Der Philosoph hat ein neues Buch über die Zukunft der Arbeitswelt geschrieben. Er fordert ein bedingungsloses Grundeinkommen. Bei Waffenlieferungen an die Ukraine ist Precht skeptisch.
Im Zeitalter von Social Media sind selbst Philosophen, die provokant denken müssen, nicht vor einem Shitstorm geschützt. Als Richard David Precht in der Pandemie den Druck kritisierte, der auf Ungeimpfte ausgeübt wurde, gab es viel Entrüstung. Das hat Precht vorsichtig gemacht, vor allem wenn es um seinen Standpunkt im Ukraine-Krieg geht, der nicht in allen Punkten dem Mainstream entspricht. In seinem neuen Buch „Freiheit für alle“ geht es allerdings nicht um den Krieg und die Werte Europas, sondern um die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert.
KURIER: Herr Precht, wären Sie zu anderen Prognosen für die Arbeitswelt der Zukunft gekommen, wenn beim Schreiben der Krieg schon im Gange gewesen wäre?
Richard David Precht: Der Krieg beschleunigt die große Energiewende. Das ist bei dem ganzen Schrecken des Krieges ein positiver Nebeneffekt. Der wird aber nicht zu gigantischen Veränderungen am Arbeitsmarkt führen. Wir hatten eine historisch enorm lange anhaltende Konjunkturzeit. Auch ohne den Krieg wäre das nicht auf diesem Niveau geblieben. Die Weltwirtschaft unterliegt Zyklen, wo zwischendurch die konjunkturelle Entwicklung schwächer ist oder es sogar eine Rezession gibt. Das hat es immer gegeben.
Die Waffenlieferungen aus Deutschland an die Ukraine sind sehr umstritten. Aber sind wir nicht verpflichtet, den Kampf der Ukraine für die Freiheit und die Werte der Europäer zu unterstützen?
Die Ukraine kämpft für die Freiheit ihres Landes.
Dass sie für die Freiheit der westlichen Welt kämpft, ist eine spezielle Interpretation. Bislang war die Ukraine kein Teil der westlichen Welt. Die Ukraine ist innenpolitisch kein liberal-demokratisches Land wie Österreich oder Deutschland. Das Land steht auf dem Korruptionsindex weit hinter Rang 100. Es hat auch keinen mit Deutschland vergleichbaren Rechtsstaat. Möglicherweise kommt es ja zukünftig dazu. Vielleicht kann man sagen, dass es für viele Menschen in der Ukraine um ein freiheitlich-westliches Lebensgefühl geht, das man ersehnt, vor allem die Menschen in den größeren Städten.
Wenn man Ihren Podcast mit Markus Lanz verfolgt, dann sind Sie skeptisch, dass Angriffswaffen geliefert werden sollen. Warum?
Ich würde die Frage anders stellen: Welchen realistischen, positiven Zustand wollen wir damit erreichen? Darüber diskutieren wir viel zu wenig. Das kurzfristige Ziel ist klar und auch verständlich. Die Ukraine soll sich verteidigen können. Aber was ist das langfristige Ziel? Joe Biden hat gesagt, er will die wirtschaftliche Zerstörung Russlands. Und dann? Wird ein zusammenbrechendes Russland, ein „failed state“ mit Atomraketen, für die Welt nicht noch viel gefährlicher sein als jetzt? Ich mache mir da große Sorgen. Wir müssen wieder lernen, vom Ende her zu denken. Und das Wichtigste wäre ein möglichst schneller Waffenstillstand, bevor der Krieg immer weiter eskaliert. Die Lieferung schwerer Waffen nimmt Deutschland leider die Chance, als Vermittler zu wirken wie 2014. Aber wer soll es dann tun?
Wenn die USA im Zweiten Weltkrieg auch gesagt hätten, es kümmert sie nicht, was in Europa passiert und welche Verbrechen Hitler verübt, würde Europa heute wahrscheinlich anders aussehen …
Mit diesen historischen Vergleichen muss man vorsichtig sein. Der Zweite Weltkrieg wurde in der Sowjetunion entschieden, in Stalingrad, und die USA sind auch nicht in erster Linie wegen Hitlers Verbrechen in den Krieg eingetreten. Zudem ist Putin nicht Hitler. Putin regierte das Land seit 22 Jahren, bevor er die Ukraine überfiel. Hitler hat nur wenige Jahre gebraucht, um den größten Krieg der Menschheit vom Zaum zu brechen. Ein Blick in die Geschichte hilft uns nicht weiter.
Haben Sie noch Hoffnung auf einen schnellen Frieden?
Derzeit leider nicht. Es steht zu befürchten, dass die Ukraine geteilt wird. Das wahrscheinlichste Szenario ist vermutlich, dass Russland Teile der Ostukraine erobern wird, so wie das 2014 bereits im Donbass passiert ist, und dass der Krieg sich dann irgendwann nicht weiterbewegt. Die Ukraine wird dann zu einem Ort, wo ein hochgefährlicher Dauer-Schwelbrand glimmt.
Kommen wir nun zu Ihrem Buch. Zentrale Botschaft ist, dass das bedingungslose Grundeinkommen kommen muss. Lässt ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht die Kreativität einschlafen?
Wer reich werden will, wird sich nicht auf sein Grundeinkommen verlassen. Ich habe versucht, ein Modell zu entwickeln, wo es sich für die Langzeitarbeitslosen wieder richtig lohnt, in den Arbeitsprozess zu kommen. Das ist beispielsweise mit dem Hartz-IV-System nicht möglich. Bei meinem Modell kann man im Jahr bis zu 20.000 Euro steuerfrei dazu verdienen. Dadurch wird die Arbeitsmotivation gefördert und gestärkt im Gegensatz zu dem Zustand, den wir jetzt haben. Die spannende Frage bei Arbeitslosen ist ja immer: Wie leicht ist wieder Arbeit zu bekommen? Wie viel kann man von dem, was man verdient, behalten. Ich möchte, dass sich Arbeit wieder lohnt.
Der Philosoph, Publizist und Autor ist einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. In seinem neuen Buch „Freiheit für alle“ (erschienen im Goldmann-Verlag um 16,95 Euro) geht Precht Fragen nach wie: Wie viel werden wir künftig noch arbeiten? Zu welcher Gesellschaft werden wir uns entwickeln? Denn nichts, was die Arbeit anbelangt, ist heute noch selbstverständlich.
Das Grundeinkommen soll dann jeder erhalten?
Das Grundeinkommen ist in meinem Modell ein Grundrecht. Aber durch die Veränderung des Steuersystems würden Millionäre und Milliardäre draufzahlen, wenn sie ein Grundeinkommen beziehen. Die Reichen zahlen am Ende drauf.
Klingt utopisch – wie soll es finanziert werden? Über eine Robotersteuer oder eine internationale Finanztransaktionssteuer?
Wir reduzieren die Lohnnebenkosten auf Arbeit, aber wir schauen uns an, wie hoch die Wertschöpfung am Ende des Jahres ist – dann ist es egal, ob die Wertschöpfung von einer Maschine oder einem Menschen erbracht wurde. In Südtirol gibt es so ein Modell schon. Das wäre eine Säule. Ein anderer Sockel wäre die Besteuerung jeglicher Finanztransaktionen. Der Grundgedanke muss sein: Geld-Einnehmen weniger zu besteuern und Geld-Ausgeben stärker zu besteuern.
Welche Rolle werden künftig Regierungen noch spielen, wenn man sieht, dass sich etwa Elon Musk ein Soziales Medium um 44 Milliarden kauft – oder Peter Thiel durch Paypal das Konsumverhalten der westlichen Welt kennt?
Es war in der Geschichte immer die Ausnahme, dass Regierungen viel Macht hatten. Im 15. Jahrhundert konnte es den Fuggern und den Welsern völlig egal sein, wer unter ihnen deutscher Kaiser ist. Als die ersten modernen Konzerne, etwa die Britische Ostindien-Kompanie, entstanden, waren sie mächtiger als die Könige und die Fürstenhäuser. Wir kehren in diese Struktur zurück. Ich halte diese Entwicklung für bedenklich, weil ich es gut finde, wenn der Staat in seinen Entscheidungen souveräner ist. In Deutschland und Österreich gibt es das Kartellrecht, das versucht, diese kritischen Größen bei Unternehmen zu verhindern. Leider gibt es dieses Modell auf globaler Ebene nicht.
Die Menschen arbeiten nur ein Siebentel ihrer Lebenszeit. Sie prognostizieren, dass wir uns von einer Wohlstands- zu einer Sinngesellschaft entwickeln. Im Moment herrscht viel Pessimismus. Welche Werte werden in der Sinngesellschaft wichtig sein?
Die momentane Situation ändert ja nichts daran, wenn man junge Menschen fragt: Was willst du einmal beruflich machen? Da sind die wichtigsten Antworten, dass die Arbeit Spaß machen soll, dass sie sinnvoll sein soll. Man soll auch genug Zeit für Freunde, Kinder, Reisen und Sport haben. Das sind – menschheitsgeschichtlich betrachtet – unglaubliche Entwicklungen. Denken wir an unsere Großeltern, die all diese Ansprüche nicht hatten. Heute sind die Sinnbedürfnisse ganz wichtig geworden. Früher stand die Arbeit im Mittelpunkt des Lebens, ob man wollte oder nicht. Heute ist die wichtigste Frage: Was mache ich aus meinem Leben? Dass man sich in einer Arbeitsgesellschaft so eine Frage stellen kann, ist neu und etwas Besonderes. Früher konnten sich nur der Adel oder die privilegierten Bürger im alten Athen diese Frage stellen.
Allerdings: Kinder, Sport, Reisen, Spaß haben – das alles kostet viel Geld. Das kann ja nur durch intensive Arbeit finanziert werden, will man nicht von den Eltern finanziell abhängig sein …
Diese Argumente hätte man vor 100 Jahren auch bringen können. Niemand hätte sich vor 100 Jahren vorstellen können, wie reich die Menschen heute in Europa sind. Die Produktivkraft der Maschinen hat Europa so reich gemacht. Wir entwickeln jetzt eine neue Generation von intelligenten Maschinen, die selbstständig mit einander agieren. Dadurch machen wir den nächsten Sprung. Die Wirtschaftsleistung wird sich vergrößern, die Menschen arbeiten weniger, verdienen aber mehr. Vor 200 Jahren haben die Menschen 80 Stunden pro Woche gearbeitet und wenig verdient.
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