Aufrüstung: Wie strenge Regeln die Exportwirtschaft in Österreich fesseln

Der 24. Februar 2022 war für Europa eine der größten Zeitenwenden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Russland wollte mit einem Überfall durch Fallschirmjäger und Bodentruppen in wenigen Tagen die rasche Eroberung Kiews und den Sturz der ukrainischen Regierung herbeiführen. Das eigentliche Kriegsziel musste schon Ende März 2022 aufgegeben werden.
Die Ukrainer konnten zumindest diesen Vorstoß militärisch abwehren. Seither tobt ein blutiger Krieg, der schon 2014 in Form eines regionalen bewaffneten Konflikts auf der ukrainischen Halbinsel Krim begonnen hatte.
Europa zögert
Die europäischen NATO-Staaten stehen in diesem Konflikt klar auf der Seite der Ukraine. Nach einem Schockmoment 2022 begannen diese Waffen, Kampfflugzeuge und Waffensysteme an die Ukraine zu liefern, in einigen NATO-Staaten wurden zudem ukrainische Truppen ausgebildet und an Kriegsgeräten wie Luftabwehrsystemen geschult. Während Russland sein gesamtes Wirtschaftssystem zusehends auf Kriegswirtschaft umgestellt hat – derzeit dürften über 35 Prozent des russischen Budgets direkt oder indirekt in Rüstung, Soldatensold und Söldner fließen – reagierten die Europäer zögerlich, die Rüstungsbudgets zu erhöhen, auch wenn die EU-27 und Großbritannien zusammen wirtschaftlich etwa zehn Mal so stark sind wie Russland.
Erst im März dieses Jahres stellte die EU den „ReArm Europe Plan 2030“ vor, mit dem Ziel über 800 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben zu mobilisieren.
Österreich will an diesen Milliarden-Investitionsmöglichkeiten partizipieren. „Der Share für Österreich liegt bei 20 Milliarden Euro. Diesen abzuholen oder nicht, das ist eine relevante Frage“, so Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) dazu in einem KURIER-Interview. Doch Österreich ist neutral, wie in der Verfassung festgeschrieben.
Im KURIER-Interview „Bei Gebhart“ erzählt Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn, dass er in den vergangenen Monaten zwischen Innenministerium, Außenministerium und Wirtschaftsministerium „gerannt“ sei, wegen der Probleme einiger Wirtschaftsbetriebe in Österreich mit dem Kriegsmaterialgesetz (KMG), welches unter anderem die Ausfuhr von Militärwaffen, -munition und -gerät regelt.
„Entscheidend ist, dass wir das Gesetz so handhaben, dass rasch und klar über Exportmöglichkeiten entschieden werden darf“, so Schellhorn. Konkret spricht er davon, dass das KMG „an die Notwendigkeiten unserer Zeit angepasst“ gehöre. Er wolle verhindern, dass die Produktion von Österreich nach Deutschland verlagert werden müsse, weil die Frage nicht „praktikabel“ gehandhabt werde.
Damit Österreich beim EU-Aufrüstungsplan partizipieren könne, „ist es ganz wichtig, dass wir dieses Gesetz novellieren“, so der für Deregulierung zuständige Staatssekretär.
Plastikteile
Als konkrete Beispiele nennt Schellhorn im Interview, dass bestimmte „Plastikteile“ aus Österreich nicht an ein deutsches Unternehmen geliefert werden könnten, das Minensuchgeräte zur Entminung produziert.
Tatsächlich ist das KMG, das unmittelbar mit dem Neutralitätsgesetz verknüpft ist, sehr streng geregelt – aus gutem Grund. Mitte der 80er-Jahre lieferte die Voest-Tochter Noricum heimlich Hunderte schwere Artilleriegeschütze illegal und über Tarnrouten wie Jordanien oder Libyen an die Krieg führenden Länder Iran und Irak.
Der Skandal flog auf, führte am Ende zur Verurteilung einiger Manager und Politiker. Von der SPÖ-Regierungsriege war Innenminister Karl Blecha derjenige, der direkt im Fahrwasser der Noricum-Affäre 1989 zurücktreten musste.
Doppelnutzung
Die Folge war auch eine Verschärfung des KMG. Klar war seit 1955, dass jede Art von Waffenlieferungen an kriegsführende Staaten verboten sind. Verschärft wurde dann aber auch die Kontrolle von Dual-Use-Gütern: Hierbei handelt es sich um Geräte, die grundsätzlich nur zivilen Zweck haben – aber eben auch militärisch genutzt werden können.
Eisenbahnschienen dienen eben nicht nur der Wiederherstellung der Infrastruktur in der Ukraine, sondern auf ihnen können (und werden) auch Soldaten und schweres Kriegsgerät transportiert. Ähnliches gilt auch für Drohnen, die nur zur Aufklärung eingesetzt werden, die aber eben auch Bomben auf militärische Stellungen abwerfen können. Selbst Minensuchgeräte können auch dazu verwendet werden, den Weg für eine neue militärische Offensive frei zu machen.
Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) sieht Handlungsbedarf. Bei einer Veranstaltung Donnerstagabend in der Industriellenvereinigung sprach er von einer „alternativlosen“ Partizipation an der Rüstungsindustrie.
Gegenüber dem KURIER erklärt er: „Ich bekenne mich dazu, dass Österreich von den Entwicklungen in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie profitieren soll und wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern.“ Österreich habe in diesem Bereich sehr starke und erfolgreiche Betriebe, die zahlreiche Arbeitsplätze sichern und trotz allgemeiner Rezession ein beständiges Wachstum aufweisen. „Im Bereich der Dual-Use-Güter arbeitet das Wirtschaftsministerium aktuell an einer Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes, um Bürokratie abzubauen und unseren Betrieben den Rücken zu stärken. Zudem erarbeiten wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung und unter enger Einbindung der Finanzprokuratur transparente Rahmenbedingungen, um industrielle Kooperationen zu nutzen.“
Hattmannsdorfers Ministerium ist derzeit für die Kontrolle der Dual-Use-Güter verantwortlich, als auch für „Sicherheitsgüter“, die nicht unter das Kriegsmaterialgesetz fallen – etwa den Export von Glock-Pistolen. Die Kontrollen des Exports von Maschinengewehren unterliegen hingegen dem Innenministerium.
Kommentare