Schule in Not: So schaffen wir das
Sie hat den Stein der Diskussion über die riesigen Probleme an Österreichs Schulen ins Rollen gebracht: Andrea Walach, NMS-Direktorin in Wien, hatte erklärt: Ein Drittel ihrer Schüler sei nach Ende der Schulpflicht auf dem Arbeitsmarkt "nicht vermittelbar" (mehr dazu hier).
Was würde sie tun, wäre sie Bildungsministerin der Republik? "Erst einmal wäre es wichtig, den Kontakt mit den Kindern, den Schulen und den Lehrern zu halten. Damit man auf die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse entsprechend reagieren kann." An Schulen wie ihrer – der Anteil an Kindern mit nicht deutscher Muttersprache beträgt 98 Prozent – müsste man zudem "ganz viele Ressourcen reinstecken, weil unsere Lehrerinnen ja ein funktionierendes Elternhaus und all das, was besser gestellte Kinder haben, kompensieren und zusätzlich anbieten müssen."
Wesentlich dafür seien kleinere Klassengrößen. "Wir brauchen kleinere Gruppen bei minderbegabten Kindern oder bei jenen mit nicht deutscher Muttersprache. Halb so groß wie derzeit, also rund zwölf Schüler maximal, und das in jedem Gegenstand. Weil wir so viel Zeit verwenden müssen, Begriffe zu erklären. Wenn ich 25 Kinder habe, und eine Stunde 50 Minuten dauert, bleiben derzeit pro Kind nur zwei Minuten Redezeit. Das ist einfach viel zu wenig. So kann man ein Kind in der deutschen Sprache nicht fördern."
Schuldirektor: "Ich wünsche mir, dass Leistung wieder verlangt werden darf"
Kritik übt er auch am System: "Für zehn Wiener Polys gibt es nur zwei Sprachförderlehrer. Das ist schon jetzt zu wenig. Im kommenden Schuljahr werden auf diese Schulen 400 bis 600 Flüchtlinge verteilt. Sobald sie bereits ein Jahr in der Schule waren, wird davon ausgegangen, dass sie Deutsch beherrschen. Das ist doch absurd. Ob wir nächstes Jahr Lehrer für diese Schüler haben, ist fraglich. Weiteres Problem: Manche Flüchtlinge müssen alphabetisiert werden. Die landen genauso bei uns wie Schüler, die in der AHS besser aufgehoben wären. Doch die nehmen keine auf."
Unternehmerin: "Lesen, schreiben, rechnen. Das muss wirklich sitzen"
Allzu groß sind ihre Anforderungen an ihre zukünftigen Mitarbeiter gar nicht: "Sie müssen grüßen können. Beim Lesen, Schreiben und Rechnen reicht Volksschulniveau. Das aber muss wirklich sitzen. Den Rest bringen wir ihnen schon selber bei." Doch genau das ist es, was viele Jugendliche nicht mehr mitbringen.
Was also müsste besser werden? Über den Unterricht selbst will sie nicht urteilen. Dass in Problemgrätzln mehr Ressourcen nötig sind, etwa für Sozialarbeiter, davon ist sie aber überzeugt: "Als ich noch in der Wiener Stadtpolitik aktiv war, habe ich berechnet, wie viel aus dem Bildungsbudget für Werbung ausgegeben wurde: 22,5 Millionen Euro in fünf Jahren. Dafür könnte man viele Sozialarbeiter einstellen."
Ex-Schuldirektorin: "Ein paar Lehrer mehr reichen nicht. Müssen Regeln vorgeben"
Heute stehe in den Schulordnungen, dass die Kinder ein ordentliches Auftreten haben müssen, sie pünktlich zum Unterricht kommen und grüßen sollen. "Alles Dinge, die früher dort nicht standen – weil sie selbstverständlich waren." Da orte sie ein Zuviel an "Kuschelpädagogik" – ein Lehrer müsse für die Schüler eine Respektsperson bleiben.
Was sich Lehrer anonym via KURIER wünschen
Andreas S. (Name geändert) ist Volksschullehrer in Wien – und kennt daher die enormen Probleme im Schulalltag, über die der KURIER in den vergangenen Tagen berichtet hat (zu hoher Anteil von Kindern, die nicht gut Deutsch sprechen in Klassen; zu wenig Personal etc.). S. meint, wie die meisten seiner Kollegen, dass es ohne zusätzliches Personal nicht gelingen wird, "Starke zu fordern und Schwächere zu fördern".
Andreas S., der erst vor zehn Jahren den Lehrberuf ergriffen hat, appelliert allerdings auch dafür, die Eltern mehr einzubinden: "Elternschulen wären ein neuer Ansatz. In Berlin hat man damit gute Erfolge erzielt. Viele Eltern kapieren von sich aus nicht, wie essenziell die Schule für das Leben ihres Kindes ist. Aber nur, wenn das Dreieck Eltern, Kinder, Lehrer funktioniert, wird das mit der Bildung des Kindes klappen", sagt der 50-jährige Pädagoge. Er selbst arbeitet intensiv mit den Müttern und Vätern zusammen, meint aber, dass das verpflichtend eingeführt – und mit Sanktionen verknüpft werden müsste. "Die Eltern müssten über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt werden. Man müsste sie auch darüber informieren, wo es Hilfsangebote gibt, wenn sie ihren Kindern selbst nicht helfen können. Ich habe Eltern Tipps für Gratisnachhilfe gegeben, ihnen aber auch gezeigt, wie ich mit den Kindern in der Schule rechne oder multipliziere." Man müsste aber auch die Lehrer besser darin schulen, wie man mit den Eltern kooperiert, betont S: "Das kommt in der Ausbildung derzeit zu kurz."
Was ihn massiv stört, ist der parteipolitische Einfluss im Bildungsbereich. Man habe ihm schon "mehrfach nahegelegt, ein Parteibuch zu nehmen", um eine Chance auf einen Direktorenposten zu haben, schildert S: "Ich habe mir aber geschworen, das nicht zu tun, obwohl im derzeitigen System sicher nicht die Besten zum Zug kommen."
Eine Sonderschullehrerin ärgert sich über geplante Sparmaßnahmen: "Ab 2016/’17 sollen maximal 2,4 Prozent der Schüler einen Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) erhalten. In Wien liegt die Quote derzeit bei 4,6. Wenn zukünftig der Verdacht besteht, dass das Kind einen SPF braucht, wird es für ein weiteres Jahr unter Beobachtung gestellt – ohne zusätzliche Förderung, es sitzt in der Regelklasse ohne zusätzlichen Förderlehrer. Das sind Sparmaßnahme auf dem Rücken der Kinder, und da meist bei den Ärmsten der Armen. Da müssen wir investieren."
Ein Lehrer an einer NMS ärgert sich über die Ausbildung der Freizeitbetreuer, die an Ganztagsschulen den Nachmittag schupfen: "Wegen des Personalmangels wird fast jeder Teilnehmer durchgelassen. Das Niveau der Ausbildung ist derart niedrig angesetzt, dass es fast unmöglich ist, den Lehrgang nicht zu absolvieren. Die Vortragenden selbst standen noch nie im Klassenzimmer, manche kommen sogar alkoholisiert zu ,Outdoorseminaren‘. Selbst Teilnehmer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, werden aufgenommen. Einige arbeiten seit Jahren als {C}{C}{C}{C}{C}{C}{C}{C}{C}{C}Freizeitbetreuer – die Ausbildung nachgeholt haben sie bis heute nicht."
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