"Das Wachstum ist unterirdisch": IV-Generalsekretär fordert Anreize

Dass die Industriellenvereinigung nach der Nationalratswahl für eine FPÖ-ÖVP-Regierung plädiert hat, das stellt deren Generalsekretär im Interview in Abrede. Christoph Neumayer über die Beziehung zur ÖVP-SPÖ-Neos-Regierung, das Tal der Tränen und warum wir "unser Mindset ändern müssen".
KURIER: Die Stimmung in der Industrie hellt sich laut Umfragen auf, jene der Wirtschaft und der Konsumenten nicht. In welcher Stimmung sind Sie?
Christoph Neumayer: Durchwachsen und nach drei Rezessionsjahren weiter angespannt, aber es ist eine Bodenbildung in Sicht. Aus Sicht der Industrie glauben wir, dass der Rückgang der Wirtschaftsleistung bald gestoppt sein könnte. Wir hoffen, dass es sich im zweiten Halbjahr vorsichtig zu drehen beginnt.
Formulieren Sie gerade euphemistisch?
Österreich ist in einer veritablen, schwierigen Phase – wahrscheinlich der schwierigsten seit 1945. Es setzt uns nicht nur die konjunkturelle Entwicklung zu, sondern auch die politischen Begleitumstände, weil wir das Budget konsolidieren müssen. Zudem müssen wir exogene Schocks gewärtigen und eine globale Unsicherheit, die Gift für ein Exportland wie Österreich ist.

US-Präsident Donald Trump präsentiert Zölle
Laut IWF werden sich die US-Zölle negativ auf Europas Wirtschaft auswirken. Welche Branchen machen Ihnen Hoffnung?
Chancen gibt es im Bereich der Energieübertragung, im Tiefbau und in der Pharmaindustrie. Österreich ist ein exportorientiertes Land, das vom Maschinenbau und der Metallindustrie dominiert wird. Beide Branchen leiden massiv unter den hohen Bürokratie-, Energie- und explodierenden Lohnkosten. Das alles bringt uns in die peinliche Situation, dass wir das einzige hochentwickelte Industrieland sind, das laut IWF schrumpfen wird. Deutschland liegt an der Null-Linie und wir darunter.
Sie sprechen das Ranking des IWF an, das Österreich als einziges EU-Land eine Rezession prophezeit.
Wir befinden uns in der Gesellschaft von Botswana, sind aber ein Industrieland.
Die EU rüstet auf, Österreich will Milliarden für die Rüstung aufwenden: Kann Österreich von dieser Entwicklung als neutrales Land überhaupt profitieren?
Das ist eine hochpolitische Frage, weil es letztendlich darum geht, die Demokratie zu wahren und uns als Österreich wie Europa für die Zukunft zu wappnen. Es gibt immer noch Sektoren, die in Österreich vorhanden und ausbaubar sind. Der Sicherheits- und Rüstungsbereich kann für Österreich eine absolute Zukunftsbranche sein.
Wie soll das funktionieren?
Wir müssen es klug anlegen und dafür sorgen, dass Investitionen gleichzeitig internationale Kooperationen auslösen. Wenn wir Sicherheitstechnologien forcieren wollen, dann müssen wir – und das ist der weit sensiblere Bereich – an den Export denken.
Sie meinen: Im neutralen Österreich werden Panzer, Waffen oder Bestandteile dafür produziert, die im Krieg zum Einsatz kommen und Menschen töten?
Wir brauchen einen rechtlichen Rahmen, weil klar sein muss, dass wir nicht nur für das heimische Heer produzieren. Es muss klar sein, wie es auch die Regierung formuliert, dass wir in Sicherheitsfragen neutral sind, nicht aber in politischen Fragen. Wir haben innerhalb der EU eine Sonder-Sonderstellung. Neben uns gibt es nur noch Irland, Malta und Zypern mit einem ähnlichen Status. Wenn wir aber beim ReArm Europe Plan/Readiness 2030 partizipieren wollen, dann werden wir uns klar bekennen müssen. Der Share für Österreich liegt bei 20 Milliarden Euro. Diesen abzuholen oder nicht, das ist eine relevante Frage.
Wenn Österreich auf Rüstungsindustrie setzt, dann wird sofort eine Neutralitätsdiskussion entflammen.
Es ist eine Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit, darüber zu diskutieren und einen rechtlichen Rahmen zu finden, denn es geht um die Stabilisierung Europas und die Verteidigung der Demokratie. Österreich hat Expertise und eine hochentwickelte Innovationslandschaft, und: Es gibt Interesse, Unternehmen mit diesem Know-how anzusiedeln.
Es gibt mit Wolfgang Anzengruber ab sofort einen eigenen Koordinator, der im Namen der Regierung als Ansprechperson für den Wiederaufbau in der Ukraine agieren soll. Was erhoffen Sie sich davon?
In der Ukraine liegen nach dem Krieg unglaubliche Chancen sowohl wirtschaftlich als auch in Bezug auf nachhaltige Entwicklung und Stabilität in der Region. Zuletzt ist die IV-Niederösterreich mit mehr als 25 Unternehmen und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner in die Ukraine gereist, um eben diese Chancen vor Ort auszuloten.
Können Sie die Chancen, so zynisch das klingen mag, beziffern?
Die Volumina für den Wiederaufbau in der Ukraine werden mit mehr als 500 Milliarden Euro beziffert. Wenn wir es in Relation setzten, dann übersteigt dies den Marschall-Plan. Besonders im Bereich der Infrastruktur, des Tiefbaus und der Bahnindustrie könnten heimische Unternehmen profitieren.
Das denken sich andere Staaten auch. Wir stehen in direkter Konkurrenz zu Weltmächten.
Wir müssen darauf achten, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten auch deshalb zum Zug kommen, weil Europa bisher viel Unterstützungsleistungen erbracht hat. Wir sind in einem intensiven Wettbewerb mit anderen Staaten, dürfen aber auch festhalten, dass Österreich die Ukraine bisher signifikant unterstützt hat.
IV-Präsident Knill hat seine Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, dass es nach monatelangen Verhandlungen zu keinem Ergebnis gekommen ist. Für Blau-Türkis hat sich die IV nie definitiv ausgesprochen. Die jetzige Regierung zeigt in den ersten Wochen Gestaltungswillen.
Ihre Gesprächsbasis mit ÖVP, SPÖ und Neos…
… ist eine sehr gute und professionelle. Die brauchen wir auch, denn wir müssen alles tun, um aus dem Tal der Tränen zu kommen.

ARBEITSKLAUSUR DER BUNDESREGIERUNG: BABLER / STOCKER / MEINL-REISINGER
Die Regierung will eine Industriestrategie vorlegen – aber erst bis Jahresende. Fühlen Sie sich verschaukelt, wenn Sie so etwas hören?
Der Bundeskanzler hat einen Zwischenbericht vor dem Sommer avisiert. Es gilt, die Sünden der Vergangenheit aufzuräumen. Das heißt, wir müssen die Lohnstückkosten und die Energiekosten in den Griff bekommen und die Bürokratie herunterfahren. Was wir uns noch wünschen würden, das wäre etwas Stimmungsaufhellendes.
Welche Medikation braucht die Industrie?
Das Wachstum ist unterirdisch, aber die Einnahmenquote liegt in Österreich bei 51,6 Prozent und ist damit Nummer 2 in Europa, laut OECD sind wir bei der Sozialquote auch unter den Besten. Um weg von der Bodenbildung zu kommen, brauchen wir investitionsfördernde Maßnahmen. Stimmungsaufhellend wäre eine Investitionsprämie oder ein Abschreibungsregime und zudem eine Strompreiskompensation. Es geht nicht erneut um Gießkanne, sondern darum, den energieintensiven Branchen das Wirtschaften zu erleichtern, weil sie von den hohen Energiekosten und dem Emissionshandel doppelt betroffen sind.
Sie meinen das Strompreiskosten-Ausgleichgesetz (SAG), das nur 2022 gegolten hat?
Das Thema lag am Tisch und das lange. Warum es in der letzten Regierungsverhandlungsrunde vom Tisch gefallen ist, das liegt am Budgetvorbehalt für alle Vorhaben. Das SAG kostete knapp 200 Millionen Euro. Bei allem Verständnis betreffend Konsolidierung: Wir werden solche Anreize brauchen.
Sie sprachen zuvor von Sündenfällen. Warum und auch was sollte die ÖVP aus den Fehlern der vergangenen Regierungsjahre gelernt haben?
Alle Parteien haben aus der Vergangenheit gelernt . Ich erkenne ein Grundverständnis für die Herausforderungen der Wirtschaft und Industrie. Die Frage ist: Wird es gestemmt und umgesetzt in einer Zeit, in der es noch Sinn macht. Die Budgetverhandlungen laufen. Die Spitze der Bundesregierung – Kanzler, Wirtschafts- und Infrastrukturminister – wissen, dass noch etwas kommen muss.
Wir haben – mit Ausnahme von Graz – jetzt zwei Jahre lang keine Wahlen. Das ist eine Option, die notwendigen Dinge zu tun. Wir haben immer gesagt, dass man in der Struktur arbeiten und disruptive Dinge tun wird müssen, wenn wir wollen, dass das Land in drei, vier Jahren die Kurve gekratzt hat.
Disruptiv ist strukturell was?
Es gibt Aufgaben in der Verwaltung – die Pläne einer Reform liegen am Tisch. Ganz abgesehen davon, kann ich für Zuversicht sorgen, indem ich die Bevölkerung an meinem Masterplan teilhaben lasse, der dafür sorgen soll, dass es wieder aufwärts geht. Es gibt nur wenige große Brocken, die der Staat zu stemmen hat und dann sind wir rasch bei den Pensionen, den Beamten und den KV-Abschlüssen. Ich spüre Bereitschaft.
Wo spüren Sie die konkret? Im Pensionsbereich versucht man die erhöhten Sozialversicherungen mit einer neuen Arzneimittelobergrenze zu kompensieren. Das gleiche gilt für die Schwerarbeiter-Regelung bei Pflegekräften.
Sie haben Recht. Menschen in der Pflege leisten tolle Arbeit, aber es wäre eben nicht Österreich, wenn nicht andere Berufsgruppen sich sofort auch für die Schwerarbeiter-Regelung in Stellung brächten. Viele sind sich noch nicht bewusst, in welcher Situation wir uns befinden. Wir sind in einer Rezession, wir verlieren an Wohlstand und wir müssen die Kurve kratzen. Sonst wird dieses Land nicht mehr so sein, wie es einmal war. Es steht ein japanisches Szenario vor der Tür, dass wir nämlich überhaupt kein Wachstum mehr generieren können.
Woran werden Sie ermessen, dass die Regierung es mit dem Sparkurs ernst meint?
Die Regierung könnte die zweistellige Gehaltserhöhung für Beamte zu revidieren versuchen. Das wird ein Thema der kommenden Wochen und Monate werden, das man diskutieren muss. Die KV-Verhandlungen müssen den Gegebenheiten angepasst werden. Die Ergebnisse werden auch ein Beweis dafür sein, ob und wie die Sozialpartnerschaft funktioniert. Die Regierung wird sich auch trauen müssen, unpopuläre Maßnahmen zu tun. Mit dem Füllhorn durchs Land zu laufen, das hat nicht dazu geführt, bei der Wahlurne bonifiziert zu werden.
Wolfgang Schüssel wollte die Pensionen reformieren und wurde dafür an der Wahlurne abgestraft.
Wolfgang Schüssel hat die Wahl nicht wegen der Pensionsreform verloren. Dafür gab es andere Gründe. Nachfolgende Regierungen waren schlau genug, die Reform im Kern unverändert zu lassen. Wir müssen aus dem Selbstverständlichkeitsdenken herauskommen. Ich kann beispielsweise nicht stolz sein, neue Lehrberufe einzuführen und gleichzeitig danach rufen, dass diese unbedingt gefördert werden müssen. Wird die Filmförderung hinterfragt, dann sieht man den kulturellen Untergang gekommen. Verstehen Sie, was ich meine? Wir müssen unser Mindset ändern. Und ich nehme dabei niemanden aus.
Welchen Beitrag leistet die Industrie?
Es gibt einen Beitrag der Energieversorger, einen der Banken und eine Reihe von Beiträgen, die im Budgetbegleitgesetz geplant sind, beispielweise eine Erhöhung des Eintrittssteuersatz bei den Stiftungen. In Summe macht das alles einen erklecklichen Betrag aus. Neben den alltäglichen Dingen, die die Industriebetriebe stemmen, wie zum Beispiel zwei Drittel aller Forschungsausgaben Jeder trägt etwas bei und versucht dabei halbwegs wettbewerbsfähig zu bleiben. Unser Problem: Wir produzieren teurer als die Nachbarn. Österreich hat sich aus dem Markt gepreist.

IV-Präsident Georg Knill, ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer
Wie schafft es Österreich zurück in den Markt?
Es geht nicht nur um die Lohnstückkosten. Es geht auch darum, dass wir das Arbeitsvolumen erhöhen müssen und länger arbeiten. Nicht unbedingt, was die Wochen-, aber jedenfalls was die Lebensarbeitszeit betrifft. Österreich hat im internationalen Vergleich die meisten Urlaubs- und Feiertage. Wir werden mit weniger arbeiten unser Wohlstandsniveau nicht halten können.
Wie viele Feiertage gehörten gestrichen?
Österreich ist weit vorne bei den Feiertagen, selbst das katholische Italien hat zwei Feiertage weniger. Viel wichtiger ist aber, dass wir mehr Menschen von der Teilzeit in die Vollzeit bekommen.
Christoph Neumayer: Der Wiener (Jg. 1966) studiert Geschichte, Publizistik und Rechtswissenschaften, absolviert u.a. den Strategischen Führungslehrgang im Auftrag er Bundesregierung und des Nationalen Sicherheitsrates. Nach seiner Pressesprechertätigkeit für die ÖVP Wien wechselt Neumayer 1997 in die IV: Zunächst als Pressereferent, später als Bundesgeschäftsführer der Jungen Industrie. Seit 2011 ist der Vater zweier Töchter Generalsekretär der Industriellenvereinigung und zudem u.a. im Vorstand der Ludwig Boltzmann Gesellschaft.
Die IV ist eine freiwillige Interessensvertretung und hat derzeit laut eigenen Angaben mehr als 5.000 Mitglieder aus dem produzierenden Bereich, der Kreditwirtschaft, der Infrastruktur sowie industrienaher Dienstleistungen.
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