"Scheinklimaschutz" statt echte Maßnahmen: Klimaziele "unerreichbar"

"Scheinklimaschutz" statt echte Maßnahmen: Klimaziele "unerreichbar"
Experten orten vor allem Etikettenschwindel, Schönreden und (Selbst-)Täuschung. Politologe Steurer: "Wir sind nach wie vor katastrophal in die falsche Richtung unterwegs."

Im Klimaschutz sind echte, wirksame Maßnahmen weiter Mangelware. Stattdessen werde sowohl im persönlichen wie im politischen Bereich vor allem auf "Scheinklimaschutz" gesetzt, auf Etikettenschwindel, Schönreden und (Selbst-)Täuschung. Das war der Tenor eines Online-Mediengesprächs am Mittwoch. "Wir verarschen uns selbst", sagte der Politologe Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien. "Gleichzeitig sind wir dabei, alle Ziele krachend zu verfehlen."

"Die 30-jährige Geschichte der Klimapolitik ist gleichzeitig eine Geschichte der Klimakrisen-Eskalation", so Steurer. Praktisch alle statistischen Kurven seien seither steiler geworden, der seit dem Pariser Abkommen eingeschlagene Kurs sei "ein Weg zu 2,7 bis drei Grad mit einem 1,5 Grad-Label", und auch Österreichs Ziel der Klimaneutralität bis 2040 "klingt gut, ist aber aus heutiger Sicht unerreichbar. Man muss Augen und Ohren zuhalten, um diese Märchen aufrecht zu erhalten. Wir sind nach wie vor katastrophal in die falsche Richtung unterwegs."

Es brauche vor allem einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung, denn "wir wählen regelmäßig Scheinklimaschutz - im Supermarkt wie bei politischen Wahlen". Solange eine Politik des Scheinklimaschutzes, wie er sie vor allem bei ÖVP und Wirtschaftskammer wahrnimmt, vom Wähler honoriert werde, werde sich daran nichts ändern. "Erst, wenn die Wähler sagen, wir wollen Klimaschutz, aber richtig, wird sich etwas bewegen." Das Versprechen der türkis-grünen Bundesregierung, "das Beste aus zwei Welten" zu liefern, sei beim Klimaschutz nicht aufgegangen.

Renate Christ, die langjährige Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC), ortete bei dem von Scientists for Future Österreich und "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz" veranstalteten Mediengespräch immerhin einige positive Maßnahmen. So seien die Förderungen von Photovoltaik-Anlagen verbessert und das Klimaticket eingeführt worden. Dort brauche es aber einen zweiten Schritt, nämlich die Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs im Ländlichen Raum. "Es gibt einige kleine Schritte in die richtige Richtung. Was aber fehlt, ist das Gesamtkonzept - denn es braucht alle Maßnahmen, sofort umgesetzt und gut koordiniert", so Christ, die den Föderalismus im Bauwesen und im Verkehr als eine der größten Probleme in Österreich ansieht. Bei der aktuellen Energiedebatte rund um die Gaslieferungen aus Russland stößt ihr auf, dass es dabei nur um das Finden neuer Lieferanten geht: "Das gute alte Energiesparen ist fast ein Tabuwort geworden. Wir müssen Verbrauchsreduktion und Effizienz viel stärker in die Debatte einbringen." Auch für sie steht fest: "Kleine Kurskorrekturen genügen nicht!"

Ulrich Leth vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien nannte die Mobilitätspolitik "das größte Sorgenkind der Klimaschutzpolitik" und gleichzeitig ein Paradebeispiel für Scheinklimaschutz. Während in den Bauordnungen weiter Parkplätze verpflichtend vorgeschrieben seien, werde versucht, Parkplätzen "einen grünen Anstrich" zu geben. Autobahnen würden in "Stadtstraßen" umbenannt, riesige Lücken im Radwegenetz Wiens nur langsam geschlossen, gleichzeitig aber jede Maßnahme für den Radverkehr groß abgefeiert. Es brauche aber ein umfassendes Mobilitätskonzept, bei dem Fußgeher und Radfahrer nicht gegen einander ausgespielt werden. Nur dort, wo man ein Zwölfjähriges Kind bedenkenlos allein mit dem Rad in die Schule fahren lassen würde, könne Radfahren als sicher gelten. Der Autoverkehr müsse drastisch eingeschränkt und nicht durch den Bau von neuen Straßen attraktiver gemacht werden, denn bereits seit den 1950er-Jahren gelte die Erkenntnis: "Man kann den Stau nicht wegbauen."

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