Zehn km/h spalteten im Frühjahr 2018 das Land. Der damalige Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) wollte das Tempo auf Österreichs Autobahnen auf 140 km/h erhöhen. Klimaschützer schimpften, viele Autofahrer jubelten. Zwei Teststrecken wurden eingerichtet. In genau zwei Wochen – ab 1. März – ist wieder Schluss damit. Die grüne Ministerin Leonore Gewessler hat das Projekt beendet.
Doch was wird vom Versuch bleiben? Gewessler bezeichnete die Tempoerhöhung als „falsches Signal“. Das sieht auch Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer so, die im Institut „Sicher unterwegs“ Nachschulungen anbietet, wenn der Führerschein einmal weg ist. „Es wurde suggeriert, dass hohes Tempo nicht gefährlich ist“, erklärt die Expertin.
Auch Ergebnisse einer umstrittenen Studie des Autobahnbetreibers Asfinag könnten diesen Schluss nahelegen. Denn auf den Teststrecken in Ober- und Niederösterreich änderte sich wenig. Die Geschwindigkeit erhöhte sich im Durchschnitt nur um drei km/h, und die Unfallzahlen sanken: Auf der Teststrecke in Niederösterreich verzeichnete man von 2014 bis 2017 pro Monat durchschnittlich 4,3 Unfälle. Im fünfmonatigen Testzeitraum mit Tempo 140 waren es 2,2 Unfälle. Im oberösterreichischen Abschnitt ereigneten sich zwischen 2014 und 2017 monatlich 1,2 Unfälle mit Personenschaden. Im Testzeitraum waren es 0,5.
Verkehrsexperten des ÖAMTC erklärten diesen Effekt mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit der Autofahrer. Würde das Tempolimit landesweit erhöht, fiele dieser wohl weg.
Fest steht, eine Reduktion der Geschwindigkeit verringert die Anzahl der Unfälle mit Schwerverletzten und Toten. Drei Prozent weniger Tempo bedeuten eine Verminderung der Toten um elf und der Verletzten um neun Prozent, erklärt Expertin Schützhofer.
Schneller im Rausch
Das Problem – auch ohne 140 – bleibt: Tempo 130 heiße für viele ohnehin nicht 130 km/h, sondern schneller, sagt die Psychologin. In Österreich gebe es die „Ein bisserl was geht immer“-Mentalität. Und: Geschwindigkeit kann tatsächlich eine Art Rausch auslösen – „Flow“ nennen es Experten. Aber selbst wenn sie das nicht tut: „Menschen empfinden Fahrvergnügen“, sagt der Verkehrsexperte Michael Heß. Die Menschen seien ans Tempo gewöhnt. Heß war lange im Deutschen Verkehrssicherheitsrat tätig. Die Diskussion um Limits kennt er gut. Denn Deutschland ist das letzte westliche Land, in dem keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gilt.
In den vergangenen Wochen ist im Nachbarland allerdings wieder eine Debatte über die „freie Fahrt“ entbrannt (die Reportage lesen Sie auf Seite 4). Wie argumentieren die Gegner des Tempolimits? Oft mit der „letzten verbliebenen Freiheit“, das Gaspedal durchzudrücken. Das lässt Heß nicht gelten. „Welche Freiheit? Es gibt kaum ein komplexeres System in unserem Leben als den Straßenverkehr.“ Wetter, der Zustand der Straßen, die anderen Verkehrsteilnehmer, Lichtverhältnisse: All das und vieles mehr spielt mit.
Langsamer unterwegs
Die Debatte um Tempolimits wird auch in Österreich weitergehen. Ministerin Gewessler sprach sich dafür aus, strenger zu kontrollieren und Toleranzgrenzen beim Blitzen zu senken.
Diese Maßnahmen könnten aber nur der Anfang sein. Für eine generelle Senkung des Limits bräuchte die Ministerin eine Mehrheit im Parlament. Diese Gesetzesänderung könnte aber auch umgangen werden. Um Österreichs Autofahrer einzubremsen, braucht es de facto kein generelles Tempolimit. Argumentiert man mit der erhöhter Schadstoff- oder Lärmbelastung, könnten die Höchstgeschwindigkeiten mit sektoralen Limits auch weitreichend auf 100 km/h gesenkt werden.
Kommentare