"Radikale Chaoten": Mikl-Leitner fordert Rüge von Van der Bellen für Klimakleber
Johanna Mikl-Leitner. Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau über die Normalitäts-Debatte, die Kritik des Bundespräsidenten an ihr, das Gendern und die Affäre um Gemeindebundpräsident Alfred Riedl
Mit der „Politik für normal Denkende“ sorgt ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner derzeit bundesweit für heftige Debatten.
KURIER:Zu Beginn der Sommerferien haben Sie mit Ihrer Ansage, eine Politik für „normal Denkende“ zu machen, österreichweit eine Debatte darüber ausgelöst, was normal ist und was nicht. Was war der Anlass dafür?
Johanna Mikl-Leitner: Manche haben daraus eine Begriffsdebatte gemacht, aber ich habe von Anfang an ganz klar gesagt, was mir wichtig ist und was mich stört. Es stört mich, wenn sich die Politik mehr mit Randthemen beschäftigt als mit den zentralen Anliegen der Menschen. Es stört mich, dass die linken und die rechten Ränder immer lauter werden und dadurch die breite Mitte überhört wird.
Was sind für Sie die angesprochenen zentralen Themen der Menschen?
Wie kann ich mir heute noch ein Eigentum schaffen, wie habe ich mein Auskommen mit dem Einkommen, wohin kann ich meine Kinder zur Betreuung geben, wenn ich meinem Job nachgehen will, wer hilft mir bei der Betreuung der älteren Menschen? Das sind die Themen, die die Menschen wirklich bewegen.
Die Debatte wurde aber auch so gedeutet, dass dadurch Randgruppen ausgeschlossen werden.
Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die breite Mitte versucht immer, einen sozialen Konsens und Ausgleich zu schaffen. „Leben und leben lassen“ ist die Devise. Aufeinander zugehen und nicht ausgrenzen. Andere grenzen aus, die breite Mitte der Gesellschaft tut das nicht.
Allerdings hat zuletzt sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen darauf Bezug genommen und die Begriffe schwer kritisiert.
Der Herr Bundespräsident hat alle politischen Parteien kritisiert – außer die Grünen. Da vermisse ich etwas die Unabhängigkeit des Bundespräsidenten.
Wie ist überhaupt Ihr Verhältnis zum Bundespräsidenten? Bei der Angelobung von Schwarz-Blau in Niederösterreich hat es für Sie von ihm eine Rüge gegeben, bei Schwarz-Blau in Salzburg waren seine Worte milder.
In der Regel habe ich mit dem Herrn Bundespräsidenten ein sehr gutes Einvernehmen, aber ich vermisse bei ihm auch mahnende Worte, wenn es um die Klimakleber geht. Auch dazu könnten einmal ganz klare Worte gesprochen werden, wenn die Klimakleber für Chaos bei ihren Mitmenschen sorgen. Auch dazu könnte sich der Bundespräsident äußern.
Die Klimakleber sind für Sie auch eine radikale Gruppe?
Das sind jene, die andere Menschen davon abhalten, rechtzeitig zu ihrer Arbeit zu kommen oder in ihren wohlverdienten Urlaub zu fahren. Das sind Dinge, die man als normaldenkender Mensch nicht nachvollziehen kann. Die Wahrheit ist: Das sind radikale Chaoten, und ich erwarte mir, dass es dagegen endlich härtere Strafen gibt.
Sie erwarten von der Justizministerin, dass hier neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden?
Ja, ich erwarte mir von Ministerin Alma Zadić eine klare Haltung und strengere Strafen für diese Klimakleber.
Nochmals zurück zur Normalitätsdebatte. Der Kritik des Bundespräsidenten hat sich auch Ihr Parteikollege Othmar Karas, immerhin Vizepräsident des EU-Parlaments, angeschlossen.
Die Aufgabe von Othmar Karas ist es, sich auf die europäische Ebene zu konzentrieren und darauf zu schauen, dass in Brüssel nicht Gebote und Verbote überhandnehmen, sondern dass sich auch die EU wieder um ihre zentralen Themen kümmert – nämlich um Sicherheit, Friede und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents.
Viele Diskussionen haben auch die neuen Gender-Regeln für behördliche Texte in Ihrem Bundesland ausgelöst. Warum wurde jetzt diese Maßnahme gesetzt?
Ich kenne die Debatte. Die einen reden von „Gender-Wahn“, die anderen sagen, da will jemand das Gendern verbieten. Beides ist maßlos übertrieben. Es gibt kein Gender-Verbot, weil das Land Niederösterreich sich seit Jahren an das Gendern mit Hausverstand hält. Es geht darum, die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung für die Amtssprache verbindlich zu machen. Das setzen wir ganz pragmatisch um. Die Regulative sind nicht von uns, die sind vom Rat für deutsche Rechtschreibung.
Ministerin Alma Zadić von den Grünen hat einen anderen Zugang gewählt, indem sie in einem Gesetzestext nur noch die weibliche Bezeichnung von Personen verwendet hat. Was sagen Sie dazu?
Wir haben die Empfehlung des Rechtschreibrates in der Kanzleiverordnung verbindlich eingeführt. Für mich ist die Debatte damit abgehakt. Ministerin Zadić hätte auch Wichtigeres zu tun, wie eben härtere Strafen für Klimakleber einzuführen.
Die Normalitätsdebatte beinhaltet die Absage an radikale Ränder links und rechts. Wo ordnen Sie da FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl ein?
Es ist ja klar, wo Herbert Kickl steht, am rechten Rand.
Und wie beurteilen Sie, dass in der ÖVP-Bundesregierung niemand mit Herbert Kickl eine Regierung bilden will? Immerhin koalieren Sie mit seiner FPÖ.
Sie wissen, dass ich nach der Landtagswahl auf den Drittgereihten, auf die SPÖ, zugegangen bin. Aber aufgrund des kompromisslosen Verhaltens der SPÖ ist es zu keiner Zusammenarbeit gekommen, sondern mit der FPÖ. Im Blick zurück auf die vergangenen Monate kann ich nur sagen, diese Zusammenarbeit funktioniert professionell und friktionsfrei. Wie es Bundeskanzler Karl Nehammer mit der FPÖ hält, hat er ganz klar ausgedrückt. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mit dem Kanzler ein sehr gutes Verhältnis habe. Ich vertraue ihm, was seine Arbeit und auch was seine Einschätzung betrifft.
Es hat schon einige Beschlüsse der schwarz-blauen Koalition gegeben, die für Diskussionen gesorgt haben. Neben dem Gendern etwa der Corona-Fonds. Sind Sie da Getriebene der FPÖ? Oder war es immer eine gemeinsame Linie ÖVP und FPÖ?
Es gibt ein Regierungsprogramm, das über 200 Punkte umfasst. Und die beiden angesprochenen Punkte gehören dazu. Aber klar ist, dass all diese Maßnahmen von allen getragen werden. Mir war es auch persönlich wichtig, dass wir diesen Corona-Fonds auf den Weg bringen, um die Gräben, die in den letzten Jahren entstanden sind, zu schließen.
Geplant sind auch neue Richtlinien bei der Wohnbauförderung. Darunter der Punkt, dass Deutschkenntnisse eine Voraussetzung für den Erhalt der Förderung sind. Was hat man da vor?
Die Wohnbauförderung ist ein zentrales Thema. Aufgrund der Zinsentwicklung ist es notwendig, sie neu aufzustellen. Das ist das Wichtigste und das tun wir jetzt. Und ja: Auch Integrationsbemühungen sind notwendig. Warum ist die Sprache bei der Wohnbauförderung so wichtig? Sie ist der zentrale Schlüssel zur Integration.
Die Immobilien- und Grundstücksgeschäfte von Gemeindebundpräsident und Bürgermeister Alfred Riedl in seiner Gemeinde Grafenwörth sorgen für sehr viel Kritik. Wie gehen Sie als Landeshauptfrau damit um?
Ich denke, dass die richtigen Schritte eingeleitet worden sind, indem es eine Überprüfung seitens der Bezirkshauptmannschaft gibt, ob diese Beschlüsse im Gemeinderat auch rechtskonform sind. Darüber hinaus hat Landesrat Ludwig Schleritzko den Auftrag erteilt, dass das Gemeindereferat alle Grundstückskäufe und -verkäufe über die letzten fünfzehn Jahre hinweg überprüft. Was mir in dieser Situation aber auch wichtig ist, dass es keine Generalverurteilung aller Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gibt, denn diese leisten – egal von welcher Partei – vor Ort wirklich gute Arbeit.
Es ist ja nicht nur die Frage, ob es rechtlich korrekt ist, sondern auch, ob es politisch korrekt ist. Dem wird sich die ÖVP stellen müssen.
Selbstverständlich. Die Optik ist schlecht, ja sogar sehr schlecht. Jetzt gilt es aber einmal, die Prüfberichte abzuwarten.
Kommentare