Balkanroute: Schlepper arbeiten mit Minenkarten
Bundeskanzler Sebastian Kurz schlägt seit Tagen Alarm: Die Zahl der Flüchtlinge, die den Weg über den Balkan nehmen, ist in den vergangenen Wochen massiv angestiegen und neue Fluchtrouten tun sich auf. Immer häufiger benützen die Flüchtlinge den Weg über Mazedonien und Bosnien-Herzegowina nach Kroatien und Slowenien. Der Weg über Serbien in die EU ist wegen des 180 Kilometer langen doppelten Grenzzaunes in Ungarn versperrt.
Auch die kroatisch-slowenische Grenze ist ebenfalls streng kontrolliert, 216 Kilometer sind mit Zäunen gesichert, 160 Kilometer mit Stacheldraht und 56 Kilometer mit Paneelen.
Illegale Übertritte gestalten sich immer schwieriger. Das hält Schlepperbanden aber nicht davon ab, über gefährdetes Gelände auszuweichen. Die Menschenschmuggler haben sich mittlerweile auch offizielle Minenkarten besorgt, wissen Experten.
Untergetaucht
In Bosnien-Herzegowina sind von Anfang 2018 bis Mitte Mai rund 4.400 Flüchtlinge angekommen, nur zehn Prozent davon haben sich in Asylzentren registrieren lassen. 2000 sind einfach untergetaucht, heißt es in einem Dokument des Bundeskanzleramtes.
Viele vermeiden einen Antrag auf Asyl zu stellen, weil damit die Weiterreise nach Österreich, Deutschland oder weiter nach Westeuropa rechtlich unmöglich werden würde. Sollten sie es dennoch wagen und in einem der genannten Länder erneut einen Asylantrag stellen, müssten sie zurückkehren, so wie das die EU-Regelungen vorsehen.
Zu den Top-Fünf-Nationen unter den Flüchtlingen gehören Algerien, Pakistan, Marokko, Syrien und Afghanistan. Nordafrikanische Länder gelten in der EU als „sichere Drittstaaten“, Flüchtlinge aus diesen Staaten werden in ihre Heimat zurückgeschickt.
Slowenien kritisierte zuletzt heftig, dass sich die Beitrittskandidaten nicht an die Visa-Vorschriften der EU halten. So gewährt Serbien iranischen Staatsbürgern Visafreiheit, in der EU besteht für Iraner Visapflicht. „Die Gewährung von visafreiem Zugang an Länder, für welche die EU Visa verlangt, ist ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung“, heißt es in einer Stellungnahme der EU-Kommission gegenüber dem KURIER.
Dass auch Syrer in Serbien frei einreisen dürfen, wird von der EU-Kommission nicht bestätigt. Formal müssen sich die Kandidatenländer noch nicht an das Visa-Regime der EU halten, implizit wird es aber erwartet, weil sich die Kandidaten bis zum Beitritt an die Außen- und Visapolitik der EU anpassen müssen. Das betrifft auch EU-Sanktionen. So wird es in der Brüsseler Behörde nicht gerne gesehen, dass Serbien die Sanktionen gegenüber Russland nicht mitträgt.
Der Balkan und die Flüchtlinge verschwinden noch lange nicht von der Agenda der EU. Auch der Gipfel Ende Juni wird sich damit befassen. Fragen der Grenzsicherung, der gemeinsamen Asylpolitik und die Bekämpfung der Fluchtursachen seien „wirkliche Existenzfragen für Europa“, sage Bundeskanzlerin Angela Merkel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Merkel hofft, dass sich eine faire Aufteilung der Flüchtlinge, gegen die sich osteuropäische Staaten sperren, doch noch durchsetzen lasse.
EU-Belohnung
Indessen signalisierte Kommissionspräsiden Jean-Claude Juncker finanzielles Entgegenkommen jenen Ländern gegenüber, die großzügig Flüchtlinge aufgenommen haben. Für jeden zwischen 2013 und 2016 angekommenen Nicht-EU-Bürger sollen 2800 Euro bezahlt werden. Juncker nannte dabei Griechenland, Italien und Deutschland.
Laut des Vorschlages der Kommission würde das Geld dem Struktur- und Investitionsfonds für die Jahre 2021 bis 2027 entnommen werden. Beschlossen ist der Juncker-Vorschlag noch nicht.
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