Regierung bringt Gewaltschutzpaket auf Schiene

Regierung bringt Gewaltschutzpaket auf Schiene
50 Maßnahmen für höhere Strafen, mehr Opferschutz und gezielte Täterarbeit. Expertenkritik wird zurückgewiesen.

Der Ministerrat hat am Mittwoch das Gewaltschutzpaket auf Schiene gebracht. Es beruht auf den Vorschlägen einer Task Force unter ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler und baut im Wesentlichen auf drei Bereiche auf: Strafrecht, Opferschutz und Täterarbeit.  

Im Gegensatz zu zahlreichen Experten, die die präventive Wirkung höherer Strafen bezweifeln, ist die Regierung von den geplanten Maßnahmen überzeugt. "Unser klares Ziel ist es, härter gegen Täter vorzugehen und Opfer besser zu schützen", erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz im Anschluss an den Ministerrat. 

Es könne nicht sein, dass Wirtschafts- und Vermögensdelikte strenger bestraft würden als Gewalttaten, da gebe es eine "Schieflage". "Wir stehen hier auf Seiten der Frauen und Kinder. Daher habe ich kein Verständnis für die Kritik mancher Experten. Wer sich an Frauen und Kindern vergeht, hat keine Milde verdient, sondern ordentliche, harte Strafen", sagte Kurz.

Schutz und Gerechtigkeit

Für Vizekanzler Heinz-Christian Strache geht es "um Schutz der Opfer und um Gerechtigkeit". In den letzten Jahren sei zu mild gestraft worden, gleichzeitig hätten sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen zugenommen. Dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden, so Strache.

Man habe sich bewusst Zeit genommen, um gezielt Strafverschärfungen vorzunehmen und niederschwelligen Opferschutz zu gewährleisten, erklärte Edtstadler. Die Opfer müssten wissen, dass ihnen geholfen wird. Aber auch Täterarbeit sei nötig, "um rasch die Gewaltspirale durchbrechen zu können", so die Staatssekretärin. 

Kickl will Nachschärfen im Asylbereich

Der bisherige "Werkzeugkoffer" sei nicht ausreichend bestückt gewesen, erklärte Innenminister Herbert Kickl. Nun habe man nachgeschärft. Das jetzige Paket sei ein guter erster Teil. Allerdings hat Kickl schon weitere Strafrechtsverschärfungen im Auge: etwa bei Gewalt gegen besonders gefährdete Berufsgruppen, vor allem die Polizei, und bei Falschangaben ("Behördentäuschung") im Asylverfahren.

Dass das Strafrechtspaket federführend im Innenministerium ausgearbeitet wurde, ist für Justizminister Josef Moser kein Problem. In Person von Generalsekretär Christian Pilnacek sei das Justizministerium ausreichend eingebunden gewesen. 

Die Pläne im Detail

Die mehr als 50 Maßnahmen müssen in verschiedenen Ressorts umgesetzt werden – dort wird auch das Budget bereitgestellt. Wer was umsetzt, liegt dann also bei den einzelnen Ministern. 

Höhere Mindeststrafe bei Vergewaltigung:

  • Bisher lag der Haftrahmen bei einem bis zehn Jahren, künftig soll die Mindeststrafe bei zwei Jahren liegen. Zudem soll es nicht mehr möglich sein, die ganze Strafe bedingt auszusprechen – der Verurteilte muss also auf jeden Fall für bestimmte Zeit ins Gefängnis.

Ausweitung des Stalking-Paragrafen:

  • Der Tatbestand „beharrliche Verfolgung“ wird um „Veröffentlichung von Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs einer Person ohne deren Zustimmung“ ausgeweitet. Bisher war nur umfasst, wenn jemand räumlich oder via Telekommunikation die Nähe seines Opfers sucht.

Höhere Strafen bei Rückfällen:

  • Wird jemand innerhalb der vergangenen fünf bis zehn Jahre zwei Mal wegen einer Tat gegen Leib und Leben bzw. Freiheit oder sexuelle Integrität verurteilt, erhöht sich die Strafe beim dritten Mal. Bei Vergewaltigung wären es statt zwei bis zehn Jahren dann zwei bis 15 Jahre Haft.

Umstände der Tat wiegen schwerer:

  • Richter haben schon jetzt die Möglichkeit, die Umstände der Tat in die Strafhöhe zu berücksichtigen – jetzt werden im Gesetz aber konkrete Faktoren genannt: Erschwerend wirkt etwa, wenn die Gewalttat ein Volljähriger an einem Minderjährigen verübt hat oder wenn die Tat besonders brutal war.
  • Auch die Traumatisierung des Opfers soll als „nachhaltige Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens“ stärker berücksichtigt werden.
  • Beziehungstaten sollen auch schwerer wiegen: Als Angehörige zählen laut Gesetzesvorschlag auch ehemalige Lebensgefährten.

Genitalverstümmelung im Strafgesetzbuch klarer definiert:

  • Bisher konnte eine weibliche Genitalverstümmelung als „erhebliche Verstümmelung“ und damit als schwere Dauerfolge qualifiziert werden. Jetzt soll klargestellt werden, dass sie das jedenfalls ist.
  • Zur Prävention soll der 2006 versandete „Elternbrief“ an Eltern von gefährdeten Frauen neu aufgesetzt und in mehrere Sprachen übersetzt werden.
  • Gibt es Indizien dafür, dass eine Frau zur Genitalverstümmelung bzw. zur Zwangsheirat ins Ausland gebracht werden soll, kann die Kinder- und Jugendhilfe einschreiten und den Entzug des Reisepasses veranlassen.

Aufklärungsunterricht in der Schule:

  • Laut Staatssekretärin Edtstadler hätten Strafprozesse bei Vergewaltigungen gezeigt, dass Jugendliche oft nicht genau wissen, was Freiwilligkeit beim Geschlechtsverkehr bedeutet. Das könnte im Aufklärungsunterricht – etwa in Fächern wie Biologie, Religion oder Ethik – vermittelt werden.

Frauen in Not sollen Bundesland wechseln können:

  • Derzeit bekommt eine Frau nur im eigenen Bundesland einen Platz im Frauenhaus – künftig soll ein Wechsel in andere Länder möglich sein. Laut Edtstadler ist das sinnvoll, um vom Täter weiter entfernt zu sein. Zusätzlich soll – wenn ein Opfer seinen Namen ändern muss – auch eine Änderung der Sozialversicherungsnummer möglich sein, damit es schwieriger auszuforschen ist.

Opfernotruf mit dreistelliger Nummer:

  • Die Taskforce hat sich darauf verständigt, einen möglichst niederschwelligen Zugang zu Beratung zu bieten. „Wenn ein Opfer noch nicht bereit ist, Anzeige zu erstatten, soll es wissen, dass es eine einfache Nummer gibt, unter der es Beratung gibt“, erklärt Edtstadler. Die dreistellige Nummer soll täglich und rund um die Uhr erreichbar sein.

„Bannmeile“ zum Schutz gefährdeter Personen:

  • Zusätzlich zum Betretungsverbot einer Wohnung, das nach einer Gewalttat ausgesprochen werden kann, gibt es die Möglichkeit eines „erweiterten Schutzbereiches“, zu dem etwa Kindergärten und Schulen zählen. Das soll jetzt um eine so genannte „Bannmeile“ von 50 Metern erweitert werden. Opfer können laut Edtstadler so auch am Weg zur Arbeit geschützt werden.

Verpflichtende Beratung für Täter nach Wegweisungen:

  • Edtstadler will bundesweit Gewaltinterventionszentren einrichten und Opfer wie auch Täter aktiv kontaktieren. Dadurch soll Täterarbeit fix etabliert werden. Bisher war es dem Gefährder selbst überlassen, ob er sich psychologische Hilfe sucht. Jetzt soll nach einer Wegweisung – derzeit gibt es jährlich rund 9000 – eine Erstberatung verpflichtend werden.

Neue „Fallkonferenzen“ bei Hochrisiko-Fällen:

  • Im Sommer wurde ein Pilotprojekt der Wiener Polizei mit der Interventionsstelle eingestellt, die Fallkonferenzen sollen jetzt neu aufgesetzt und gesetzlich verankert werden. Dabei sollen alle Beteiligten – Polizei und Vertreter von Opfern und Tätern – auf Augenhöhe über Gefahrenpotenziale und weitere Schritte beraten können, es sollen auch Daten und Informationen ausgetauscht werden. Laut Edtstadler wird es in speziellen Fällen notwendig sein, etwa die Verschwiegenheitspflicht von Ärzten und Psychologen aufzuheben.

Opposition: Erhöhung der Strafen zu wenig

Die Opposition reagierte mit Kritik. Es gebe zu wenig konkrete Hilfe für die Opfer, monierte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. Das, was die Regierung vorgelegt hat, könne nicht alles gewesen sein. Vor allem fehle Geld für Opferschutz und Täterarbeit, kritisierte neben Jarolim auch SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek.

Wenig überzeugt zeigte sich auch Irmgard Griss von den Neos: "Strengere Strafen allein bringen nichts. Was es braucht, ist ein ganzheitlicherer Ansatz, der auch dem erhöhten Personalbedarf im Justizbereich Rechnung trägt." In einem alternativen Maßnahmen-Paket der Neos wäre zum Beispiel die Einrichtung einer nationalen Koordinationsstelle vorgesehen.

Maria Stern, Chefin der Liste Jetzt, wandte auch ein: "Wenn man bedenkt, dass Vergewaltigungen zu einem großen Teil im familiären Umfeld geschehen, können härtere Strafen dazu führen, dass es noch weniger Anzeigen gibt."

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