IV-Generalsekretär: "Es wird noch mehr Hiobsbotschaften geben"

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung
Christoph Neumayer möchte die Maßnahmen der Regierung "nicht kleinreden", ein "Befreiungsschlag" fehle jedoch - zumal die Budgetpläne "bei Weitem nicht reichen werden".

Zwei Tage begab sich die Dreierkoalition in Klausur, um "gemeinsam am Aufschwung zu arbeiten". Eine Milliarde will die Regierung in den Standort investieren, den "Österreich-Aufschlag" eliminieren, doch das alles reicht, um "das Schiff zu drehen", sagt Christoph Neumayer im KURIER-Interview.

KURIER: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 7 Prozent, die Inflation bei 4,1, die Wirtschaft wächst nicht. Sind das die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für den Standort?

Christoph Neumayer: Die Gefahr ist, dass Österreich durchgereicht wird. Wir sind  eines der Länder mit den höchsten Defizitzuwächsen, dem geringsten Wachstum und der zweithöchsten Sozialquote. Die Bundesregierung ist in der Realität angekommen, die ersten richtigen Schritte wurden gesetzt, aber der große Befreiungsschlag fehlt.

220 Millionen Euro für Investitionsfreibeträge, 150 Millionen Euro für den Strompreisbonus für energieintensive Unternehmen sind also ein zu geringer Hebel, um Großes zu bewegen?

Manche kleine Unternehmen werden diese Anreize freuen, aber für die Industrie, für die ich spreche, sind die großen Hebel nicht dabei. Man muss Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer dafür loben, die Strompreiskompensation für zwei Jahre ermöglicht zu haben. Eine Kompensation bis 2030 wie in Deutschland und anderen europäischen Staaten, wäre notwendig, aber ich will die Arbeit der Regierung nicht kleinreden. 

Aber…

ich verstehe die budgetären Notwendigkeiten, aber wir haben nicht nur ein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Die Ankündigungen, die Entbürokratisierung voranzutreiben, sind richtig, doch da muss noch viel mehr Konkretes kommen!

Welche Maßnahme entspräche einem Befreiungsschlag?

Wir brauchen ein Grundverständnis über die aus dem Ruder laufenden Kosten. Die Steuereinnahmen sprudeln, aber der Staat wird heuer 33 Milliarden Euro zu den Pensionen zuschießen müssen. Das sind fast die gesamten Lohnsteuereinnahmen. Bund und Länder müssen effizient zusammenarbeiten und Doppelgleisigkeiten auflösen. Es sind Reformen von Nöten, die tief in die Strukturen des Staates hineingehen.

Alles, was Sie skizzieren, kann nur mittel- bis langfristig wirksam werden. Haben wir die Zeit dafür? Die Regierung legt eigens wieder ein Programm für ältere Langzeitarbeitslose auf, will Facharbeiter zusätzlich qualifizieren…

Was den Arbeitsmarkt betrifft, müssen wir genauer hinschauen, denn die hohe Zahl an Beschäftigungsverhältnissen ist trügerisch. Die Zuwächse sind nämlich oft im nicht-qualifizierten und im Teilzeit-Bereich. Zudem wissen wir durch eine zuletzt in Alpbach präsentierte Studie, dass Österreich hoch qualifizierte Arbeitskräfte verliert. Im Rahmen der Industriestrategie, die bis Ende des Jahres stehen soll, werden wir eine Strategie erstellen müssen, wie wir Fachkräfte nach Österreich bringen und hier halten können. Entscheidend für den Standort sind aber auch Faktoren wie Kalkulierbarkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen – vor allem, dass es zu keinen weiteren Belastungen kommt.

KLAUSUR DER BUNDESREGIERUNG / MINISTERRAT: BABLER/STOCKER/MEINL-REISINGER

Andreas Babler, Christian Stocker, Beate Meinl-Reisinger

Sie wollen ein Versprechen der Regierung, dass es in den kommenden drei oder fünf Jahren keine vermögensbezogenen Steuern geben wird, die die SPÖ will, die ÖVP aber nicht.

Die Regierung muss sich dazu bekennen, dass es in den kommenden Jahren zu keinen vermögensbezogenen neuen Steuern kommt, weil die Verunsicherung bei Unternehmen, insbesondere Familienbetrieben sehr hoch und der Standort im Vergleich zu anderen unfassbar teuer geworden ist. Nochmals: Die Maßnahmen der Regierung vom Investitionsanreiz bis zum Standortfonds sind okay, aber wir müssen eine Kombination aus konjunkturellen und strukturellen Maßnahmen finden, sonst werden wir mittelfristig keinen Erfolg haben.

Nochmals: Haben wir die Zeit dafür, zumal die Daten Monat für Monat schlechter werden und die Industriestrategie erst Ende 2025 stehen soll?

Die Herausforderung ist groß, denn es ist wie auf einer schiefen Ebene. Es ist extrem schwer, die Entwicklung zu drehen und es wird noch mehr Hiobsbotschaften geben. Die Regierung und die Bevölkerung haben aber verstanden, dass wir nicht „happy people on a sinking boat“ sein wollen. Wir müssen gegensteuern und das nicht mit Rezepten, die ideologisch getrieben sind, sondern mit kluger und kraftvoller Standortpolitik. Dazu gehören unangenehme Dinge wie die kommenden Lohnverhandlungen. Wenn wir das Schiff drehen wollen, dann brauchen wir Vernunft auf allen Seiten.

Von welchen Hiobsbotschaften gehen Sie künftig noch aus?

Ich befürchte, dass die Budgetpläne, die bislang offiziell da am Tisch liegen, bei Weitem nicht reichen werden. Und ich befürchtete, dass wir folglich in eine Diskussion darüber kommen werden, wie das Budget 2027 dargestellt werden kann. Die große Gefahr bei diesem Diskussionsprozess ist, dass  die Diskussion von ideologischen Vorschlägen getrieben wird anstatt darüber nachzudenken, wie man dieses Land saniert. 

2025 wird das dritte Rekord-Pleiten-Jahr in Folge. Befürchten Sie noch mehr Unternehmenspleiten als die avisierten 4.500?

Der Trend setzt sich leider weiter fort. Es gibt ein paar Teilbereiche in der Industrie, die gut funktionieren, -Gott sei Dank – aber im Durchschnitt haben viele Mittelständler, die exportorientiert sind, einen massiven Druck durch die Standortkosten und steigende Bürokratie und einfach nicht mehr den Atem, um durchzutauchen. 

Gibt es etwas gegenwärtig, dass Sie zuversichtlich stimmt?

Wie gesagt: Dass der Realitätssinn in der Regierung angekommen ist. Zwischendurch hatte man das Gefühl, man verlässt sich darauf, dass Deutschlands Wirtschaft doch anspringt oder es vielleicht doch zu einem Wunder kommt. Diese Phase ist jetzt vorbei. Man hat verstanden, wie ernst es ist und ich hoffe, daraus die richtigen Ableitungen getroffen. 

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