Reaktionen auf Türkis-Grün: "Riesenschritt für Klimaschutz"
Einigung auf Klima-Neutralität Österreichs bis 2040 ist bahnbrechend, freut sich Greenpeace.
02.01.20, 17:23
Bis 2040 soll Österreich klimaneutral werden. Und, so formulierte es Werner Kogler bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sebastian Kurz zum neuen Regierungsprogramm, "CO2 wird etwas kosten". Ob damit eine CO2-Steuer gemeint ist, wie von Umwelt-NGOs immer wieder gefordert, bleibt zwar offen. Allein das Ziel der Klimaneutralität selbst ist aber Anlass genug für Greenpeace, WWF und Co. für geradezu euphorische Jubelmeldungen.
"Eine ökologische Trendwende" sei mit dem vorgelegten Regierungsprogramm möglich, heißt es da etwa vom WWF. Die Klimaneutralität bis 2040 sei ein "Meilenstein". Global 2000 spricht von einem "ambitionierten Ziel". Die Chance für eine Trendwende müsse jetzt genutzt werden.
Weniger positiv fällt naturgemäß das Urteil des politischen Mitbewerbs aus. "Auf den ersten Blick scheint Österreich eine türkise Regierung zu bekommen, denn die grünen Ziele muss man im Regierungsprogramm lange suchen", kritisiert SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. "Von Armut bedrohte Kinder haben kaum etwas von den türkis-grünen Plänen zum Familienbonus, während Besserverdiener profitieren." Die SPÖ werde das Regierungsprogramm nun einer genauen Detailprüfung unterziehen. Schon jetzt sei aber erkennbar, dass in dem vorliegenden Programm die soziale Handschrift weitestgehend fehlt, so Rendi-Wagner.
Die AsylkoordinationÖsterreich hat in Sachen Asyl kein gutes Haar am türkis-grünen Regierungsprogramm gelassen. Dieses beinhalte in diesem Bereich "zu viele Altlasten der Strache-Kickl-FPÖ", hieß es in einer Aussendung am Donnerstag. Die Tendenzen zur Isolation von Asylwerbern werde fortgesetzt.
Nicht nur, dass die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), umgesetzt werden soll, finde sich im Koalitionsabkommen auch der Plan zur Schaffung eines "grenznahen Asylantragsverfahrens im Binnen-Grenzkontrollbereich", betonte Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der asylkoordination österreich. Ein solches bedeute offenbar, dass Asylwerber aus den Ballungszentren in grenznahe Sammellager ohne Zugang für die Zivilgesellschaft gebracht werden sollen. Eine "große Enttäuschung" sei jedenfalls, dass es den Grünen nicht gelungen sei, das Ende der unabhängigen Rechtsberatung zu stoppen. Dagegen werde man aber "mit allen juristischen und politischen Mitteln" zu Felde ziehen.
Die FPÖ sieht vor allem die "Machtkonzentration bei den Nachrichtendiensten" besorgniserregend. Anders als unter Türkis-Blau sei keine Verschränkung der Regierungsparteien durch ein Staatssekretariat vorgesehen, kritisierte Norbert Hofer. Der FP-Parteichef forderte zudem eine Entschuldigung der Grünen. Schließlich hätten diese ihn für zahlreiche Maßnahmen die die Grünen jetzt mittragen würden, scharf kritisiert. Hofer nannte als Beispiel etwa das Kopftuchverbot oder die Sicherungshaft.
Dass diese nun tatsächlich kommt, fand am Donnerstag auch Herbert Kickl einigermaßen amüsant. Der FP-Klubobmann erinnerte daran, dass die ÖVP diese wichtige Forderung koalitionsintern sabotiert und die Grünen aus der Opposition heraus dagegen geschossen hätten. "Die künftige Justizministerin Zadic – damals noch in der Pilz-Liste – hat mir sogar vorgeworfen, ich würde den Rechtsstaat und die Verfassung gefährden." Die FPÖ stehen jedenfalls für eine "wirkungsvolle Sicherungshaft zur Verfügung".
Die NEOS haben sich am Donnerstag vor allem an der kolportierten Präventivhaft und der angekündigten Wiedereinführung der Generalsekretäre gestoßen. Diese Punkte seien besonders bedenklich und ein "türkis-blaues Erbe", erklärte der stellvertretende Klubobmann Niki Scherak.
Mit dem nächsten Anlauf für eine Präventivhaft setzte die künftige Regierung den "rechtspopulistische Kurs" fort, so Scherak. Und die Wiedereinführung der "umstrittenen" Generalsekretäre zeige "wenig Einsicht in alte Fehler". Zudem kritisierte Scherak, dass sich die ÖVP in den Bereichen Bildung und Integration die Führung gesichert habe. Dort sei "dringend" eine Kurskorrektur notwendig.
Gleichzeitig appellierte Scherak an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler zu Transparenz und Rechtsstaatlichkeit zu mahnen. "Dass ausgerechnet eine Regierung, die auf Transparenz setzen will, derart intransparente Verhandlungen führt, ist bezeichnend", so Scherak.
... ist als Finanzminister fix gesetzt. Der langjährige Vertraute von ÖVP-Chef Sebastian Kurz war bisher Kanzleramtsminister mit den Zuständigkeiten Europa, Kunst und Medien, jetzt übernimmt er die finanziellen Geschicke der Republik. Der studierte Philosoph, der sich in sozialen Medien auch schon Ovid-lesend inszeniert hat, ist auch Chef der Wiener Landespartei. Als solcher wird der 38-Jährige im Herbst 2020 wohl auch in die Wien-Wahl ziehen.
... wird Innenminister - das war der ÖVP nach der Ära Kickl ein Anliegen. Der Niederösterreicher führte den Wahlkampf von Kurz als dessen Parteimanager, als ÖVP-Generalsekretär hat er sich mit seinem polternden Stil einen Namen gemacht. Karriere machte er zuvor im ÖAAB. Geeignet wäre er auch für das Verteidigungsressort: Nach dem Präsenzdienst war er einige Jahre Berufssoldat und brachte es zum Leutnant.
... wird als erste Frau die Landesverteidigung übernehmen. Die niederösterreichische Landtagsabgeordnete und dortige Bauernbund-Chefin diente schon im Kabinett von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP); schon 2017 galt sie als Anwärterin auf den Job, der dann aber der FPÖ zufiel. Mit ihrem neuen Ressort hatte die Juristin bisher nicht gerade viel Kontakt. Im Landtag befasste sie sich schwerpunktmäßig mit Themen wie Kultur, Verfassung und Gesundheit.
... wird Kanzleramtsministerin und zuständig für Europa-Angelegenheiten. Die Juristin war unter Türkis-Blau Staatssekretärin im von Herbert Kickl (FPÖ) geführten Innenministerium, bevor sie für die Türkisen nach Brüssel zog - bei der EU-Wahl wurde sie Othmar Karas als Listenzweite an die Seite gestellt. Die Leitung der türkisen Delegation im EU-Parlament gibt die 38-Jährige jetzt wohl wieder ab.
... wird als Landwirtschaftsministerin verlängert. Auch sie zählt zum engsten Zirkel von Sebastian Kurz, die Materie kennt sie von Kind auf: Sie stammt aus einer Lavanttaler Landwirts-Familie, ist dementsprechend Bauernbündlerin. Neun Jahre saß die 41-Jährige für die ÖVP im EU-Parlament, bevor Kurz sie nach Wien zurückholte.
... wird wieder Wirtschaftsministerin. Die frühere A1-Chefin war schon 2017 als Überraschungskandidatin präsentiert worden, die gebürtige Tirolerin gilt zudem als Vertraute der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
... ist als Bildungsminister zurückgeholt worden. Der 64-Jährige war schon unter Türkis-Blau für diese Bereiche zuständig, davor war er einer der liebsten Bildungs- und Migrationsexperten von Sebastian Kurz. Fassmann, ein gebürtiger Deutscher, hat Geografie und Wirtschafts- und Sozialkunde studiert und war vor seinem politischen Engagement Vizerektor der Uni Wien.
... wird Chefin eines neu geschaffenen Integrationsministeriums und außerdem für Frauenagenden zuständig sein. Die 34-jährige Oberösterreicherin ist derzeit Leiterin der Integrationssektion im Außenministerium, bei den Regierungsverhandlungen saß sie mit am Tisch für die ÖVP. Mit ihrem Chef ist sie inhaltlich konform: Sie war etwa für die Ausarbeitung des Islamgesetzes mitverantwortlich, arbeitete beim Burkaverbot und an der Integrationsinitiative "Integration durch Leistung" mit.
Neu im Kabinett Kurz: Christine Aschbacher wird Arbeits- und Familienministerin. Die 36 Jahre alte Unternehmerin aus der Steiermark war schon von 2012 bis 2015 im Finanz- und Wirtschaftsministerium tätig, sie gilt als Expertin für die Themen Fach- und Schlüsselarbeitskräfte, Standortpolitik und Innovationsmanagement.Sie bekommt Agenden, die dem grünen Sozialministerium entzogen werden - etwa den wichtigen Bereich des Arbeitsmarkts, also das AMS.
Alexander Schallenberg bleibt auf dem ÖVP-Ticket Außenminister. Er ist damit der einzige, der den Weg von der Übergangsregierung in das Kabinett Kurz gefunden hat. Schallenberg, ein Karrierediplomat, kam schon vor 20 Jahren ins Außenamt, war Pressesprecher mehrere Minister. Internationalität liegt ihm im Blut: 1969 in Bern als Sohn des Botschafters geboren, wuchs er in Indien, Spanien und Frankreich auf.
Vizekanzler Werner Kogler bekommt dieselben Aufgaben übernimmt wie sein Vorgänger Heinz-Christian Strache - und zwar Sport und die Beamten. Hinzu kommt Kunst und Kultur. Kogler, ein gebürtiger Steirer, ist ein grünes Urgestein; der 58-Jährige hat die Partei nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat wieder in lichte Höhen geführt. Seine Leidenschaft sind aber die Zahlen: Er ist Volkswirt und war lange Budgetsprecher der Grünen.
Bereits bestätigt: Ex-Global 2000-Geschäftsführerin Leonore Gewessler ist als Umwelt-, Verkehrs- und Energieministerin gesetzt. Die Politikwissenschafterin und Umweltaktivistin war lange Zeit Geschäftsführerin bei Global 2000, bevor sie für die Grünen auf dem zweiten Listenplatz hinter Kogler kandidierte. Die 42-Jährige, die aus Graz stammt, war auch eine der zentralen Regierungsverhandlerinnen der Ökopartei.
Ebenfalls fix: Das Justizministerium wird die WirtschaftsanwältinAlma Zadic für die Grünen übernehmen. Die gebürtige Bosnierin saß in der letzten Periode noch für die Liste Pilz im Nationalrat, da machte sie im BVT-U-Ausschuss eine gute Figur. Jetzt zu den Grünen gewechselt, hat Zadic jedenfalls gute Qualifikationen für das Amt: Die 35-Jährige hat eine Musterkarriere hinter sich - nach der Schule im 10. Wiener Gemeindebezirk studierte sie in New York und Mailand bis hin zum Doktortitel Jus, war später bei der International Organisation of Migration und beim Haager Kriegsverbrecher-Tribunal aktiv.
Der Oberösterreicher Rudolf Anschober wird Sozialminister. Der 59-Jährige hat Erfahrung im Regieren mit der ÖVP: In seinem Heimatland währte die schwarz-grüne Partnerschaft zwölf Jahre lang. Seit den 1980ern ist der gelernte Volksschullehrer politisch aktiv, zuletzt machte er sich mit seinem Engagement für ein Bleiberecht für Asylwerber in Lehre einen Namen.
Die ehemalige EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek zog für die Grünen als Spitzenkandidatin in den Nationaratswahlkampf 2017. Dabei flogen die Grünen kurzzeitig aus dem Parlament, Lunacek zog sich aus der Politik zurück. Nun feiert sie ihr Comeback: In der neuen Regierung wird sie Staatssekretärin für Kunst und Kultur im Ministerium von Werner Kogler.
Fix ist auch, dass Magnus Brunner (ÖVP) aus Vorarlberg Umwelt-Staatssekretär der künftigen Regierung wird. Der 47-Jährige ist seit 2009 Mitglied des Bundesrats, seit 2018 ist er Vizepräsident des Gremiums. Seine erste politische Erfahrung sammelte er als Büroleiter von Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber. Der promovierte Jurist ist Experte im Energiesektor und hat in den vergangenen Jahren etwa am neuen Ökostromgesetz, mitgewirkt.
Wer fehlt? Der Kanzler natürlich. Sebastian Kurz beschreitet mit seiner Koalition mit den Grünen neue Wege. Neu im Kabinett Kurz II ist, dass die Medienagenden nunmehr direkt im Kanzleramt angesiedelt sind. Kurz' langjähriger Sprecher Gerald Fleischmann wird "Kanzlerbeauftragter für Medienfragen".
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