Androsch rügt die Politik: "Da stimmt ja etwas im System nicht"
Das Wort „Zukunft“ fällt oft, wenn man Hannes Androsch trifft. Ein Gespräch über Herausforderungen und Gefahren vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Rivalitäten und Spannungen.
KURIER: Was halten Sie von den Russland-Sanktionen?
Hannes Androsch: Diese waren unbedingt notwendig, um der Aggression Putins in der Ukraine entgegenzutreten. Das ist ein Kampf gegen die Sicherheits- und Friedensordnung Europas. Sanktionswirkungen benötigen Zeit und treffen unvermeidlich auch die Sanktionierenden. Die Energiekrise war aber schon längst da, der Krieg hat sie nur verschärft.
Woher kommt sie sonst?
Von verunglückten oder unterlassenen Maßnahmen zur Energiewende. Man kann in Deutschland nicht zuerst Kohle- und Atomkraftwerke schließen, ohne Ersatz dafür zu haben und alles wie beim Roulette auf eine Nummer setzen: russisches Gas. Noch mehr gilt diese Abhängigkeit mit 80 Prozent unverantwortlicherweise für Österreich.
E-Auto bedeutet aber noch mehr Stromverbrauch.
Das ist eine Fehlentwicklung. Wir wollen zwar Strom sparen, fördern aber gleichzeitig dessen Verwendung. Batterien für E-Autos brauchen Kobalt, Lithium, Nickel und Kupfer. Dies führt zu neuen Abhängigkeiten und nimmt Sklaven- und Kinderarbeit in Kauf. Auch wollen wir den ökologischen Fußabdruck eines E-Autos nicht kennen und uns keine Gedanken über die Entsorgung der Batterien machen. Und woher kommt der zusätzliche grüne Strom mit Spitzen zwischen 17 und 19 Uhr?
Was ist die Ursache dieser politischen Fehler?Es ist Ideologie, die glaubt, mit Wunschträumen und Tunnelblick evidenzfern eine Energiewende in kurzer Zeit bewältigen zu können. Das kann nicht zum Ziel führen. Österreich ist eines der wenigen Länder in Europa, das seit 1990 den CO2-Ausstoß sogar erhöht hat. Wir stoßen pro Kopf und Jahr doppelt so viel aus wie die Schweiz.
Was ist unser Problem?
Wir haben die Kraftwerke in Zwentendorf, Hainburg und im Dorfertal verhindert. Wir verhindern den Leitungsbau sowie das Aufstellen von Windrädern. Wir haben einen Stromüberschuss in Westösterreich, der nach Deutschland exportiert wird, weil wir keine Leitungen in den Osten haben. In Ostösterreich beziehen wir den Atomstrom, den wir behaupten nicht zu verwenden, aber zu 20 Prozent aus dem Atommeiler Temelín bekommen, den wir gleichzeitig ständig bekämpfen.
Was braucht Österreich?
Versäumnisse nachholen sowie Blockaden und Verhinderungen beseitigen. Kurzfristig bleibt uns nur, den Gürtel enger zu schnallen und so viel wie möglich zu sparen. Mittelfristig müssen wir die Ärmel hochkrempeln, um die Effizienz zu verbessern und zuzupacken. Längerfristig sind alle Möglichkeiten für einen bestmöglichen Energiemix technologieoffen zu nutzen. Dazu gehört vor allem, die eigenen Energiequellen, wie Wasserkraft, Wind- und Sonnenkraft oder Erdgas zu nutzen, anstatt zu verhindern.
Angesichts der dramatischen Energiepreisentwicklungen haben wir im Unterschied zu Deutschland und der Schweiz verabsäumt, für die Energieversorgungsunternehmen mit Sicherheitsnetzen vorzusorgen, um dann scheinheilig politisches Kleingeld sammeln zu wollen.
Wir sind eine eher technikfeindliche Gesellschaft.
Wer etwa bei künstlicher Intelligenz die Vormachtstellung hat, beherrscht die Welt – das ist ein Wettkampf zwischen den USA und China. Europa und Russland sind da weit abgeschlagen. Wir sind ein digital nachhinkender Kontinent, und Österreich ist ein digitales Entwicklungsland. 50 Prozent des Personals, das sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigt, ist in Amerika, 10 Prozent in China und 10 weitere in Europa.
Sie haben es mit Ihrem Unternehmen AT&S ja in der Hand, das zu verbessern.
Bei Leiterplatten und Substraten gehören wir zu den technologisch führenden Unternehmen der Welt – unsere Kunden würden sich sogar mehr Kapazitäten wünschen. Aber die Investition in ein neues Werk, wie gerade in Malaysia, ist die eine Sache, geeignete Mitarbeiter dafür zu bekommen und auszubilden, eine andere. Google, Apple, Microsoft & Co suchen überall die besten Leute. Daher ist auch das Institut von Professor Hochreiter in Linz, in dem zu künstlicher Intelligenz erfolgreich geforscht wird, so wichtig. Es bekommt aber nicht die benötigten finanziellen Mittel.
Linz bekommt jetzt dafür eine eigene Technische Uni.
Bis diese etwa 2040 in die Gänge gekommen sein wird, ist dieser Professor längst weg. Wir haben doppelt so viele Universitäten wie die Schweiz, allerdings mit nur halb so viel finanziellen Ressourcen. Unser Land braucht eine enge Zusammenarbeit der Unis im Dreieck Wien, Linz und Graz, samt Leoben und ihrer Exzellenz.
Hat denn Europa eine vernünftige Strategie?
Eine solche soll jetzt der European Chips Act anstoßen. Als Start sind die 50 Milliarden in Ordnung, in Summe aber noch nicht genug. Zurück zu den Halbleitern: Die taiwanesische Firma TSMC produziert 90 Prozent der weltweit gebrauchten, technologisch höchstwertigen Mikrochips unter sechs Nanometern. Samsung kann dies zwar technologisch auch, hat allerdings nicht die Produktionskapazität, und Intel hinkt ein Jahr hinterher – in dieser Branche ist das viel. Nach rationalen Überlegungen sollte TSMC sogar der größte Sicherheitsschutz Taiwans sein.
Was wäre, wenn China Taiwan dennoch angreift?
Es würde sich selbst schaden. Jedenfalls aber müssten wir trachten, diese große Abhängigkeit abzubauen. Es ist eine schwierige Zeit, aber Not macht erfinderisch. Im Krieg, in der Nachkriegszeit und auch in der Ölkrise sind wir mit noch größeren Problemen fertig geworden. Heutzutage sind wir nur wehleidiger und anspruchsvoller geworden. Der Leiter des WIFO-Instituts Professor Felbermayr hat zutreffend von Vollkasko-Mentalität gesprochen – das fördern wir derzeit auch noch gewaltig. Das führt zu einer Schieflage der Staatsfinanzen und zur Vernachlässigung von Zukunftsaufgaben, wie beispielsweise bei künstlicher Intelligenz oder digitalem Unterricht.
Ist nicht auch die EU-Politik mehr gefragt?
Immer, wenn etwas schief geht, rufen wir nach der EU, gleichzeitig sind wir in Orbán-Manier immer wieder ein Verhinderer und Störenfried.
Was wünschen Sie sich von der österreichischen Politik?
Mehr Zukunftsdenken und mutige Entschlossenheit. Es geht nicht um „Yes, we can“, entscheidend ist: „Yes, we do“.
Wer ein Innovationsstandort sein will, muss aber möglicherweise weniger für Soziales ausgeben.
Wir haben eine der höchsten Sozialquoten und eine der höchsten Abgabenquoten der Welt, beklagen aber, dass 1,2 Millionen Menschen armutsgefährdet sind. Wir sind gleichzeitig eines der reichsten Länder der Welt. Da stimmt ja etwas im System nicht: Die einen kriegen zu viel, die anderen zahlen zu viel Steuer, vor allem, was den Faktor Arbeit betrifft – und die, die es wirklich brauchen, bekommen zu wenig soziale Unterstützung. Willy Brandt und Helmut Schmidt haben schon vor Langem die drei E postuliert: Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Eigenvorsorge. Das gilt immer noch.
Kämpft Österreich denn nicht auch mit den Folgen ungeregelter Migration?
Ohne Migranten wäre zum Beispiel das Spitalswesen längst zusammengebrochen. Dies gilt ebenso für das Pflegewesen oder den Tourismus und die Bauwirtschaft. Wir haben ein Problem im Schulwesen. Nach dem Polytechnischen Lehrgang können 25 Prozent nicht lesen, schreiben und rechnen. Die Landessprache muss schon in ganztägiger vorschulischer Betreuung hinreichend erworben werden. Die Bildung ist das Tor zur Zukunft. Die Schüler haben zu wenig Tablets, und 50 Prozent der Lehrer sind weiterbildungsbedürftig. Unser Schulsystem raubt den Kindern die Neugierde und die Freude, etwas zu gestalten. Damit beeinträchtigen wir die Leistungsbereitschaft und verhindern Entwicklungschancen.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Partei, der SPÖ?
Es genügt nicht, von der verheerenden Schwäche in der Bundesregierung zu profitieren. Im Übrigen kann man mit der derzeitigen gesamten politischen Landschaft nicht glücklich sein.
Soll Christian Kern eine größere Rolle in der SPÖ spielen?
Ich bin kein politisches Entscheidungsgremium, aber er wäre sicher ein Gewinn.
Welchen Vorteil hat der Industriestandort Europa?
Dass es insgesamt das bessere Schulwesen hat – Österreich gehört da nicht dazu –, aber es muss sich endlich als Einheit sehen und danach handeln. Dabei gilt es die Abhängigkeiten bei der Sicherheit von Amerika, beim Wachstum von China und beim Energiebedarf von Russland zu überwinden.
Politiker und Unternehmer
Unter Bruno Kreisky war Hannes Androsch (schon mit 32 Jahren) Finanzminister (1970 bis 1981), überwarf sich aber am Ende mit ihm. Danach wurde er Generaldirektor der Creditanstalt.
Der jetzt 84-Jährige ist an der Salinen AG beteiligt und Miteigentümer des internationalen Leiterplatten-Konzerns AT&S. In seiner Wahlheimat Aussee baute er u. a. ein spektakuläres Gesundheitshotel. Er engagierte sich außerdem für Universitäts-, Forschungs- und Schulbelange.
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