Margarete Schramböck: "Ohne Wissenschaft gäbe es keinen Impfstoff"
KURIER: Frau Bundesminister, wenn Sie jemand fragt, was Politik und Wirtschaft aus zwei Jahren Covid-Krise gelernt haben, was antworten Sie?
Margarete Schramböck: Da ist zunächst einmal die Digitalisierung. Egal, ob es um Vorgänge wie das Sequenzieren, die Kontakt-Verfolgung oder das Unterrichten im Distance Learning zu Hause geht: Ohne Digitalisierung ist nichts davon möglich, gäbe es keine Pandemiebekämpfung. Die Digitalisierung ist ein extrem wichtiger Teil unseres Lebens – sie muss im Fokus bleiben.
Mit Verlaub, aber: Gerade was das Zusammenführen von Daten angeht, beschweren sich Wissenschafter seit Monaten, dass wir bei weitem nicht alles tun, was möglich wäre, um die Krise zu bekämpfen.
Da stimme ich zu: Gesundheitsdaten sind in dieser Krise eine riesige Chance, und wir müssen es schaffen, die Daten von der Person zu entkoppeln. Wenn wir Krankheiten wie Krebs besiegen wollen, wird uns das nur mit künstlicher Intelligenz und der Hilfe von Daten gelingen. Ja, es ist noch einiges zu tun, aber ich sage auch: Wir sind nicht so schlecht unterwegs. Länder wie Deutschland sind davon weit entfernt, die beneiden uns.
Und was wurde abgesehen davon gelernt?
Dass Europa unabhängiger werden muss. Ob Energie, Rohstoffe oder Medikamente: Wir müssen hier resilienter werden.
Aber ist es ehrlich zu behaupten, man könnte vieles einfach wieder in Europa produzieren? Die Arbeitskraft ist in Fernost um ein Vielfaches billiger, die Produktion von Medikamenten eine globale Sache.
Ich war viele Jahre in der IT-Branche und habe große Teile der Industrie nach Asien abwandern sehen. Das war ein schmerzhafter Prozess. Doch es ist sehr wohl möglich, manches nach Europa zu bringen. Wie? Indem man die Produktion automatisiert und alle Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt. Ein Beispiel: Wir haben in Kärnten eines der modernsten Chip-Werke der Welt, und das funktioniert sehr gut. Man muss sich eingestehen, dass wir in den 1980er und 1990er Jahren naiv waren. Wir haben gedacht, dass geopolitisch immer alles so bleiben wird. Heute steuert Europa gegen. Es gibt das klare Bekenntnis, dass 20 Prozent der weltweit produzierten Computerchips in Europa hergestellt werden sollen. Und wo immer die EU hunderte Millionen Euro investiert, beteiligt sich Österreich. Eine andere Möglichkeit besteht darin, das Abwandern von Industrie aktiv zu verhindern, wie es das Investitionskontrollgesetz ermöglicht.
Was genau wird hier ermöglicht?
Es gibt uns eine Handhabe, um als Wirtschaftsministerium Auflagen zu erteilen oder bestimmte Übernahmen zu verbieten, wenn strategische Interessen der Republik gefährdet sind. So haben wir beispielsweise verhindert, dass Firmen im Bereich der Mikroelektronik oder der Cybersicherheit verkauft werden.
Zur Krise: Wirtschaftsexperten kritisieren, dass sie zu wenige Anreize bei den Hilfsmaßnahmen setzen. Die Kurzarbeit sei dazu angetan, dass Arbeitnehmer möglichst wenig arbeiten und der Umsatz-Ersatz bestärke manche in der Haltung, lieber zuzusperren als zu arbeiten. Was antworten Sie?
Als Wirtschaftsministerin wünsche ich mir natürlich, dass dort, wo gearbeitet werden kann, gearbeitet wird. Im Handwerk und in der Industrie hat das – Gott sei Dank – funktioniert, sonst wären unsere Wirtschaftszahlen nicht da, wo sie sind. Was die Wirtschaftshilfen angeht, sehe ich die Sache pragmatisch: Mitunter ist es besser, Maßnahmen – vor allem wenn sie nur kurz gelten – zu verlängern und nicht ständig zu verändern, weil sich die Unternehmer und Arbeitnehmer sonst überhaupt nicht mehr auskennen. Kontinuität hat einen Wert.
Die Krise hat den Online-Handel massiv beflügelt. Allerdings gehen sieben von zehn Euro nach wie vor ins Ausland. Was ist – abgesehen vom desaströsen „Kaufhaus Österreich“ passiert, um den Handel gegen die internationalen Riesen zu stärken?
Das technische Projekt Kaufhaus Österreich wurde massiv kritisiert, deshalb haben wir es eingestellt. Klar war und ist allerdings, dass die Unternehmen Hilfe brauchen. Wir haben uns deshalb entschieden, Förderungen über 15 Millionen Euro anzubieten, um Unternehmer bei konkreten E-Commerce Projekten, beim Design, der Programmierung oder auch bei Schulungen zu unterstützten. Wir haben sogar Beratungsleistungen für Unternehmer finanziert – und das ist sehr gut angekommen.
"Eine grundsätzliche Sonntagsöffnung ist derzeit kein Thema."
Aber muss es nicht regulatorische Maßnahmen geben?
Die Marktmacht der großen, weltweiten Konzerne muss tatsächlich stärker kontrolliert und an die Kandare genommen werden. Aber dafür gibt es den Digital Service Act und den Digital Market Act. Die digitalen Märkte kann man nur auf europäischer Ebene regeln.
Bleiben wir beim Handel: Der vierte Adventsonntag war erstmals ein Einkaufstag. Sie haben positive Bilanz gezogen – bleibts 2022 dabei?
Nein. Ich bin froh, dass die Vereinbarung für den Tag gegeben hat, weil dieser Sonntag nach dem Lockdown ein wichtiger Umsatzbringer war. Aber eine grundsätzliche Sonntagsöffnung ist derzeit kein Thema.
Kommen wir zu einem anderen Reizthema, den Verbraucherpreisen. Strom und Gas werden gerade sehr schnell sehr viel teurer. Es gibt seit längerem die Forderung, die Umsatzsteuer vorübergehend zu halbieren. Was halten Sie davon?
Ich halte sehr viel von einer Entlastung – und deshalb werden wir für das nächste Jahr die Ökostromumlagen auf null stellen. Das klingt kompliziert, heißt aber ganz einfach, dass wir jeden Haushalt im Schnitt mit 100 Euro im Jahr entlasten, weil ein Zuschlag wegfällt. Betriebe sparen sich im Jahr bis zu 340.000 Euro durch diese Maßnahme. Langfristig müssen wir gegensteuern, indem wir die erneuerbare Energie schneller ausbauen, UVP-Verfahren beschleunigen und alles tun, damit Europa strategische Gasreserven bildet. Das Gas ist derzeit ja auch deshalb so teuer, weil China enorm viel Gas nachfragt und einlagert, um während der Olympischen Spiele die Kohlekraftwerke im Sinne der Luftverbesserung abdrehen zu können.
Sie sind ja auch für die angewandte Forschung zuständig und die Pandemie hat bei der Impfung gezeigt, dass ein Teil der Bevölkerung wenig bis gar kein Vertrauen in Forschung, Fortschritt oder die Wissenschaft hat. Woher kommt das?
Ich habe dafür noch keine Erklärung. Ich weiß nur, dass wir unglaublich von der Wissenschaft profitieren. Ohne Wissenschaft gäbe es keinen Impfstoff. Vielleicht müssen wir mehr in der Bildung tun. Vielleicht müssen wir gerade den Kindern stärker vermitteln, wozu wir forschen, was zum Beispiel Wissenschaft beträgt, dass ein Schnitzel knuspriger wird. Die Finnen setzen sehr auf naturwissenschaftliche Kindergärten. Dort ist eine Forscherin und ein Forscher etwas Cooles. Da müssen wir auch hin.
Sie haben gesagt, dass die niedrige Impfquote den Wirtschaftsaufschwung behindert. Ist die Gesellschaft zu nachsichtig mit den Maßnahmengegnern?
Ich war ursprünglich gegen eine Impfpflicht. Aber die Realität hat uns gezeigt, dass uns 20 bis 25 Prozent an Geimpften fehlen. In einer Gemeinschaft gibt es immer auch Pflichten. Und die Impfpflicht ist jetzt nötig, damit wir das Thema Pandemie für unsere Kinder und deren Kinder lösen.
Aber was sagt es über eine Gesellschaft, wenn sie sich den Luxus leistet, im großen Stil auf teils lebensrettende Impfungen zu verzichten, wohingegen andere Länder und Kontinente händeringend auf Impfdosen warten?
Ich habe viele Jahre für ein südafrikanisches Unternehmen gearbeitet und gerade in Afrika sieht man schnell und eindringlich, welch Segen die moderne Medizin ist. Für uns ist leider sehr vieles selbstverständlich geworden.
Noch kurz zur Impfpflicht: Ab Februar kann ein Arbeitnehmer in einer Firma dank 3 G ungeimpft arbeiten. Sobald er draußen auf der Straße steht, macht er sich ungeimpft strafbar. Wie erklärt man das einem Unternehmer oder den Bürgern?
Ich hoffe, dass sich bis Anfang Februar noch möglichst viele impfen lassen und ihre Zweifel überwinden. Zur konkreten Frage: In die Arbeit gehen ist das eine, ein Bier im Wirtshaus trinken das andere. Arbeiten ist eine vertragliche Verpflichtung, die wir einfach ermöglichen müssen.
Aber logisch ist das nicht.
Wenn jemand nicht dauernd testen gehen will, dann kann er das leicht ändern, indem er oder sie sich impfen lässt.
"Was zählt ist, dass ich da bin"
Noch kurz zur ÖVP. Da sind wieder Chats zwischen Thomas Schmid und dem Industriellem Sigi Wolf aufgetaucht, die ein seltsames Verhältnis zwischen Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft offenbaren. Wie geht es ihnen damit?
Finanzminister Brunner hat bereits gesagt, dass in der Causa volle Aufklärung passieren muss, und dem schließe ich mich an. Abgesehen vom Inhalt ist auch die Sprache, die hier verwendet wird, völlig inakzeptabel.
Trifft das auch auf die über Sie kursierenden Gerüchte zu, wonach sie eigentlich eine Ablösekandidatin in der Regierung sind?
Was zählt ist, dass ich da bin. Ich habe mir einmal angesehen, wer von der ersten Regierungsmannschaft unter Sebastian Kurz noch im Amt ist. Abgesehen von Elisabeth Köstinger bin ich, die Quereinsteigerin ohne politische Vorerfahrung, die einzige.
Haben Sie den Wechsel bereut?
In keiner Minute. Ich bin überzeugt, dass ich einen Beitrag leisten kann. Der ist, das muss ich eingestehen, in der Öffentlichkeit manchmal nicht so sichtbar. Aber wenn ich mit Unternehmern rede, bekomme ich viel Zuspruch dafür, dass ich unaufgeregt und hartnäckig an den Themen arbeite.
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