Rendi-Wagner: "Neuwahlen, sobald es die Situation zulässt"
Der KURIER bringt eine Serie, wie die Parteien ins neue Jahr starten. Den Auftakt macht die SPÖ mit Vorsitzender Pamela Rendi-Wagner.
KURIER: Frau Klubobfrau, auf Ihrer Präsidiumsklausur kommende Woche wird der SPD-Wirtschaftsexperte Gustav Horn referieren. Was genau wollen Sie sich von der deutschen Ampelkoalition abschauen?
Pamela Rendi-Wagner: Es geht darum, dass wir in Europa eine neue Wirtschaftspolitik brauchen. Wir haben gesehen, wie abhängig Europa von internationalen Lieferketten ist, welche Engpässe es geben kann insbesondere auch bei Medizin-Produkten. Dazu kommen Herausforderungen wie Pflegenotstand und Energiewende. Ich bin überzeugt, dass der Staat seine Rolle neu definieren muss. Er soll ein verlässlicher Sozialstaat bleiben, muss aber künftig auch eine aktive Rolle spielen als innovativer Partner der Wirtschaft und der Industrie, vor allem auch bei der Energiewende.
Machen wir es konkret: Umweltministerin Gewessler stoppt den Straßenbau im Namen des Klimawandels. Kritiker sagen, man wird weiterhin Straßen brauchen, aber es werden halt Autos mit anderer Antriebstechnik darauf fahren. Wie würden Sie das lösen?
Nur die Stopptaste im Straßenbau zu drücken, wird nicht reichen. Vernünftige Klimapolitik ist kein Entweder-oder. Man muss fragen: Was braucht es aus der Sicht des Klimas? Der Bevölkerung? Der Industrie? Der Wirtschaft? Diese Zusammenschau ist die Voraussetzung für den Erfolg einer Energiewende. Die SPÖ steht zum Ausstieg aus der fossilen Energie, aber was nicht passieren darf, ist ein Ausstieg aus der Industrie und die Vernichtung hunderttausender Arbeitsplätze. Damit das nicht passiert, muss Energiewende als gemeinsame Aufgabe erkannt werden, für den Staat und für die Wirtschaft. Ohne Wirtschaft wird es nicht gehen. Man braucht Innovation und neue Technologien zum Energiesparen und -speichern.
Die türkis-grüne Regierung sagt ja auch von sich, Sie mache das Beste aus beiden Welten. Was unterscheidet Ihr Konzept von der Regierung?
Was wir von der Regierung bis jetzt gesehen haben, ist Symbolpolitik. Klimapolitik braucht aber eine langfristige Perspektive und ein gemeinsames Vorantreiben von Innovation. Solche Pläne fehlen mir bei dieser Regierung komplett.
Ein Thema im deutschen Wirtschaftsprogramm ist der Fachkräftemangel. Die deutsche Ampel setzt hier auch auf Einbürgerungen. Ist das auch in Österreich notwendig?
Deutschland ist hier mit Österreich nicht vergleichbar. In Österreich gibt es viel mehr EU-Arbeitsmigration, in Deutschland ist mit sinkender, in Österreich hingegen mit steigender Erwerbsbeteiligung zu rechnen. Wir müssen daher den Hauptschwerpunkt auf Arbeitskräfte in Österreich legen, auf Aus- und Weiterbildung, auf den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit. Im Zusammenwirken mit ordentlichen Löhnen, dem Ausbau der Kinderbetreuung und innovativen Arbeitszeitmodellen lässt sich der Fachkräftemangel lösen. Das Staatsbürgerschaftsrecht gehört reformiert, weil es veraltet ist, das hat mit dem Arbeitsmarkt an sich aber nichts zu tun.
2021 stand auch im Zeichen von Skandalen. Ein ÖVP-Mitarbeiter stellt in Chats die eigene Partei als „Hure der Reichen“ dar. Glauben Sie das? Entspricht das dem Bild, das Sie von der ÖVP haben?
In den Chats tun sich moralische Abgründe auf. Aber diese Tiefe an Abgründen hätte ich der ÖVP, ehrlich gesagt, nicht zugetraut. Da wurde ich im negativen Sinn überrascht.
Halten Sie Vorfälle wie den von Siegfried Wolf, dass Reiche im ÖVP-Ministerium anrufen und einen Steuernachlass verlangen, für strukturell oder einen Einzelfall?
Ich fürchte, es ist die Spitze des Eisbergs und hat System. Man sieht, wie hier Steuergeld für parteipolitische Machtgelüste missbraucht wurde. Der Finanzminister ist gefordert, schonungslos aufzuklären.
Die ÖVP hat zwei Mal binnen Wochen den Kanzler getauscht, die SPÖ hat nicht einmal eindeutig eine Neuwahl gefordert. Vertrauen Sie dieser Regierung?
Es kommt jetzt eine neue Corona-Welle auf uns zu, und die SPÖ wird als verantwortungsvolle Partei in einer Krise mithelfen und unterstützen, wo es sinnvoll ist. Tatsache ist aber auch, dass das Vertrauen in diese türkis-grüne Regierung in der Bevölkerung auf einem Tiefststand angekommen ist. Sobald sich die Infektionszahlen stabilisieren, ist es an der Zeit, dass die Österreicherinnen und Österreicher neu über die Zukunft im Land entscheiden können. Es gibt ein Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit, und die gegenwärtige Regierung bringt das nicht mit. Darüber hinaus ist sie den Herausforderungen nicht gewachsen. Sie soll den Weg zu Neuwahlen freigeben, sobald es die Situation zulässt.
Omikron steht vor der Tür. Was würden Sie als Expertin jetzt raten?
Es bedarf einer sofortigen Lagebewertung des Risikos, einer umgehenden Einberufung von Gecko binnen 24 Stunden. Es muss entschieden werden, welche Maßnahmen es braucht, um weitere Lockdowns zu vermeiden. Die Regierung scheint über die Feiertage diese Welle zu verschlafen. Das Virus kennt aber keine Feiertage. Wenn der Anstieg so rasch vonstattengeht wie anderswo, müssen wir zu Schulbeginn mit fünfstelligen Infiziertenzahlen rechnen.
Sind Schulschließungen auszuschließen?
In dieser Pandemie kann man nichts ausschließen.
Welche Maßnahmen könnte man jetzt setzen?
Neben der Booster-Offensive sofortiges Homeoffice nach den Feiertagen, wo immer es möglich ist, um die Infektionsgefahr am Arbeitsplatz dramatisch zu reduzieren.
Finden Sie es nicht traurig, dass man Leuten Geld zahlen muss, dass sie Gratis-Impfungen annehmen?
Es ist jetzt keine Zeit, darüber zu jammern, wir müssen rasch handeln und die 90 Prozent Durchimpfung erreichen. Der Gutschein für alle mit dem dritten Stich fließt in die Wirtschaft zurück und kostet jedenfalls weniger als ein Lockdown.
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