammere von SPÖ und ÖVP nicht mehr hören. Die beiden Parteien bilden eine Regierung. Entweder ist sie in der Lage, eine vernünftige Reform durchzuziehen, oder sie soll zurücktreten. Im Bildungsbereich ist wirklich Not am Kind, und wir sind nicht in der Lage, kleinste Reformschritte zu machen. Seit Jahren wird versprochen, dass Schulen ihre Lehrkräfte selbst anstellen können. Geschehen ist nichts. Von Autonomie zu sprechen, gleicht dem Bau von Luftschlössern. Ein wesentlicher Grund für den Stillstand: Beide Parteien dominieren die Schulen parteipolitisch. Wegen dieses Proporzes geht nichts weiter.

Gibt es überhaupt eine schwarz-rote Willensbildung?

Marek: Es braucht einen breiten Diskussionsprozess und eine Initiative fürs nächste Regierungsprogramm.

Walser: Haben Sie mit Fritz Neugebauer diskutiert? Die Lehrergewerkschaft blockiert am meisten.Rosenkranz: Bisher gab es keinen Diskussionsprozess, sondern einen Sonntagsredenprozess. Wir wissen nicht einmal, wer was unter Autonomie versteht. Außerdem werden Ängste wach. Schon bei der Frage, ob sich Schulen Lehrer selbst aussuchen dürfen. Diejenigen, die jetzt die Besetzung parteipolitisch in der Hand haben, haben Angst. Sie wollen sich das nicht wegnehmen lassen.

KURIER: Ist die Parteipolitik immer noch Thema?

Rosenkranz: Sicher. Aber nicht nur die Länder sind schuld. Was passiert denn dort, wo man dem Bund nicht hinein reden kann, bei den Bundesschulen? Kann die Regierung nicht sagen: Wir zeigen dort, wie es geht? In den berufsbildenden höheren Schulen gelingt die Eigenverantwortung bis zu einem gewissen Grad. Dort gibt es Kooperationen mit Arbeitgebern etc. Da sieht man, mit wie viel Spaß Schüler lernen. Fangen wir also dort an.

Es sollte da also einige Modellschulen geben?

Schrodt: Nein, alle Bundesschulen, die es wollen, sollten autonom werden können.

Marek: Diesen Prozess der Autonomie muss man begleiten.

Was müsste die Politik tun?

Schrodt: Schulen in die Autonomie zu entlassen, erfordert von der Regierung, dass sie eine überschaubare gesetzliche Regelung als Rahmen schafft. Der Staat übernimmt Gesetzgebung und Qualitätskontrolle. Wie das geht? Viele Verwaltungsebenen fallen weg. Auf regionaler Ebene arbeitet ein Bildungsmanagement statt der herkömmlichen Schulinspektoren mit Schulen. Diese erhalten ein Globalbudget, suchen Lehrer selber aus und haben Ressourcen. Eine externe Evaluierung haben wir in Form der Bildungsstandards, die ein Mindestniveau garantieren. Ohne Autonomie bleibt derzeit aber kein pädagogischer Gestaltungsraum.

Kann man sich darauf einigen, dass Autonomie im nächsten Regierungsprogramm steht?

Walser: Ja. Rufzeichen

Mayer: Ja – wir haben schon ein Modell.

Marek: Ja, natürlich.

Rosenkranz: Ja.

Kommentare