Raab über Extremismus: "Viele Länder waren zu naiv"

Raab über Extremismus: "Viele Länder waren zu naiv"
Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und der französische Islamismus-Experte Gilles Kepel sprachen mit dem KURIER über die Radikalisierung junger Muslime und wie man sie verhindern kann.

Ein Jahr nach dem islamistisch motivierten Terroranschlag in Wien traf der KURIER Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und den französischen Islamismus-Experten Gilles Kepel am Rande einer internationalen Integrationskonferenz in der Hauptstadt zum Doppelinterview.

KURIER: Der Wiener Terrorist, der vor einem Jahr vier Menschen tötete, hat sich vor allem online radikalisiert. Wie kann man das verhindern?

Gilles Kepel: Das Profil des Wiener Terroristen ist typisch dafür, wie heute aus jungen Männern Einzeltäter werden. Früher wurden fast alle Angriffe in Europa von ausgebildeten Attentätern durchgeführt. Heute hat man auf der einen Seite jene Menschen, die im Internet gezielt den Hass auf "Ungläubige" schüren. Sie werden selbst aber nicht aktiv, sie stellen einfach andere bloß. Auf der anderen Seite stehen dann die Täter, die nicht zwingend mit der ersten Gruppe in Kontakt stehen müssen. Sie haben sich meist selbst radikalisiert – über Freunde, Bekannte oder schlicht online – und wollen den Kampf gegen die "Ungläubigen" selbst in die Hand nehmen.

Susanne Raab, ÖVP-Integrationsministerin 
Die 37-jährige Juristin ist seit Anfang 2020 Ministerin für Frauen, Gleichstellung und Integration. Seit dem Rücktritt Christine Aschbachers im Jänner ist Raab auch für die Agenden Familie und Jugend zuständig.  

Gilles Kepel, Autor und Sozialwissenschaftler 
Der 66-Jährige gilt als einer der wichtigsten Islamismus-Experten weltweit. Er ist Professor am renommierten Pariser Institut für Soziologie (Sciences Po) und hat mehr als 20 Bücher geschrieben. Sein neuestes Werk über „atmosphärischen Dschihadismus“ ist im Oktober erschienen. „Chaos und Covid. Wie die Pandemie Nordafrika und den Nahen Osten verändert“; Kunstmann-Verlag; 360 Seiten; 26,00 Euro.

Fördern starke rechtspopulistische Parteien eigentlich islamistisches Gedankengut?

Kepel: Natürlich. Es ist paradox: Wenn man sich die Manifeste der IS-Anführer durchliest, dann sieht man, dass es eines ihrer Ziele war, Wahlsiege von rechten Parteien in Europa herbeizuführen. Denn ihrer Ansicht nach zeigen starke islamfeindliche Parteien, dass der Westen rassistisch ist. Das erlaubt ihnen, damit zu argumentieren, dass Integration eine Lüge ist – somit können sie jungen Muslimen auf der Suche nach einer eigenen Identität sagen: "Wir sind die Einzigen, die eure Interessen verteidigen".

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