Razzia bei ÖVP: Justiz vermutet Scheinrechnungen und frisierte Umfragen

Razzia bei ÖVP: Justiz vermutet Scheinrechnungen und frisierte Umfragen
Sebastian Kurz und seine „Prätorianer“ sollen sich mediales Wohlwollen erkauft und mit gefälschten Rechnungen über das Finanzministerium bezahlt haben

Das Konvolut zählt 104 Seiten, und sein Inhalt ist, so viel lässt sich bei aller Zurückhaltung sagen, von enormer Tragweite: Denn gemäß einer „Anordnung“, mit der die Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) am Mittwoch Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale, im Finanzministerium, dem Kanzleramt sowie diversen Wohnungen von engen Vertrauten des Bundeskanzlers gemacht hat, stehen der Regierungschef und andere im Verdacht, öffentliches Vermögen veruntreut zu haben. Kolportierter Schaden: Mehr als eine Million Euro.

Nun handelt es sich bei dem Dokument lediglich um die Erklärung, warum man die Hausdurchsuchungen für gerechtfertigt hält.

Allerdings sind darin jede Menge Chat-Nachrichten enthalten. Und sie nähren einen Verdacht: Die Neue Volkspartei soll nicht nur wohlwollende Berichterstattung erkauft und Umfragen zurechtgebogen, sondern diese Umfragen mit Scheinrechnungen getarnt und aus Mitteln des Finanzministeriums bezahlt haben.

Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Es handelt sich um Ermittlungen, nicht um eine Anklage. Der KURIER versucht Vorhalte und Personen zu ordnen.

Die politische Ausgangslage

Die Erzählung der WKStA beginnt 2016: Damals zeichnete sich ab, dass die Große Koalition image-mäßig am Ende ist. Dem nicht genug, wusste man in der Volkspartei, dass die ÖVP mit einem Spitzenkandidat Sebastian Kurz um 15 Prozent besser abschneiden würde als mit Reinhold Mitterlehner. Die Aktivitäten von Kurz und seinem Team seien parteiintern kritisch gesehen worden, schreibt die WKStA. Deshalb soll Kurz seinen Plan, Parteichef zu werden, verdeckt weiterbetrieben haben. Kurz Problem aus Sicht der WKStA: Ihm fehlten damals Pouvoir und Geld für strategische Arbeit – noch war ja Mitterlehner Parteichef.

Als Lösung habe man im Zirkel um den jungen Minister das „Beinschab Österreich Tool“ entwickelt. Der Name stammte von Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die bei Research Affairs tätig war und mit Sophie Karmasin, ehemalige Ministerin und Motivforscherin, zusammengearbeitet hat.

„Beinschab Österreich Tool“

Die Idee hiezu soll vom damaligen BMF-Generalsekretär Thomas Schmid gekommen sein. Meinungsforscherin Beinschab sollte für die ÖVP günstige Umfragen erstellen, die sie dann als scheinbar unabhängige Expertin auf den Plattformen des Österreich-Medienhauses präsentiert hat. Die beabsichtigten Veröffentlichungen sollten durch zeitlich parallele Inseratenschaltungen „finanziert“ und somit sichergestellt werden. Dieser Plan soll auch im berühmten „Projekt Ballhausplatz“ enthalten sein.

Schmid ist ein zentraler Player, der Kurz seine „uneingeschränkte Loyalität“ versichert hat (so schrieb er etwa an Kurz: „Ich bin einer deiner Prätorianer der keine Probleme macht sondern löst“).

Nach Kenntnisstand der WKStA soll die Verrechnung der bei Beinschab beauftragten Umfragen in zwei Abschnitten erfolgt sein: In der ersten Phase des sogenannten Tatplans, man spricht von Mitte 2016 bis Dezember 2016, sollen die Umfragen mit Kosten in Höhe von insgesamt 83.640 Euro über Österreich abgerechnet worden sein.

Scheinrechnungen

Beinschab soll Scheinrechnungen an Unternehmen der Fellner-Gruppe gelegt haben, heißt es. In der Folge sollen diese vorläufig übernommenen Kosten über Inseratenschaltungen ausgeglichen worden sein. Heißt: Fellner soll die Umfragen quasi vorfinanziert haben – und dafür dann von der ÖVP Inserate bezahlt bekommen haben.

In der zweiten Phase sollen die Kosten direkt aus den Töpfen des Finanzministeriums bezahlt worden sein – allerdings verdeckt.

So sollen parallel zu den Aufträgen der Umfragen auch Studien an das Einzelunternehmen von Beinschab vergeben worden sein, die das BMF förderte. Der Aufwand soll dann, wie oben beschrieben, durch Scheinrechnungen verschleiert worden sein. In den Chats der Beteiligten heißt es, sie seien bei den Studien „dazugerechnet“, „reingerechnet“ oder „hineingepackt“ worden. Angewiesen hat diese Rechnungen offenbar der Leiter der Kommunikationsabteilung im Ministerium, Johannes Pasquali.

Die WKStA hält zudem fest, dass das BMF auch nach März 2018 Studien bei Beinschab beauftragt haben soll, für die insgesamt über eine halbe Million Euro überwiesen worden sein sollen. Darunter auch drei Studien aus 2020, in denen es um Corona geht („Bewertung des Corona-Hilfspakets“ etc.).

Was wusste der Kanzler?

Die wichtigste aller Fragen, nämlich ob man offenkundig falsch deklarierte Rechnungen im Finanzressort wirklich dem späteren Parteichef Sebastian Kurz zuordnen kann, beantworten die Korruptionsjäger in aller Schärfe: „Sebastian Kurz ist die zentrale Person: sämtliche Tathandlungen werden primär in seinem Interesse begangen“, heißt es auf Seite 66 der Anordnung.

Der spätere Regierungschef habe sich von der Umsetzung des sogenannten „Beinschab Österreich Tools“ regelmäßig berichten lassen. Aus den Chatnachrichten sei ersichtlich, dass er in „allen wichtigen Belangen die Grundsatzentscheidungen trifft und diese Entscheidungen von seinem engsten Beraterkreis umgesetzt werden“.

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