Rendi-Wagner: "Messe Politiker nicht an ihren Autos"
KURIER: Frau Rendi-Wagner, gefragt nach dem Alleinstellungsmerkmal der SPÖ haben Sie im ORF geantwortet: "Daran werden wir arbeiten." Müssten hier nicht wie aus der Pistole geschossen mehrere Gründe einfallen? Bringen Sie mit solchen Stehsätzen Ihre Ablösedebatte nicht selbst in Schwung?
Pamela Rendi-Wagner: Das Ziel ist, zu einer neuaufgeladenen sozialdemokratischen Erzählung des 21. Jahrhunderts zu kommen. Das ist eine der Aufgaben des Erneuerungsprozesses, den wir gestartet haben. Für mich persönlich bedeutet Sozialdemokratie: Eine Chancenerzählung, vom ersten Lebenstag an, um ein gutes, selbstbestimmtes Leben führen zu können. Es geht um gerechte Chancen und Sicherheit, ein sicheres Dach über dem Kopf, Bildungschancen und in Würde altern. Dafür braucht es eine starke Sozialdemokratie.
Bei der Obmanndebatte traut sich noch kein Funktionär, sich namentlich gegen Sie auszusprechen. Wie lange sitzen Sie noch im Sattel?
Am Freitag im Präsidium gab es Einigkeit, dass wir eine inhaltliche Diskussion führen müssen. Es ist zu kurzsichtig und man macht es sich zu einfach, wenn man über Jahre immer schlechtere Wahlergebnisse einfährt, die Ursachen nur an Köpfen festmacht. Da müssen wir Inhalte und Strukturen hinterfragen.
Wie viel von dieser Niederlage geht auf Ihre Kappe? Sie rangierten nicht unter den Top fünf Wahlmotiven der SPÖ-Wähler.
Niemand kann sich aus der Verantwortung nehmen. Ich als Spitzenkandidatin habe eine Mitverantwortung. Es ist aber zu kurz gedacht, nur einer Person alleine die Schuld zu geben. Wir gewinnen und wir verlieren gemeinsam.
Sie werden für sich selbst hoffentlich eine Analyse des Misserfolgs gemacht haben. Wo haben Sie Fehler gemacht?
Mein Plan war, einen sauberen Wahlkampf zu führen. Dass es nicht gelungen ist, mit unseren Themen einen Diskurs zu erreichen, dafür gibt es viele Gründe. Ob ich ein Grund für den mangelnden Diskurs bin, das glaube ich nicht. Es ist uns nicht gelungen, weil es eine Themenkonjunktur im Rahmen der Klimakrise gab und weil ein Skandal den nächsten jagte.
Das hat man alles schon gehört ....
Ich hätte mehr Zeit gebraucht. Mehr Zeit, um im Land unterwegs zu sein. Der Kontakt mit dem Wähler ist essenziell und kann nicht durch TV-Duelle ersetzt werden. Ich bin zwar drei Mal getourt, aber ich hatte keinen Kanzlerbonus wie andere und habe zehn Monate davor eine Partei übernommen. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, wäre es uns gelungen, mich als Person näher an die Wähler zu bringen.
Thomas Drozda hat Ihnen mit seinem Abgang – er fuhr im Porsche vor der Parteizentrale vor– eine peinliche Diskussion hinterlassen. Auch Tirols Landesparteichef Georg Dornauer fährt einen Porsche Macan. Wie besinnen Sie Ihre Porsche-Fahrer wieder auf die Wurzeln der Sozialdemokratie?
Ich messe Politiker an der Politik, die sie machen und daran, wie viel sie sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Das machen die beiden. Aber ich messe Politiker nicht daran, welche Kleidung sie tragen und welche Autos sie fahren. Das ist nicht meine Art, weil sonst könnten wir weit in der Geschichte der Sozialdemokratie zurückgehen und viele solcher Beispiele finden.
Es stört Sie als SPÖ-Parteichefin nicht, dass hohe Parteifunktionäre mit einem Porsche fahren, der in der Neuanschaffung über 100.000 Euro kostet ...
Man sollte Menschen an ihrem Handeln messen und nicht daran, was sie sich mit ihrem eigenen Geld kaufen. Das Geld muss natürlich rechtens erworben sein und nicht wie bei Heinz-Christian Strache, der sich sein Leben möglicherweise anders finanziert hat. Da existiert ein Unterschied.
Gehen wir zur Parteierneuerung: Die Mitglieder wünschen sich mehr Basisdemokratie. Etwa auch, dass die oder der Parteivorsitzende direkt von den Mitgliedern und nicht von den Funktionären gewählt wird. Denken Sie das auch an?
Wir starten die Erneuerung einerseits von innen heraus, aber auch mit der größten Mitgliederbefragung der SPÖ im nächsten Jahr. Und zu Ihrer Frage: Es gibt in der SPÖ keine einzige Teilorganisation, auch übrigens bei der Jugendorganisation nicht, wo die Mitglieder direkt den Vorsitzenden wählen. Wenn wir diese Diskussion führen, dann bitte auch schonungslos ehrlich auf allen Ebenen und für alle Organisationen.
Sie wollen die SPÖ radikal neu denken. Am Freitag gab es den Startschuss zum Erneuerungsprozess. Da soll es nun Zukunftslabors und eine österreichweite Mitgliederbefragung geben. Klingen die Ideen des Ex-Bundesgeschäftsführers Max Lercher und SJ-Chefin Julia Herr nicht radikaler als Ihr Plan?
Ich stelle die Sozialdemokratie per se nicht in Frage. Radikal heißt, von der Wurzel an gedacht. Deswegen sind alle von der Basis weg aufgefordert, sich am Prozess der Analyse sowie der Handlungsableitungen zu beteiligen. Gleichzeitig ist der Prozess auch eine Öffnung nach außen. In den Zukunftslabors möchte ich die Türen und Fenster für Forscher, NGOs, Intellektuelle und Künstler öffnen, um mit uns die Aufgaben im 21. Jahrhundert zu diskutieren.
Die Ergebnisse sollen dann in die größte Mitgliederbefragung der SPÖ einfließen. Wir müssen die Fragen, die die SPÖ in den vergangenen 20 Jahren in regelmäßigen Diskussionen stellt, endlich klären. Es geht nicht, dass sich die SPÖ immer wieder mit sich selbst beschäftigt. Die neue Erzählung muss der SPÖ Geschlossenheit und Glaubwürdigkeit zurückgeben. Etwas, was der SPÖ in den vergangenen Jahren ein Stück weit abhandengekommen ist.
Sie haben Ihr Team für die weiteren Sondierungsgespräche nominiert. Auch Doris Bures ist in diesem Team. Sie hat Sie auch schon zum Gespräch mit dem Bundespräsidenten begleitet, was einige in der Partei für ungewöhnlich hielten. Ist Doris Bures die heimliche starke Frau in der Partei?
Ich habe mein Team nach inhaltlichen Kriterien ausgewählt. Doris Bures und Jörg Leichtfried als Vertreter des Parlaments, Rainer Wimmer als Vertreter der Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft und Peter Kaiser als Vertreter der Bundesländer. Aber ja, Doris Bures ist eine meiner Vertrauten und Unterstützerinnen.
Haben Sie beim Sondierungsgespräch mit Sebastian Kurz versucht, die Vertrauensbasis nach den doch sehr emotionalen Auseinandersetzungen in den TV-Duellen neu aufzubauen?
Alle Spitzenkandidaten wissen, dass Wahlkampf ist und wir Befindlichkeiten, die hier eventuell entstanden sind, auf keinen Fall in unsere Arbeit tragen können. Die Atmosphäre war freundlich, offen und professionell, Befindlichkeiten haben keine Rolle gespielt.
Werner Kogler gab der Türkis-Grünen-Koalition vor der Wahl nur eine fünf Prozent-Chance vor dem Wahltag. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer ÖVP/SPÖ-Regierung?
Ich gehe davon aus, dass die SPÖ nicht die erste Wahl der ÖVP ist, allein durch die Aussage von Sebastian Kurz, dass er einen Mitte-rechts-Kurs fortsetzen will.
Das würde auch die Grünen ausschließen ...
Da muss man Werner Kogler fragen.
Würden Sie gerne regieren?
Die Sozialdemokratie hat seit 130 Jahren den Anspruch, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern. Das ist immer der Anspruch der Bewegung gewesen, aber das bedeutet nicht "Regieren um jeden Preis".
Wäre es nicht fast kurios, wenn ausgerechnet Sebastian Kurz, den Sie als Kanzler abgesetzt haben, Ihnen zu einem Erfolg verhilft und Ihnen den Vizekanzlerinnenposten anbietet ...
Es geht nicht um meinen persönlichen Erfolg. Der Ball liegt bei der ÖVP. Derzeit haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass das ihr Weg sein wird.
Sie wirkten am Wahlabend relativ gefasst angesichts des desaströsen Wahlergebnisses. Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie es realisiert haben?
Der Wichtigste ist: Wie geht der Weg aus diesem Tiefpunkt? Ich blicke immer nach vorne. Es war auch für mich persönlich ein sehr bitterer Tag. Aber in jeder Niederlage liegt eine Chance.
Die Partei wird nach diesem Wahlergebnis rund 2,5 Millionen Euro an Parteienförderungen verlieren. Das kann man nicht einfach durch Pensionierungen einsparen. Wie hart wird der Sparkurs werden?
Das kann man nicht beschönigen, es wird hart.
Das heißt, es wird Kündigungen geben ...
So weit sind wir nicht. Der neue Bundesgeschäftsführer wird Einsparungspotenziale finden.
Sie mussten Ihre Bestellung von Christian Deutsch zum Bundesgeschäftsführer verteidigen. Was macht ihn eigentlich so unentbehrlich für Sie, dass Sie gerne derart viel Kritik einstecken?
Es ist schon interessant, dass, als ich mich im vergangenen Jahr für Thomas Drozda entschieden hatte, man gesagt hat: Er ist zu neu und kennt die Partei zu wenig. Bei meiner Entscheidung für Christian Deutsch sagt man, er kennt die Partei zu gut und ist ein Apparatschik. Es kommt aus finanzieller Sicht eine harte Zeit auf die Partei zu. Da braucht es einen klaren Sanierungskurs. Da braucht es jemanden, der die Partei gut kennt und das ist Christian Deutsch. Deshalb vertraue ich ihm – und das ist für mich auch ein sehr wichtiges Kriterium.
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