Baustellen für nächste Regierung: "Krempelt’s die Ärmel auf"

Das Parlament wird gerade renoviert. Auch auf die neue Regierung wartet noch viel Arbeit.
Türkis-Blau hielt nur rund 17 Monate. Nicht wenige Projekte von ÖVP und FPÖ blieben im Stadium der Versprechen und Ankündigungen stecken. Manches, wie eine Pensionsreform, haben sich Kurz, Strache & Co gar nicht erst vorgenommen.
Auf die nächste Regierung, egal in welcher Zusammensetzung, kommt also enorm viel Arbeit zu. Darin sind sich alle Experten einig.
Eine unvollständige Liste aller Baustellen und offenen Reformen reicht von A wie Arbeitsmarkt über F wie Föderalismus, K wie Klimaschutz, P wie Pflege bis hin zu S wie Steuerreform.
Kommt die eine oder die andere Partei in Regierungsverantwortung, mögen sich die konkreten Schwerpunktsetzungen leicht verschieben. An den grundsätzlichen politischen Herausforderungen ändert das kaum etwas.
Keine Alternative
Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Prioritäten für die nächste Bundesregierung sind klar. Zu einem ambitionierten Reformkurs, der mittelfristig auch Föderalismus, Pensionen, Entbürokratisierung und einen Schuldenstopp in der Verfassung miteinbezieht, gibt es im Interesse von Wachstum und Wohlstand keine Alternative.“
„Keines der jetzt genannten Themen ist unwichtig. Letztlich kommt es auf den richtigen Politik-Mix und einen vernünftigen Zeitplan an. Krempelt’s die Ärmel auf“, richtet Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) den künftig Regierenden aus.

Badelts Analyse ist klar: Viele Baustellen – von der Bildung über die Staatsreform bis zu Pflege und Gesundheit – waren auch schon
vor Türkis-Blau schmerzlich sichtbar. Gelöst wurden bisher wenige dieser Probleme.
Nur Schlagworte
Beispiel: Die Erhöhung des Pflegegeldes mag zwar in Wahlkampfzeiten opportun erscheinen und vielleicht sogar Stimmen bringen. Ein Gesamtkonzept, das die nachhaltige Pflegefinanzierung sicher stellt, sei das noch lange nicht. Badelt: „Trotz der enormen finanziellen Auswirkungen gibt es hier bisher nur Schlagworte, wie die Pflegeversicherung oder den Pflegefonds.“
Nicht viel anders sei es beim Klimaschutz. Badelt: „Jeder redet über den Klimanotstand. Aber noch traut sich kein Politiker konkrete Maßnahmen zu benennen, die auch den Einzelnen treffen könnten. Wir haben alle einen Schreck vor den Gelbwesten in Frankreich bekommen. Aber die Politik muss sich endlich deklarieren.“
Neue, kräftige finanzielle Anreize für Gebäude-Sanierungen oder klimafreundliche Heizungen, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, das Aus für steuerliche Begünstigungen bei Diesel oder Kerosin – die Palette an möglichen Maßnahmen sei breit. Für zwingend erforderlich hält Badelt: „Der Einzelne muss sich den Klimaschutz auch leisten können.“
Wenn es ums Leisten geht, kommt die Steuerreform ins Spiel. Bei diesem Thema hatten ÖVP und FPÖ einen konkreten Zeitplan vorgelegt. Die Entlastung der Kleinverdiener über den Sozialversicherungsbonus kommt auch noch, der Rest ist aber Geschichte und muss von der künftigen Regierung neu aufgesetzt werden.
Lukas Sustala, Vize-Direktor der wirtschaftsliberalen Agenda Austria, plädiert für eine größere Entlastung als von Türkis-Blau geplant. Statt fünf seien neun Milliarden Euro nötig, um den Faktor Arbeit wirklich nachhaltig zu entlasten und von der Gesamtbelastung her in Richtung des geringeren EU-Durchschnitts zu kommen. Auch die Abschaffung der kalten Progression dürfe nicht wieder auf die lange Bank geschoben werden, sagt der Ökonom, sonst verpuffe der Effekt der Steuerentlastung rasch wieder.
Verkrustete Strukturen
Sustala empfiehlt unter anderem eine echte Ausgabenbremse (mit Sanktionen) sowie die Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters auf 67 (jährlich um 2 Monate). „Den Menschen muss endlich spürbar mehr Netto vom Brutto bleiben. Und für den Staat müssen Budgetüberschüsse in guten Zeiten etwas völlig Normales werden.“ Nachsatz: „Die bisher gute Konjunkturphase samt historisch niedriger Zinsen
ist zu wenig genutzt worden. Die verkrusteten Strukturen in Österreich wurden noch nicht wirklich aufgebrochen.“
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