Sabine Matejka: "Verstehe die Angst der Politik, Kontrolle abzugeben"
Richterin Sabine Matejka ist Vizepräsidentin der europäischen Richtervereinigung. In Österreich hat sie an einem Papier über einen Bundesstaatsanwalt mitgearbeitet. Diese Reform ist für sie ein Muss.
KURIER: Die Justiz ist zuletzt im Kreuzfeuer heftiger Kritik gestanden. Einerseits durch die Kreutner-Kommission, die eine politische Einflussnahme untersucht hat. Andererseits durch einen Bericht der EU-Kommission. Ist die Justiz bei uns so schlecht aufgestellt?
Sabine Matejka: Ich glaube das nicht. Und auch der Bericht der Kommission, der sogenannte Rechtsstaatlichkeitsbericht, beschreibt die österreichische Justiz grundsätzlich als sehr effizient und auch als unabhängig. Es gibt aber Kritikpunkte, die schon seit Jahren in dem Bericht stehen. Das betrifft die fehlende Generalstaatsanwaltschaft und die Ernennungsverfahren bei höherrangigen Gerichtspositionen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Da geht es natürlich um das Verhältnis von Politik und Justiz. Nicht zuletzt, weil die Ministerin oder der Minister noch immer das Ende einer Weisungsspitze sind?
Die Weisungsspitze ist sicherlich eines der größeren Probleme. Das sagt auch der EU-Kommissionsbericht ganz klar. Hier ist Österreich zusammen mit Deutschland eines der wenigen Länder, die hier keine unabhängige Weisungsspitze für die Staatsanwaltschaft haben. Das ist mittlerweile europäischer Standard. Die Bemühungen in diese Richtung sind grundsätzlich ja schon weit fortgeschritten. Es gab eine Expertenkommission dazu, der ich angehört habe. Was halt noch fehlt, ist der gemeinsame politische Wille, dieses Kind auf die Welt zu bringen.
Aber es gibt ja den Weisungsrat, der die Justizministerin berät, wenn es um prominente, sogenannte clamorose Fälle geht.
Das Problem hat begonnen, als Wolfgang Brandstetter Justizminister geworden ist. Er hat den Weisungsrat geschaffen, um angesichts seiner früheren Funktion als Anwalt und Strafverteidiger allfällige Befangenheiten auszuschließen oder dem zu entgegnen. Damals hat man den großen Schritt zu einer Weisungsfreiheit, zu einer unabhängigen Weisungsspitze, zu einem Generalstaatsanwalt nicht gewagt. Der Weisungsrat hat aber nur beratende Funktion, seine Entscheidungen sind für die Ministerin nicht bindend. Sie hat die Letztentscheidung.
Ganze KURIER TV-Sendung "bei Gebhart" mit Sabine Matejka
Zuletzt wurde das System für die prominenten Fälle, vielfach Politiker, als Zwei-Klassen-Justiz bezeichnet. Ist die Kritik berechtigt?
Die Diskussion ist ebenfalls eine alte. Man hat schon immer versucht, die vielen Berichtspflichten in solchen Fällen zu reduzieren. Wir haben oft festgestellt, dass diese der Grund waren, dass Verfahren so lange gedauert haben. Und natürlich werden hier Fälle unterschiedlich behandelt. Ob das berechtigt ist, muss hinterfragt werden. Der Begriff Zwei-Klassen-Justiz ist für mich aber ein bisschen unglücklich, weil er in der Öffentlichkeit falsch verstanden werden und zu Verunsicherung führen könnte. Wenn wir so pauschal davon reden, dann kann jemand glauben, dass dies die gesamte Justiz betrifft. Das stimmt natürlich nicht.
Sie waren in der Arbeitsgruppe zur Schaffung einer Generalstaatsanwaltschaft. Was wird sich dadurch in der Justiz ändern?
Es gibt grundsätzlich in der Staatsanwaltschaft eine gewisse Hierarchie und eine Weisungsstruktur. Das ist per se ja nichts Schlechtes. Der Vorteil eines Generalstaatsanwalts wäre, dass dieser einer politischen oder parteipolitischen Einflussnahme nicht so ausgesetzt ist wie ein politisch bestellter Minister, der normalerweise einer Partei angehört. Außerdem ist dieser dann eine Fachperson, die aus dem Justizbereich kommt. Weiters würde diese Person nicht nach einer Legislaturperiode wieder ausgewechselt, sondern wäre länger im Amt, was der Sache durchaus dienlich ist.
Soll das eine einzelne Person sein, wie es die ÖVP will, oder ein Dreiersenat, der von Justizministerin Zadić forciert wird?
Wir haben in der Kommission damals sehr lange darüber diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, einen Senat einzusetzen. Als Behördenleiter sollte es natürlich nur eine Person geben, Entscheidungen sollten aber im Dreiersenat fallen. Wir erwarten uns dadurch eine bessere Qualität. Außerdem ist eine Person leichter zu beeinflussen als ein Dreiersenat.
Soll diese Generalstaatsanwaltschaft von der Politik kontrolliert werden? Und wie?
Ich verstehe die Angst der Politik, hier ein wenig die Kontrolle abzugeben. Es gibt da aber auch klare europäische Vorgaben. Es ist klar, dass während eines laufenden Verfahrens keine politische Kontrolle erfolgen darf. In dieser Zeit kann es daher in einzelnen Verfahren auch keine Berichterstattung an den Nationalrat geben. Im Nachhinein, wenn ein Ermittlungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, dann schon.
Im Zusammenhang mit einer möglichen Justizreform wird meist nur von der Staatsanwaltschaft gesprochen. Die Justiz ist doch mehr.
Die Aufmerksamkeit liegt natürlich grundsätzlich einmal auf Strafverfahren. Die sind plakativer und für Medien interessanter, vor allem, wenn es um prominente Personen geht. De facto ist das aber nur ein kleiner Bruchteil davon, was die Justiz insgesamt leistet, der Großteil sind Zivilverfahren, arbeitsgerichtliche, familienrechtliche oder wohnrechtliche Verfahren. Und nicht zuletzt Verwaltungsverfahren. Das ist das, womit der durchschnittliche Bürger zu tun hat und wofür die Justiz da ist.
Sie haben auch gefordert, dass darauf geschaut wird, dass Richter nicht schlechter bezahlt werden als Staatsanwälte.
Das ist eine langjährige Forderung der Standesvertretung. Irgendwann ist es dazu gekommen, dass die Staatsanwälte mehr verdienen als Richter. Ich habe das einmal als „Schmerzensgeld“ bezeichnet, weil sie Weisungen unterliegen, die Richter aber nicht. Aber es lässt sich schwer erklären, wenn etwa am Straflandesgericht ein großes Wirtschaftsverfahren stattfindet und die Richterin weniger verdient, aber letztlich entscheiden muss.
Sie selbst haben zuletzt für Schlagzeilen gesorgt, weil Sie bei der Bestellung der neuen Spitze des Bundesverwaltungsgerichts die Gleichbehandlungskommission eingeschaltet haben, nachdem Sie als Erstgereihte nicht zum Zug gekommen sind. Warum dieser Schritt?
Über mein eigenes Verfahren möchte ich gar nicht so viel sagen. Ich denke aber, dass der Schritt wichtig war, und es haben mir auch viele dazu geraten. Das alles kann nicht so stehen gelassen werden, weil meiner Meinung nach Gesetze verletzt worden sind. Mir geht es primär um die Feststellung, ob man hier ein ordentliches Verfahren geführt hat oder nicht. Vor allem geht es aber um die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, deren Leitung von der Regierung bestellt wird, diese aber kontrollieren soll. Das Ernennungsverfahren sollte daher reformiert werden.
Sie persönlich hat das auch getroffen, dass Sie im Zuge des langen Tauziehens rund um diese Bestellung sofort in ein parteipolitisches Kasterl gesteckt worden sind. Sie galten lange Zeit als grüne Wunschkandidatin.
Das ist natürlich ein Problem. Vor allem, weil sich die Richterschaft in Österreich betont zurückhält, wenn es um Parteipolitik geht. Wir haben dazu auch unsere Ethikerklärung, in der wir sagen, wir wollen keinerlei Funktionen in irgendeiner politischen Partei ausüben. Wir halten uns da von der Parteipolitik fern. Wir sind Mitglied der Gerichtsbarkeit, wir haben unabhängig zu sein. Deswegen sind solche Zuschreibungen, die einfach passieren, wenn es so eine Diskussion gibt, schädlich. Das war für mich damals ein Problem und mit ein Grund, warum ich meine Funktion als Präsidentin der Richtervereinigung zurückgelegt habe. Vielleicht ist es auch ein österreichisches Unikum, dass jeder gleich politisch zugeordnet wird.
Sie sind Gerichtsvorsteherin am Bezirksgericht in Floridsdorf. Um es überspitzt zu formulieren: Politisch diskutiert werden die clamorosen Fälle, die Realität hingegen erleben Sie am Bezirksgericht. Vielleicht sollten sich die Politiker mehr anschauen, was da passiert. Das sind die Probleme der Menschen im Alltag. Ich lade jede Politikerin und jeden Politiker herzlich einmal ein, uns eine Woche über die Schulter zu schauen und sich diese Probleme anzusehen.
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