"Für mich war der Staatsvertrag eine Katastrophe"

"Für mich war der Staatsvertrag eine Katastrophe"
Teddy Podgorski über die Frage, ob die Zweite Republik am Ende ist.

Rot-Schwarz bei Präsidenten-Wahl nur noch knapp über 20 Prozent, Blau am Sprung in die Hofburg: II. Republik – war’s das? Im KURIER erzählen Zeitzeugen, wie sie diese Ära erlebt haben, was verzichtbar ist und was bleiben soll. Den Anfang macht der legendäre ORF-Pionier Teddy Podgorski, 80.

KURIER: Herr Podgorski seit dem Wahldesaster für Rot & Schwarz bei der Bundespräsidentenwahl ist es für alle Kommentatoren eine Gewissheit: Die Zweite Republik geht zu Ende. Ist das Leitartikel-Prosa oder war’s das mit der Zweiten Republik?

Thaddäus Podgorski: Allein, dass die FPÖ in die Hofburg einziehen könnte, ist eigentlich unvorstellbar. Das ist aber noch nicht der Tod der Zweiten Republik. Die ist erst dann tot, wenn die Dritte Republik durch eine neue Verfassung etabliert wird, aber das wird nicht so mir nichts dir nichts gehen.

Sie waren zu Kriegsende am Land und zehn Jahre alt. Welches prägende Bild von damals ist Ihnen bis heute in Erinnerung?

Das ist ein sehr Privates: Ein SS-Arzt hat mich in Uniform und mit hohen Stiefeln ohne Narkose am Kiefer operiert. Das war sehr schmerzhaft, aber notwendig, weil ich sonst an einer Sepsis zugrunde gegangen wäre.Die zweite Erinnerung ist die an die Russen. Die ist eine sehr angenehme: Ein Russe hat mir ein gestohlenes Fahrrad geschenkt, ein anderer ein gestohlenes Pferd und meiner Mutter haben sie bei der Gartenarbeit geholfen. Ein Russe hat mich jeden Tag in einem Pferdewagen in die Schule mitgenommen, so dass ich nicht eine Stunde lang zu Fuß gehen musste. Zu Schulbeginn mussten wir uns im Herbst 1945 weiter auf der Schulstiege aufstellen, statt Heil Hitler haben wir Grüß Gott gerufen, aber am Anfang die Hand wie in den Jahren zuvor zum Hitlergruß ausgestreckt.

Und welches Bild haben Sie vom Staatsvertrag im Jahr 1955 als damals Zwanzigjähriger in Erinnerung?

Der Staatsvertrag war für Österreich natürlich großartig, für mich persönlich aber eine Katastrophe. Ich war angestellt beim amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot, damals der beliebteste Sender. Mit dem Staatsvertrag wurden all diese Sender aufgelöst. Ich war arbeitslos, habe keinen Job gefunden und erst nach Monaten dann beim Vorläufer des ORF – der RAVAG eine Chance erhalten.

Sie haben danach 45 Jahre Ihres beruflichen Lebens im ORF zugebracht – vom Erfinder der Zeit im Bild 1 über den Sportchef, Programmintendanten bis zum Generalintendanten. Als ORF-Chef wurden Sie von der SPÖ vorgeschlagen. Waren Sie je Partei-Mitglied und wie gut kennen Sie die SPÖ?

Ich war nie Parteimitglied. Als ich im ORF angefangen habe, waren Rot und Schwarz wie eine ägyptische Priesterschaft. Sie waren unantastbar. Nur, wenn sie selber interviewt werden wollten, sind sie mit einem fertigen Manuskript gekommen. Anfang der 60er-Jahre war ich Leitender Redakteur bei der Zeit im Bild, mein Chefredakteur war ein Tontechniker und strammer SPÖ-Genosse aus Klagenfurt. Er hat Kurzschlüsse reparieren können, sonst aber nichts. Ich hatte wegen eines geplanten Interviews über eine Werbekampagne des Bundesheeres ("Komm zum Heer") einen Riesenwickel mit dem damaligen ÖVP-Verteidigungsminister Karl Schleinzer. Schleinzer und ich saßen vor dem Interview gemeinsam im Schminkraum und er sagte zu mir: Herr Redakteur, was werden Sie mich denn fragen? Ich habe gesagt: "Na ich werde Sie über den Beruf des Soldaten fragen: Ist es erstrebenswert Soldat zu werden?" Darauf hin hat Schleinzer einen Anfall bekommen: "Das werden Sie mich sicher nicht fragen. Sie werden mich das fragen" und hat mir ein Manuskript in die Hand gedrückt. Ich habe gesagt, dass ich ihn das sicher nicht fragen werde und bin gegangen. Der damalige Chefredakteur Ingenieur Dörflinger hat das Manuskript zitternd übernommen und daraus die Interviewfragen abgelesen. Das war ein Meilenstein der knienden Berichterstattung.

Wie konnten Sie im ORF dennoch solange erfolgreich überleben?

Durch Glück – und manchmal durch die Feigheit der Großkopferten. Zwei Mal bin ich ja hinausgeflogen. Einmal 1959 nach einem Bericht über den geplanten Staatsbesuch des Schah von Persien. Dieser hat den Besuch deswegen abgesagt. Nach einer parlamentarischen Anfrage durch den späteren FP-Volksanwalt Gustav Zeilinger musste mich der ORF wieder nehmen. Und einmal nach einem Bericht über die Salzburger Festspiele – wegen des Schlusssatzes in einer Reportage über die gegensätzliche Welten in der Mozartstadt Ende der 60er-Jahre: "Die Hippies rauchen ihre Joints und die Bürger sitzen im Theater". Daraufhin hat Gerd Bacher den Chefredakteur Franz Kreuzer angerufen und hat gesagt, hau den raus. Ich brauche im Aktuellen Dienst keinen Bert Brecht. Man konnte mich aber nicht raushauen, weil ich nichts verbrochen hatte und so wurde ich der erste weiße Elefant im ORF. Weil mir das aber bald zu fad war, habe ich Formate wie Panorama, Jolly Joker, Seinerzeit und später noch Universum, die Seitenblicke und Bundesland heute erfunden. Zunächst aber übernahm ich die Sportredaktion.

"Für mich war der Staatsvertrag eine Katastrophe"

Da bestand offenbar weniger Gefahr, dass Sie Politikern auf die Zehen treten?

Politiker fühlen sich rasch überall auf die Zehen getreten. Aber nach dem Rundfunk-Volksbegehren 1966 und der ORF-Reform unter ÖVP-Kanzler Josef Klaus ist das besser geworden. Da hat dann ein roter unabhängiger Journalist den roten Minister und ein schwarzer unabhängiger Journalist den schwarzen Minister interviewt. Das war schon ein Fortschritt und die Politiker waren glücklich.

Was sagen diese wechselnden Zustände im ORF über den Zustand der Zweiten Republik?

Der ORF war immer ein getreuer Spiegel des Landes. Er war immer von außen bestimmt. Und im ORF haben die Betriebsräte den Ton angegeben – auch vor meiner möglichen Wiederwahl. 1990 war der schwarze Betriebsratschef bei mir und wollte einen gelben Audi A6 als Dienstwagen, andere wollten hohe Posten im ORF. Ich habe sie alle hinausgeworfen und meine Karriere im ORF beendet. Ich habe dann noch ein großes Interview im profil gegeben mit der Forderung: "Politik raus aus dem ORF." Ich habe gewusst, dass danach nur ich raus aus dem ORF bin. Aber hin und wieder muss das ja einer sagen.

Ist das absehbare Ende der rot- schwarzen Dominanz die Chance für eine Befreiung des ORF oder geht das nur unter neuen Vorzeichen so weiter?

Es kommen sicher die anderen und wollen sich den ORF unter den Nagel reißen. So wie die Regierung ausschaut, so wird es auch im ORF ausschauen. Dieses Goschen halten und sich ducken ist etwas sehr Typisches im Umgang mit der Politik.

Generell gefragt: Ist das Buckeln vor den Mächtigen etwas sehr Österreichisches und kennzeichnend für die Zweite Republik?

Nein, in Deutschland kuschen sie wirklich. Der Österreicher kuscht zwar, aber plant gleichzeitig irgendeine Gemeinheit dagegen. Er lässt am Klo nicht hinunter oder so.

Sie waren als Schüler in einem katholischem Internat. Ist die Kirche heute noch ein Faktor?

Die Kirche ist heute politisch nicht mehr wirklich wichtig. Dem Papst geht es ein bisserl wie dem Kanzler. Die wirklich Mächtigen sind in Rom die Kurienkardinäle, bei uns sind es die Landesfürsten. Solange das Joch der Bundesländer nicht abgeworfen werden kann, ist es unmöglich in Österreich etwas zu verändern. Unsere Politiker sind ja doppelt kastriert. Auf europäischer Ebene bestimmt die Finanzindustrie was passiert und zu Hause haben die Landeshauptleute das Sagen. Ich will ja den Faymann nicht in Schutz nehmen, aber als Kanzler hat er auch noch einen ungeliebten Koalitionspartner in der Regierung. Natürlich geht da nichts weiter. Wer glaubt, dass die FPÖ mehr weiterbringen wird, wird sich einmal mehr wundern. Schwarz-Blau war doch seinerzeit eine einzige Katastrophe, wo alle nur gestohlen haben. Das würde wieder kommen. Nur meinem alten Freund Gerhard Zeiler schreckt das alles nicht. Er traut sich zu, das Ruder herumzureißen.

Kann Gerhard Zeiler, Ihr ehemaliger Generalsekretär, der jahrelang als Medienmanager im Ausland gelebt hat, den Kanzlerjob?

Ich glaube ja. Er bringt einen unverbauten Blick mit, den nötigen Ehrgeiz und auch den notwendigen Elan. Ich glaube, dass bald viele sagen würden: Überraschend, dass man die Dinge auch so anpacken kann. Allein, wie er damals als ORF-Chef die korrupten Betriebsräte abserviert hat, dafür gebührt ihm der Nobelpreis.

Da werden die Gewerkschaften, eine Säule der Zweiten Republik, keine Freude mit ihm haben.

Das weiß ich nicht, aber Gott sei Dank ist das nicht mehr meine Sorge.

Was wird und soll von den unbestritten vielen Tugenden der Zweiten Republik – wie etwa die Sozialpartnerschaft und der soziale Friede – auch die nächsten zehn, zwanzig Jahre überdauern?

Das Spiel wird längst nicht mehr in Österreich gemacht, sondern in Amerika und in der EU. Ich sage immer wieder: Wir bräuchten einen Politiker wie den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Charles De Gaulle, der Europa ein neues Selbstbewusstsein gibt. Ich glaube nicht, dass eine speziell-österreichische Politik machbar ist, die uns Ruhe und Zufriedenheit sichert. Leider sitzen in Brüssel die falschen Leute. Denn man hat nicht immer die Besten und Wichtigsten hingeschickt, sondern die, die man zu Hause nicht mehr brauchen konnte. Aber es bleibt uns nichts anders übrig, als damit zu leben, denn einen Austritt aus der EU fände ich fatal.

Was wird das im Land verändern, sollte am 8. Juli Norbert Hofer als Bundespräsident in die Hofburg einziehen?

Viele, die Blau gewählt haben, werden es bald bereuen. Denn wenn dann der Strache Kanzler ist, dann werden die Leute merken, dass es wirtschaftlich unklug ist, mit der EU auf Kriegsfuß zu sein. Ich bin froh, nie bei einer Partei gewesen zu sein. Ich bin nur Mitglied in der Kirche. Das ist zwar auch hoffnungslos, aber da kommt man wenigstens nicht in die Verlegenheit, jemanden wählen zu müssen.

KURIER-Serie: Zweite Republik - war's das?

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